VHS-Geschichtswerkstatt in Bad Honnef Besucher analysieren Gedichte aus dem Ersten Weltkrieg

BAD HONNEF · Besucher der VHS-Geschichtswerkstatt haben sich im Gutenberghaus in Bad Honnef getroffen und Gedichte aus dem Ersten Weltkrieg analysiert. Dabei finden sie das Motto „Wort ist Waffe!“ bestätigt.

 Werkstattarbeit: Die Besucher der Veranstaltung im Gutenberghaus lesen und diskutieren.

Werkstattarbeit: Die Besucher der Veranstaltung im Gutenberghaus lesen und diskutieren.

Foto: Frank Homann

Keine Gedichte mehr! 1915 bat der Herausgeber der Honnefer Volkszeitung (HVZ) seine Leser darum, keine Lyriktexte mehr einzusenden. Die Redaktion wurde damals offensichtlich regelrecht geflutet von Selbstverfasstem. Im Gutenberghaus informierte Diplom-Sozialwissenschaftlerin Annemarie Große-Jütte in einem Vortrag innerhalb der „Geschichtswerkstatt“ der Volkshochschule Siebengebirge unter dem Motto „Wort ist Waffe!“ darüber, was die Honnefer im Ersten Weltkrieg lasen und schrieben. Dazu hatte sie die Ausgaben der HVZ in dieser Zeit gesichtet.

Und sie zeigte sich erstaunt über die Menge der abgedruckten Gedichte. „Maximal zwei Seiten der Zeitung bezogen sich auf Honnef. Neben vielen Mitteilungen war auf diesem engen Raum noch Platz für Gedichte.“ Und: „Die Poesie überwog die Prosa.“ Literaturbesprechungen gab es in der HVZ nicht, aber Bestsellerlisten wurden veröffentlicht. Auch da spielten in der Kriegszeit Gedichte eine große Rolle. In dem Band „Kriegsgedichte von 1914“ waren die Texte „Das eiserne Gebet“ und „Ostpreußisch“ des Rheinbreitbacher Schriftstellers Rudolf Herzog zu finden.

Auch Gerhard Hauptmann mit „O mein Vaterland“, Ernst Lissauer mit „Hassgesang gegen England“, Ludwig Ganghofer mit „Dem Sieger von Longwy“ oder Ludwig Thoma mit dem Gedicht „Am 1. August“ tauchen auf.

Wer hat es geschrieben?

Annemarie Große-Jütte machte den Test. Sie las Texte vor und bat darum, den Autor zu bestimmen. Und die Besucher staunten nicht schlecht, dass etwa Rainer Maria Rilke oder Bertolt Brecht hinter heute nicht nachzuvollziehenden Zeilen steckten. So fabulierte Rilke: „...einmal schon, da ihr gebart, empfandet ihr Trennung, Mütter – empfindet auch wieder das Glück, dass ihr die Gebenden seid. Gebt wie Unendliche, gebt. Seid in diesen treibenden Tagen eine reiche Natur. Segnet die Söhne hinaus…“ Oder bei Brecht heißt es: „Und am Tage klingen aus wogenden Ährenmeeren, widerschallend von der französischen Schlachten Getöse, auf zum Himmel, sonnendurchbebt die ehern schweren Gesänge von Deutschlands siegender Größe, die aus Friedhöfen sich Brotäcker gräbt.“

Bei den in der HVZ abgedruckten Gedichten waren es zu Kriegsbeginn 1914 die Hurra-Texte, voller Siegeszuversicht, Ende des Jahres gab es auch schon ein Friedensgedicht. „1915/16 erschienen Gedichte, die man kritisch lesen kann“, stellte Große-Jütte fest. Sie hatte neben einem Spottgedicht, das sich auf die desolate Lebensmittellage bezog, jedoch auch dichterische Durchhalteparolen wie „viel Feind, viel Ehr“ gefunden. Oder: In einem Gedicht beklagt eine Frau ihre Geschlechtsgenossinnen, die französische Mode tragen. Annemarie Große-Jütte sprach von „poetischer Mobilmachung“.

Die Frontdichter

Die Soldaten in den Schützengräben griffen ebenfalls zur Feder. Die Frontdichter widmeten sich der Kameradschaft, dem Heldentum. „Die Verlage haben das schnell aufgegriffen.“ So berichtete die Referentin von der an den Verleger Cotta herangetragenen Idee, Bestsellerautor Rudolf Herzog eine Sammlung von Gedichten fertigen zu lassen. Herzogs leichte Verwundung an der Front war der Honnefer Volkszeitung auch eine Meldung wert. Auch unter den Literaturpreisträgern waren Frontsoldaten zu finden.

Spitzenreiter der Bestsellerliste aus der HVZ war Günther Plüschow mit dem Buch „Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau“, in dem er seine Erlebnisse im deutschen Stützpunkt Tsingtau 1914 schildert. Er entwischte den Japanern, legte eine abenteuerliche Flucht über China und Südamerika hin und entkam schließlich auch der englischen Kriegsgefangenschaft. Um persönliche Erfahrungen ging es ebenfalls bei dem Zweitplatzierten – „Der rote Kampfflieger“ von Manfred von Richthofen. Annemarie Große-Jütte: „Das Leben war ein Einsatz, der Krieg eine Bewährungsprobe für mutige Leute. Das waren die beiden Top-Bücher.“ Auch bei den Honnefern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort