Fäuste und Worte fliegen Athleten-und-Poeten-Slam in Bad Honnef

Bad Honnef · Mit viel Selbstironie erobert der 57-jährige Achim Leufker als Senior das Publikum beim Athleten-und-Poeten-Slam im Saal Kaiser. Als Jüngste im Wettbewerb holt die 15-jährige Anna Heck den Junior-Preis.

 Schlagabtausch im Ring: Hobbyboxerin Jule Kampler schenkt Trainer Waldemar Zibart nichts.

Schlagabtausch im Ring: Hobbyboxerin Jule Kampler schenkt Trainer Waldemar Zibart nichts.

Foto: Frank Homann

Eigentlich, klagte Achim Leufker, habe er sein Mindesthaltbarkeitsdatum lange überschritten: „Altersmäßig liege ich jetzt irgendwo zwischen McDrive und Essen auf Rädern.“ Jahrgang 1961 eben. „Ach, Achim“, versuchten Freunde ihn zu beschwichtigen, „du bist nicht alt, du bist retro!“ Von wegen, spottete Leufker: „Wenn ich mit Gleichaltrigen in der Sauna sitze, dann sieht das aus wie die Neuverfilmung von 'Gorillas im Nebel'!“

Gegen so viel süffisante Selbstironie hatte die Poetry-Slam-Konkurrenz keine Chance: Das Publikum hatte Leufker einfach ins Herz geschlossen. Gegen den Wortverdreher aus Rheine kam niemand mehr an. Unter lautem Jubel verkündete Moderator Fritz von Fingerhoff den Sieger durch prosaischen Knockout als neuen Champion von „Athleten und Poeten“. Von Cornelia Nasner vom Verein Literatur im Siebengebirge und ATV-Boxtrainerin Anke Müller in Siegerschärpe inklusive Lorbeerkranz gehüllt, dankte der frisch gebackene Champion den Zuschauern: „Lacht oft, lacht laut und lacht über euch selber, denn das Passwort zum Leben lautet 'Humor'.“

Das Publikum entscheidet über Sieg oder Niederlage

Die nunmehr vierte Ausgabe der interdisziplinären Crossover-Veranstaltung im Selhofer Saal Kaiser folgte der Devise: größer, bunter, besser. Veranstaltet vom ATV Bad Honnef-Selhof sowie dem Literaturkreis und der Kleinkunstbühne Hautnah, trafen sich am Samstagabend abwechselnd zehn Faustkämpfer und vier Verbalathleten im Boxring zum Schlagabtausch. Da Anne Linscheid alias Ella Anschein, die aus allen drei vorherigen Events als Poetry-Slam-Siegerin hervorgegangen war, ihren Titel in diesem Jahr nicht verteidigen konnte, standen unbekannte Gesichter im Mittelpunkt. Wie immer entschied das Publikum über Sieg oder Niederlage: Mit blauer oder roter Karte votierten die Gäste für den Dichter in der roten oder blauen Ringecke.

Nachwuchs-Slammerin Leonie Ader, 22 Jahre alt und Lehramtsstudentin, erzählte von einer unsichtbaren Freundin namens Anorexia, die sich mit der Zeit als wahres Biest entpuppt habe: „Und ihre Kommentare blieben nicht mehr nett, eigentlich nannte sie mich nur noch hässlich und fett.“ Die Erlösung sei erst gekommen, als sie das Scheusal sprichwörtlich auf den Mond geschossen habe: „Denn da oben richtet die Schlampe am wenigsten Schaden an“.

Derart ergreifendem Tiefgang musste sich Vorjahres-Vizemeister Francis Kirps aus Luxemburg mit seinen rasanten Prosa-Kaskaden voll absurdem Humor – „Japanisch ist das Chinesisch der Japaner“ – geschlagen geben. Im zweiten Vorrunden-Duell unterlag zudem die 46-jährige Lokalmatadorin Sonja van der Veen mit ihrem nachdenklichen Manifest „Wäre ich ein Land“ knapp dem Humorfeuerwerk des alternden Nebel-Gorillas Achim Leufker.

Da offizielle Box-Wettkämpfe logistisch nicht möglich waren, zeigten die ATV-Sportler Andreas Boos, Johannes Dürmaier, Kevin Friedt, Luka Glisic und Ammar Odeh unterdessen Pratzentraining mit den Trainern Maximilian Muß und Waldemar Zibart sowie mit Trainerin Jagoda Penava. Besonders hart teilte indes Hobbyboxerin Jule Kampler im Sparring aus und erntete dafür lauten Beifall. Und ATV-Neuzugang Anthony Afonso, auch Mitglied des Gospelchors 'n Joy, bat nach einer Runde Schattenboxen den Gitarristen Henri Iser ins Seilgeviert, um zum Entzücken des Publikums „Talkin' 'bout a Revolution“ zu schmettern – was für eine Stimmgewalt.

Überhaupt war das umfangreiche Begleitprogramm das Sahnehäubchen auf einem ohnehin mitreißenden Programm: zu Beginn der prunkvolle Einmarsch des Tambourcorps Frei-Weg, dann der kurzweilige Breakdance-Auftritt der Boys-Kompanie von Bad Honnef tanzt unter der Leitung von Anna-Lu Masch. Und Sängerin Lisa Hombücher, aus Hamburg angereist, bezauberte mit gleich drei atemberaubenden Gesangseinlagen, darunter „Bring Him Home“ aus „Les Misérables“ und die Verdi-Arie „Pace, pace, mio Dio“.

Sibi-Schüler treten zumJunior-Slam an

Als besonderes Highlight wurde im Vorprogramm zudem gleich ein zweiter Champion gekrönt: Nachdem Sibi-Schüler im Frühjahr einen eigenen Poetry-Slam-Wettbewerb abgehalten hatten, durften drei der Nachwuchspoeten im Saal Kaiser zum „Junior-Slam“ antreten.

Erneut konnte die 15-jährige Anna Heck, die schon die Sibi-Herzen für sich gewonnen hatte, den Wettkampf mit einer Anklage gegen stumpfe Vorurteile für sich entscheiden: „Rassismus in meinem eigenen Land, das geht mir nicht in den Verstand.“ Denn egal ob Herkunft, Religion oder sexuelle Orientierung: „Es ist kein Vergnügen, sich den Erwartungen der anderen zu fügen.“ Für diesen aufwühlenden Beitrag hatte sich die jüngste Poetin den vielleicht lautesten Applaus redlich verdient.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort