Fall Anna Anklage gegen Mitarbeiterin des Jugendamtes Königswinter

Rhein-Sieg-Kreis · Im Fall der von ihrer Pflegemutter am 22. Juli 2010 getöteten achtjährige Anna in Bad Honnef hat die Bonner Staatsanwaltschaft nun Anklage gegen die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamtes Königswinter erhoben.

Die Staatsanwaltschaft wirft der 45-jährigen Sozialpädagogin fahrlässige Körperverletzung in 26 Fällen durch Unterlassen vor. Darüber hinaus legt sie der nach wie vor bei der Stadt Königswinter angestellten Frau Verwahrungsbruch in Tateinheit mit Urkundenfälschung zur Last, weil sie nach Bekanntwerden des Todes des Kindes Urkunden aus der Fallakte verändert und vernichtet haben soll. Das teilte Behördensprecher Fred Apostel am Freitag mit.

Nach fast zweieinhalbjährigen Ermittlungen kommt die Staatsanwaltschaft damit nun zu dem Ergebnis: Die 45-Jährige hat bei der Betreuung des Kindes so schwere Versäumnisse begangen, dass sie dafür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden muss. Denn, so der Pressesprecher: "Bei sorgfältiger Sachverhaltsaufklärung zur Erfüllung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung haben der Angeschuldigten Ende Dezember 2009 genügend Anhaltspunkte zur Verfügung gestanden, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass Anna in der bisherigen Pflegefamilie nicht verbleiben kann."

Für die Staatsanwaltschaft steht damit aber auch fest: "Durch eine Beendigung der Unterbringung Annas in dieser Familie hätte die Beschuldigte die nachfolgenden Misshandlungen verhindern können." Mit dieser Bewertung stützt sich die Anklagebehörde auf ein von ihr beauftragtes Gutachten, das im völligen Gegensatz zu der Einschätzung eines von der Stadt Königswinter eingeschalteten Sachverständigen steht.

Bis zu ihrem Tod war Anna den Quälerein der Pflegeeltern ausgesetzt. Immer wieder wurde das Kind mit scharfen Gegenständen gestochen und vor allem regemäßig in der Badewanne untergetaucht, bis die Pflegemutter sie bei einer solchen Aktion am 20. Juli 2010 ertränkte. Im November vergangenen Jahres wurde die Pflegemutter wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, ihr Mann zu sechseinhalb Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen.

Dabei gab es nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft genügend Alarmzeichen, die bei der Jugendamtmitarbeiterin dazu hätten führen müssen, Anna wegen Kindeswohlgefährdung aus der Familie zu nehmen: So hatten Nachbarn nicht nur beim Jugendamt Alarm geschlagen, sondern im November 2009 sogar die Polizei gerufen, weil das Kind spät abends schreiend und halbnackt durchs Treppenhaus gelaufen war. Spätestens nach diesem Polizeieinsatz, so die Anklage, hätte Anna aus der Familie genommen werden müssen. Statt dessen aber habe sich die Beschuldigte immer wieder mit wahrheitswidrigen Erklärungen der Pflegemutter begnügt und nicht ein einziges Mal mit Anna allein im geschützten Rahmen außerhalb des Einflussbereichs der Pflegemutter geredet.

Außerdem wirft die Anklage der 45-Jährigen vor, am 24. Juli nach dem Tod des Kindes sieben Vermerke, die sie zuvor über den Fall Anna angefertigt hatte, aus der Akte entnommen, manipuliert und die Originalvermerke geschreddert zu haben. "Durch die Vernichtung der ausführlichen Vermerke beeinträchtigte sie die Überprüfbarkeit ihres dienstlichen Handelns betreffend das Pflegekind Anna", so Apostel.

Das Verfahren gegen die 45-jährige Sozialpädagogin, das vor dem Bonner Landgericht stattfinden soll, ist noch nicht eröffnet. Im Fall einer Verurteilung droht der Beschuldigten Haft bis zu fünf Jahren.

Königswinterer Bürgermeister wünscht schnelle Klärung
Auch der Königswinterer Bürgermeister Peter Wirtz geriet durch den Mord an Anna und die Aktenmanipulation seiner Mitarbeiterin stark unter Druck. Im Gespräch mit dem General-Anzeiger wollte er gestern die Anklage gegen die 45-jährige Bedienstete der Stadt nicht kommentieren, zumal die Anklage erst am Donnerstag bei der Stadt eingegangen sei.

"Wir werden die Anklageschrift jetzt genau prüfen, auch im Hinblick darauf, ob jetzt schon Konsequenzen gezogen werden müssen", sagte er. Auch müsse jetzt erst mal der Rat informiert werden. Und er betonte: "Bis zum Urteil gilt auf jeden Fall die Unschuldsvermutung." Nun müsse das Gericht klären, ob die Vorwürfe gegen die 45-Jährige tatsächlich berechtigt seien. Was ihn sehr nachdenklich stimmt, wie er sagte: "Dass zwei Gutachter in dem Fall zu zwei so diametral entegegengesetzten Wertungen kommen."

Während der von der Stadt Königswinter eingeschaltete Gutachter noch nicht einmal ein Dienstvergehen erkenne, gehe der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Sachverständige sogar von strafbarem Verhalten aus. Vor allem aber eines sei ihm wichtig, so Wirtz: "Ich wünsche mir, dass dieses Verfahren endlich abgeschlossen wird." Denn seit dem 20. Juli 2010 würden die Mitarbeiter des Königswinterer Jugendamtes dadurch sehr belastet.

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