Interview mit Pfarrer Franz Lurz „Zu Bethlehem geboren, in Armut“

Der ehemalige Bad Honnefer Pastor feiert am 3. Januar seinen 80. Geburtstag. Im Frühjahr reist er ins Westjordanland und besucht das Babyhospital in Bethlehem, das seit vielen Jahren von Bad Honnefern unterstützt wird.

Ihr Geburtstag liegt zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag. Die Weisen aus dem Morgenland sind der Krippe schon ziemlich nah. Ist das eine besondere Zeit für Sie?

Franz Lurz: Das ist ein festlicher Spannungsbogen – und immer wieder neu. Der Geburtstag wurde früher nicht so gefeiert. Ich erinnere mich an den vielen Schnee in meiner Kindheit, die ich während der Kriegszeit in der Heimat meiner Mutter im Schwarzwald, verbrachte. Und besonders an ein Ereignis am Heiligen Abend 1943. An dem Tag sollte mir ein Bein amputiert werden. Die Schwestern im Krankenhaus hielten eine Andacht mit der Bitte, das Bein möge mir erhalten bleiben. Der junge Arzt entschied, nicht zu amputieren. Zum Erstaunen aller gelang die OP. Mein Vater hatte Fronturlaub erhalten. Als er eintraf, sagten ihm die Schwestern, er habe ein schönes Weihnachtsgeschenk. Denn erwartet hatte er einen Sohn mit nur noch einem Bein. Manchmal tut der liebe Gott nichts als Fügen.

Was war passiert?

Lurz: Ein Nazi-Bonze war mit Motorrad samt Beiwagen bei hohem Tempo über einen Weg, der gar nicht befahren werden durfte, gebrettert und hatte mich aufgespießt. Mein Bein war gesplittert und mehrfach gebrochen.

Dann lagen Sie an Ihrem sechsten Geburtstag im Krankenhaus. Hat sich der Unfallfahrer entschuldigt?

Lurz: Ein Bonze entschuldigte sich doch nicht. Meine Mutter kam täglich die fünf Kilometer zu Fuß ins Krankenhaus. Einmal wollte mich eine Schwester darauf vorbereiten, dass sie wegen des hohen Schnees nicht kommen würde. Aber ich war vom Gegenteil überzeugt. Und meine Mutter kam.

Die Liebe, die Sie als Kind empfangen haben, geben Sie gewissermaßen weiter an die Kinder von Bethlehem?! Im Jahr 2017 geht es wieder ins Heilige Land.

Lurz: Ja, in der ersten Maihälfte reise ich mit einem Kreis von Unterstützern des Babyhospitals nach Bethlehem. Bei meiner ersten Tour vor vierzig Jahren haben mich die Mütter und Väter sehr beeindruckt, wie sie so zum Hospital kamen, sie hinterließen in ihrer Kleidung geradezu einen biblischen Eindruck. Ich habe eine Messe gehalten und ein Kind vor den Altar legen lassen – zu Bethlehem geboren, in Armut. Aber erst in Bad Honnef wurde das Babyhospital ein Thema. In meiner früheren Pfarrstelle in Kaarst hatten wir ein Projekt auf den Philippinen.

Wie kam es zu dem Engagement für das Babyhospital?

Lurz: Ich bin im Advent 1989 nach Bad Honnef gekommen. Die Kommunionkinder spendeten am Weißen Sonntag immer für die Diaspora. Die Katecheten aber wünschten ein Anliegen aufzugreifen, das den Kindern besser zu vermitteln war. Da brauchte ich nicht lange nachzudenken, ich habe das Babyhospital in Bethlehem vorgeschlagen, und dabei ist es geblieben. Die Liebe Gottes geht von Bethlehem aus und hat uns erreicht, und wir geben unsere Freude und Liebe zurück an den Ursprung. Die Kinder hat das damals sofort gepackt. Ich bin froh und dankbar, dass mein Nachfolger, Pfarrer Wachten, das Bethlehem-Projekt sehr nachhaltig unterstützt. Beim letzten Martini-Markt kamen am Stand für das Babyhospital 6500 Euro zusammen.

Wie ist die Spendensumme bisher?

Lurz: Ich halte das nicht nach. Aber neben Geld- gab es auch Sachspenden. Professor Lemburg organisierte beispielsweise containerweise medizinisches Gerät. Eine halbe Million Euro sind bestimmt bisher nach Bethlehem geflossen. Dass es gelungen ist, die persönliche Betroffenheit in die Pfarrgemeinde hineinzutragen, die Menschen sich davon berühren ließen und den Sinn ihres Handelns mit dem Geschehen in Bethlehem, mit der Liebe Gottes, verknüpften, das macht mich froh.

Nehmen Sie sich noch andere Ziele für das neue Jahr vor?

Lurz: Die Heilig-Land-Fahrt ist ein Projekt. Ansonsten nehme ich jeden Tag dankbar hin, den mir der Herrgott schenkt. Weitergesteckte Ziele habe ich nicht. Das ist Chefsache.

Wie sieht an der Schwelle zum 80. Lebensjahr ein Tag bei Ihnen aus?

Lurz: Ich feiere jeden Tag die Messe, sonntags in der Unkeler Pfarrkirche oder in Rheinbreitbach, mache auch schon mal Aushilfe und Vertretung in Bruchhausen und Erpel. Gebet und Meditation nehmen täglich eine reservierte Zeit ein. Es ist die bleibende Erinnerung an mein Sabbat-Jahr in Notre Dame de Vie in Südfrankreich.

Ist Ihnen Unkel zur kleinen Heimat geworden?

Lurz: Ja, meine Wohnlage am Rhein, die wunderschöne Kirche mit ihrer Geschichte und der gute Unkeler Wein haben dazu beigetragen. Den Sonnenauf- und -untergang erlebe ich mit den Jahreszeiten, das ist oft ein Schauspiel.

Da ist der weite Blick auf den Strom, von dem aus Sie aufgebrochen sind… Und da sind Bilder und Fotos hier in ihrem heimischen Domizil, auch mit Päpsten.

Lurz: Die Begegnungen mit der Kirche auf den Philippinen, im Heiligen Land und in Frankreich haben mein Kirchenbild weit gemacht. Ich erinnere mich gern an das Heilige Jahr 1975, als wir mit 500 Pilgern aus Kaarst nach Rom reisten. Damit verbunden ist die Begegnung mit Papst Paul VI., dem ich das von Egino Weinert für ihn bestimmte Kreuz überreichte. Er sagte: „Wenn Sie wüssten, welche Freude Sie mir damit machen.“ Oder da ist das Bild vom Jesuskind auf der Dornenkrone: Als ich den Maler Walter Habdank besuchte und das Bild sah, hat es mich sofort in seinen Bann gezogen.

Bedrückt Sie, dass sich so viele Menschen von der Kirche abwenden?

Lurz: Ja, selbst dann, wenn Eltern engagiert sind, werden Kinder selten davon berührt.

Welche Erklärung haben Sie dafür?

Lurz: Die Lebenswelt ist innerlich so aufgelöst, unterliegt einer Erosion, Traditionen zerbröseln. Das tut weh und macht mich zum Teil auch ratlos. Wir haben unseren tollen Papst Franziskus, der zu seinem 80. Geburtstag Obdachlose zum Frühstück einlädt. Man muss diese Handlung richtig übersetzen, um zu begreifen, was das für das Selbstverständnis von Kirche bedeutet.

Wie feiern Sie Ihren 80. Geburtstag, Monsignore Lurz?

Lurz: Ich bin zu Hause, wer kommt, ist herzlich willkommen.

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