Treffen von Geflüchteten im Siebengebirge „Wer will schon ewig Flüchtling sein?“

BAD HONNEF · Historikerin Renate Mahnke und Diplom-Sozialwissenschaftlerin Annemarie Große-Jütte haben Vertriebene eingeladen, um im Honnefer Gutenberghaus über ihre Erlebnisse zu berichten. Die Veranstalter haben auch einen Bogen zur Gegenwart geschlagen.

 Fanden nach der Flucht eine neue Heimat: Zeitzeugen tauschen sich im Gutenberghaus aus.

Fanden nach der Flucht eine neue Heimat: Zeitzeugen tauschen sich im Gutenberghaus aus.

Foto: Frank Homann

„Wir waren acht Tage in Viehwaggons unterwegs und strandeten im Kreis Diepholz“, erzählte Wally Feiden. „Im Juni 1946 wurden wir aus unserem Heimatdorf zwischen Breslau und Schweidnitz vertrieben.“ Das war vor 70 Jahren. Im Gutenberghaus berichtete die frühere Honnefer Bürgermeisterin über ihre Erlebnisse.

Historikerin Renate Mahnke und Diplom-Sozialwissenschaftlerin Annemarie Große-Jütte hatten in einer Zeit, in der auch im Siebengebirge Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern Aufnahme suchen, Bürger aus Bad Honnef eingeladen, die in ihrem Leben ähnliche Erlebnisse hatten.

Bei der Veranstaltung des Vereins Gutenberghaus und der Volkshochschule (VHS) Siebengebirge ging es dabei um Flucht und Vertreibung im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Nicht gekommen waren Zeitzeugen von politisch motivierten Fluchten aus der späteren DDR oder aus den Ostblockstaaten nach Ereignissen wie dem Ungarn-Aufstand, der sich in diesem Oktober zum 60. Mal jährt, dem Prager Frühling 1968, dem Kriegsrecht in Polen 1981/83 oder dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre.

Große-Jütte verteilte nach dem Gedankenaustausch an alle Teilnehmer einen Fragebogen. Auch die zweite Generation soll später noch befragt werden.

Auch Franz Wolscht kam wie Wally Feiden aus Schlesien. Während die frühere Bürgermeisterin in Norddeutschland aufwuchs und erst später nach Aegidienberg gelangte, waren Honnef, Aegidienberg und Königswinter für Wolscht und rund 250 weitere Bewohner seines Heimatdorfes Krummöls gleich die erste Adresse. „Mit 17 Jahren kam ich 1946 in Honnef an. Wer will schon ewig Flüchtling sein?“, sagte er.

Bei der Firma Juncker konnte er seine Mechanikerlehre fortsetzen. „Unser Ort war katholisch – hier waren die meisten Leute katholisch, das war harmonisch. Ich schloss mich schnell dem Kolpingsverein und dem Turnverein an. Wir feierten unsere Heimatkirmes.“

Beide Zeitzeugen erinnerten sich daran, wie sie zunächst vor der vorrückenden Front flüchteten, nach mehreren Wochen aber in ihre Dörfer zurückkehrten. Im Jahr darauf mussten sie innerhalb kurzer Zeit ihre Heimat für immer verlassen. „Zum Zug mussten wir 20 Kilometer in die Kreisstadt laufen. Das war Schikane. Ich bekam wie einen Rucksack das Töpfchen umgeschnallt“, erzählte Wally Feiden. Das tat noch gute Dienste. „Denn während der Reise durften wir bei Stopps die Waggons nicht verlassen.“

Sie gelangten im Norden als Katholiken in ein evangelisches Dorf. „Das war nicht so einfach. Auf dem Schulhof wurde ich als 'katholische Flüchtlingssau' beschimpft. Die Leute mussten Räume für uns hergeben. Da baut man erst mal Mauern auf und schottet sich ab. Die beiden Töchter des Bauern, bei dem wir in der Futterküche untergekommen waren, durften nicht mit uns reden.“

Helmut Kongehl stammt aus Königsberg. „Im April haben uns die Russen aus dem Keller geholt. Wir haben dann zwei Jahre am Rande von Königsberg gehaust. Ende 1947 wurden all die, die noch nicht erschossen oder erschlagen waren, zusammengetrieben.“ Dann ging es ins Ruhrgebiet. „Ich hatte keine Schwierigkeiten, aber meine Schwester – sie verstand die Sprache im Ruhrpott nicht.“

Annemarie ten Haaf und Rüdiger Kammerer berichteten von ihren Begegnungen mit Flüchtlingen. „Mit sechs, sieben, acht Jahren habe ich sehr aufmerksam beobachtet, wie bei uns in Ostbayern die ,Flüchtlinge‘ aus dem Sudetenland und Niederschlesien ohne jeden Respekt und ohne jedes Mitleid aufgenommen wurden. Denen ging es nicht gut bei uns.“

Als dann die Landesregierung Wohnungen für sie errichtete, „war die Akzeptanz gut“. Annemarie ten Haaf konnte sich als damalige Hilfskrankenschwester noch gut an das Eintreffen der Krummölser erinnern. Da habe es keine Probleme gegeben. Eher Mitleid der Honnefer mit den Vertriebenen.

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