Beauftragter für Flugunfalluntersuchung „Festlegungen und Prognosen gewöhnt man sich ab“

Köln/Bonn · Wenn Flugunfälle passieren, gibt es eine Untersuchung. Das Ziel ist, künftige Unfälle und Unglücke zu vermeiden. Klaus Schinzel ist Beauftragter der Bundesstelle Flugunfalluntersuchung (BFU) am Flughafen Köln/Bonn und einer der ersten am Unglücksort.

Er ist schon von weitem zu erkennen. Klaus Schinzel trägt eine weite gelbe Signaljacke mit einem gut sichtbaren Aufnäher der BFU – der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung. Der Mittfünfziger aus Troisdorf ist einer von vier Beauftragten der BFU am Flughafen Köln/Bonn. Die Bundesstelle ist eine kleine Behörde mit Sitz in Braunschweig, deren Sachkundige und Experten Unfälle und Störungen im Flugbetrieb untersuchen.

Wann immer es am Flughafen Köln/Bonn zu einer Störung oder einem Unfall kommt, wird Klaus Schinzel benachrichtigt. Er ist dann einer der ersten vor Ort, um Fakten zu sammeln, Spuren zu sichern und mit der Besatzung des jeweiligen Flugzeuges zu sprechen. Die Verkehrssprache an Bord ist Englisch, selbstverständlich. Und Klaus Schinzel ist so nah bei seinem Thema, dass es im Gespräch vorkommt, dass er nach einer passenden Übersetzung eines Fachbegriffes ins Deutsche sucht.

„Das ist kein einfacher Moment“, sagt Klaus Schinzel über den Augenblick, wenn er an Bord eines Flugzeuges nach einer Störung oder einem Unfall geht. Die Besatzungen begegnen ihm mitunter mit Skepsis. Einige haben Angst, etwas falsch gemacht zu haben, fürchten um ihre Lizenzen. Kein Wunder: wenn Schinzel an Bord kommt, nimmt er den Flugschreiber, den Voice-Recorder, die Radardaten und sämtliche Papiere der Besatzung und des Flugzeuges an sich. Dies alles dient jedoch nicht Schuldzuweisungen. Die Beauftragten der BFU haben einen klaren Auftrag. „Ziel und Zweck unserer Arbeit ist es, Erkenntnisse zu gewinnen, die das Fliegen sicherer machen“, sagt Klaus Schinzel. Und fügt hinzu: „Bei unserer Arbeit geht es nicht darum, Verursacher oder Schuldige zu finden, wir wollen lediglich künftige Unfälle und Störungen vermeiden.“

Hat Klaus Schinzel sich einen ersten Eindruck verschafft, er nennt es „Fakten sammeln“, telefoniert er mit seiner Behörde in Braunschweig. Erst dort und auf Grundlage seiner Beobachtungen entscheiden Experten, ob es sich bei dem vorliegenden Fall überhaupt um eine Störung oder einen Unfall handelt. Im Flugunfalluntersuchungsgesetz (FlUUG) ist genau festgeschrieben, wie sich beide Fälle definieren.

Ein Unfall etwa ist ein Ereignis, „bei dem Betrieb eines Luftfahrzeugs […] eine Person tödlich oder schwer verletzt worden ist, […], das Luftfahrzeug oder die Luftfahrzeugzelle einen Schaden erlitten hat und dadurch der Festigkeitsverband der Luftfahrzeugzelle, die Flugleistungen oder die Flugeigenschaften beeinträchtigt sind, [… oder] das Luftfahrzeug vermisst wird oder nicht zugänglich ist. Eine Störung ist ein „anderes Ereignis als ein Unfall, das mit dem Betrieb eines Luftfahrzeugs zusammenhängt und den sicheren Betrieb beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte. Eine Schwere Störung ist ein „Ereignis beim Betrieb eines Luftfahrzeugs, dessen Umstände darauf hindeuten, dass sich beinahe ein Unfall ereignet hätte.“

Die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten für Klaus Schinzel ist dementsprechend groß. Sie reicht von einem Absturz bis hin zu einem kaputten Lämpchen, das eine wichtige Anzeige für den Piloten unlesbar macht und so zu einer Störungsmeldung zwingt. Die Besatzungen der betroffenen Flugzeuge haben keine Wahl: Eine Störung ist meldepflichtig. So will es das Gesetz. Und nicht nur in Deutschland. International gibt es in fast jedem Land eine Behörde, die der BFU ähnlich ist. Den Rahmen dafür gibt die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO).

1998 ist die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung als eigene Behörde errichtet worden. Vorher war sie als Flugunfalluntersuchungsstelle dem Luftfahrtbundesamt unterstellt. Seit 1983 arbeitet Klaus Schinzel auf dem Flughafen Köln/Bonn und ist seit dem Jahr 2000 Beauftragter der BFU. In dieser Zeit hat er schon einiges gesehen. Etwa den Absturz einer Maschine 1986 mit fünf Menschen an Bord. Der Pilot hatte einen Triebwerksausfall simulieren wollen und konnte die Maschine nicht mehr steuern. Sie stürzte in der Nähe des Towers neben der Bahn ab. Alle Insassen starben. Aber es gibt auch Unfälle, an die er schmunzelnd zurückdenken kann. Ende der 1980er Jahre ist eine Boeing 707 über die Piste hinausgeschossen. Die Frachtmaschine war übervoll mit Bohnen, die dann von einem Bergepanzer geborgen werden mussten.

Von jemandem, der seit Jahren Flugunfälle untersucht und aus der Ferne beobachtet, erwartet man, dass er auf Anhieb erkennt, wo der Fehler liegt. Klaus Schinzel hält jedoch überhaupt nichts von Ad-hoc-Statements nach einer Auffälligkeit. Die Arbeit für die BFU hat ihn gelehrt, dass der erste Schein trügen kann und es mitunter Monate und Jahre dauert, bis die Ursache für eine Störung – und im schlimmsten Fall für einen Absturz – geklärt ist. „Festlegungen und Prognosen gewöhnt man sich ab“, sagt er, „das ist alles rein spekulativ“. Eine Störung kann sehr viele Ursachen haben, die auf den ersten und auch auf den zweiten Blick einfach nicht erkennbar sind.

Er nennt ein Beispiel: Auf dem Flughafen musste ein Kleinflieger mit vier Personen an Bord notlanden, der von Bremen nach Saarbrücken unterwegs war. Die Piloten hatten einen elektrischen Geruch gemeldet, so werden Schmorbrände benannt. Sie waren sich nicht sicher, ob es in oder an ihrem Flugzeug brennt: die Notlandung war eine Vorsichtsmaßnahme. Der Geruch konnte sehr unterschiedliche Ursachen haben: Hat jemand geraucht? War leicht entzündliches Material an Bord? Gab es einen Kurzschluss? Am Ende fanden die Techniker heraus, dass es sich um einen Schmorbrand an einer defekten Platine gehandelt hat.

Das Unglück des Swissair-Fluges 111 von Halifax 1998 ist ein Beispiel aus dem internationalen Flugbetrieb, wie ernst Brandgeruch zu nehmen ist, erinnert Klaus Schinzel. Die Besatzung hatte einen seltsamen Geruch der Klimaanlage zugeordnet - und ein Schmorbrand hat danach unbemerkt wichtige Bordelektronik zerfressen. Das Flugzeug stürzte über dem Meer ab, alle 229 Insassen starben.

Erst 2003 war vollständig aufgeklärt, wo der Fehler gelegen hatte: Ein Dämmmaterial war nicht feuerfest genug gewesen. Als Resultat aus dem Unglück wurden Sicherheitsempfehlungen ausgesprochen. Es gab neue Standards für Materialtests auf Feuerfestigkeit, außerdem den Einsatz von Feuermeldern in Flugzeugcockpits und die Installation von Videokameras in Hohlräumen. Zusätzlich sollte Flugpersonal besser für die Brandbekämpfung trainiert werden. Am 25. Dezember 2003 hat das Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig als Konsequenz aus der Katastrophe den Austausch aller Isolationen dieser Art für Flugzeuge in Deutschland angeordnet.

Dieses Mehr an Sicherheit ist nur eines von vielen Ergebnissen der Flugunfalluntersuchungen, sagt Klaus Schinzel. Trotz der mitunter langen Aufklärungszeit verfolgt er alle Fälle, die er aufgenommen hat, genau. Und auch nach Feierabend lässt ihn die Sache nicht los. So gehören seine Follower auf Twitter immer mit zu den ersten, die wissen, wo auf der Welt Flugunfälle und Abstürze geschehen sind.

PS: Da – zum Glück und wohl dank jahrelanger erfolgreicher Flugunfalluntersuchungen – nicht täglich Störungen oder Unfälle zu untersuchen sind, arbeitet Klaus Schinzel hauptberuflich im Safety-Management des Flughafens Köln/Bonn. Hier sorgt er für die Sicherheit auf den Flugbetriebsflächen. Für den reibungslosen und sicheren Ablauf am Airport ist es wichtig, dass sich das Bord- und das Bodenpersonal sehr genau an die Vorschriften hält: Wo und wie darf eine Maschine parken? Wann und von welcher Seite werden die Treppe, die Gepäck- und die Tankwagen an die Flugzeuge herangebracht? Dies alles sind Fragen des Safety-Managements.

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