Interview mit Troisdorfer Helfer Rupert Neudeck "Die Spenden waren für mich ein Auftrag"

Zehn Jahre nach der Tsunami-Katastrophe: Rupert Neudeck aus Troisdorf erinnert sich an seinen Hilfseinsatz.

 Ein Elefant räumt Trümmer in Banda Aceh, Indonesien, weg. Das Bild entstand am 10. Januar 2005.

Ein Elefant räumt Trümmer in Banda Aceh, Indonesien, weg. Das Bild entstand am 10. Januar 2005.

Foto: AP

Unmittelbar nach der Tsunami-Katastrophe am zweiten Weihnachtstag vor etwas mehr als zehn Jahren reiste auch Rupert Neudeck aus Troisdorf, Chef der Organisation "Grünhelme" und Gründer von "Cap Anamur", in eines der Krisengebiete - und zwar in das indonesische Dorf Pulau Kayu (Aceh/West Sumatra). Dort half er beim Wiederaufbau. Insgesamt waren 14 Länder von dem Tsunami betroffen, die Katastrophe forderte fast 250 000 Todesopfer. Mit Neudeck sprach GA-Mitarbeiter Paul Kieras über seinen Einsatz.

Wann und wo haben Sie von der Katastrophe erfahren?
Rupert Neudeck: Ich war über Weihnachten zu Hause und habe von dem Tsunami aus den Nachrichten im Fernsehen erfahren.

Was war Ihr erster Gedanke?
Rupert Neudeck: Mein erster Gedanke war natürlich, wie man dort Hilfe leisten könnte. Ich stand dem Ganzen aber zunächst abweisend gegenüber, weil mir schnell klar wurde, dass bei einer solch gewaltigen Katastrophe, die sich ja über zwei Kontinente erstreckte, nur Staaten helfen konnten. Da mussten meiner Meinung nach ganze Ärztebataillone hin.

Was hat Sie dazu bewogen, doch tätig zu werden?
Rupert Neudeck: Ich habe damals eine unglaubliche Anteilnahme der Bevölkerung erfahren. Menschen, die mich natürlich kannten, sprachen mich auf der Straße an und das Telefon stand nicht mehr still. Jeder fragte: Macht ihr was? Schon nach wenigen Tagen war eine unglaubliche Spendensumme zusammengekommen. Diese Spenden waren für mich wie eine Abstimmung, wie ein Wählerauftrag. Bereits in der ersten Januarwoche ging es los.

Wohin führte Ihr Weg?
Rupert Neudeck: Ich reiste über Taiwan in die Provinzhauptstadt Banda Aceh auf der indonesischen Insel Sumatra. Dort hatte die Uno ein Hauptquartier errichtet und Hilfsgüter gesammelt. Es wimmelte von Hilfsorganisationen, und ich erkannte, dass es an dieser Stelle nichts für uns zu tun gab. Banda Aceh war nur einer von vielen betroffenen Orten, aber hier ballte sich die Hilfe. Deshalb beschloss ich, eine abseits der Hauptstadt gelegene Region entlang der betroffenen Küste aufzusuchen. Zusammen mit einigen indonesischen Studenten, die ich im Hotel kennengelernt hatte, brach ich mit einem Taxi auf, obwohl mir seitens der Uno davon abgeraten worden war. Man sagte mir, sämtliche Brücken wären zerstört und außerdem lebe in den betroffenen Gebieten niemand mehr.

Wo landeten Sie?
Rupert Neudeck: Im Dorf Pulau Kayu, wo ich auf eine völlig verängstigte Bevölkerung traf, die mit 220 Familien unter erbärmlichen Umständen in einer ehemaligen Textilfabrik Zuflucht gefunden hatte. Sonst stand kein Haus mehr. Wir wollten noch im Januar mit dem Wiederaufbau beginnen, was uns von den Menschen dort zunächst keiner geglaubt hat.

Gab es Kritik an Ihrem Vorhaben?
Rupert Neudeck: Nicht von den Bewohnern, aber viele schüttelten den Kopf, dass wir wieder Holzhäuser errichten und nicht weiter im Landesinneren eine neue Heimat für die Opfer schaffen wollten. Uns ging es aber darum, die Häuser an deren Kultur anzupassen. Deshalb bauten wir sie wieder aus Holz, aber auf einem Betonsockel. Im Landesinneren hätte es keinen Sinn gehabt, denn die Menschen leben von der Fischerei.

Was waren die ersten Schritte?
Rupert Neudeck: In einer Moschee haben wir unsere Pläne vorgestellt, dann in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung eine Schreinerei eingerichtet und losgelegt. In nur acht Monaten konnten wir 250 Häuser und eine Schule bauen, bis zum Jahresende dann noch ein neues Dorf in der Nachbarschaft mit weiteren rund 70 Häusern. Wir haben auch Straßen angelegt, die zum Teil als Dank an die Spender nach deren Städten benannt wurden. So gibt es etwa eine "Gang Troisdorf" und eine "Gang Kevelaer", von dort kam auch eine erhebliche Spendensumme.

Was hat Sie nachhaltig beeindruckt?
Rupert Neudeck: Einmal, dass erstmals die Gesetze des Fundraisings (Beschaffung finanzieller Mittel für gemeinnützige Organisationen, Anm. d. Red.) auf den Kopf gestellt wurden. Danach ist statistisch gesehen nach dem zweiten Weihnachtstag Schluss mit Spendenbereitschaft. Die Menschen haben aber vor zehn Jahren Milliarden Euro gespendet - und das unmittelbar nach Weihnachten.

Und außerdem?
Rupert Neudeck: Dass eine Katastrophe auch Frieden bringen kann. Die indonesische Regierung bekämpfte damals Separatisten, die die Unabhängigkeit von Aceh zum Ziel hatte. Nicht zuletzt bedingt durch die Tsunami-Katastrophe und den Wiederaufbau führte man 2005 erfolgreiche Friedensgespräche, bei denen beide Seiten Kompromisse machten und eine Einigung fanden.

Zur Person

Rupert Neudeck wurde 1939 in Danzig geboren und floh als Fünfjähriger mit seiner Familie vor der Roten Armee nach Deutschland. Nach seinem Abitur studierte er Philosophie, Germanistik, Soziologie und Katholische Theologie. 1972 promovierte er in Philosophie. Neben seiner späteren Tätigkeit als Redakteur beim Deutschlandfunk engagierte sich Neudeck für vietnamesische Flüchtlinge und gründete "Ein Schiff für Vietnam", woraus 1982 "Komitee Cap Anamur/ Deutsche Notärzte e.V." wurde. 2003 war er Mitbegründer des Friedenskorps "Grünhelme e.V.", das den Wiederaufbau kriegszerstörter Schulen und Krankenhäuser fördert. Neudeck lebt mit seiner Frau Christel in Troisdorf.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort