Die letzte "Barriere" vor dem Rhein Als der Krieg nach Heimerzheim kam

SWISTTAL-HEIMERZHEIM · Der Krieg ist längst verloren. An der Ostfront rücken die Russen auf Berlin vor, nach der Invasion in der Normandie im Juni 1944 nähern sich die alliierten Truppen von Westen. Um diese möglichst lange vom Rhein fernzuhalten, baut die Wehrmacht auch das Dorf Heimerzheim zur "Festung" aus.

 Auch im Hof von Fritz Mandt an der heutigen Vorgebirgsstraße waren Soldaten einquartiert. FOTOS: AK HEIMAT

Auch im Hof von Fritz Mandt an der heutigen Vorgebirgsstraße waren Soldaten einquartiert. FOTOS: AK HEIMAT

Oberhalb des Ortes hat man Flakgeschütze in Stellung gebracht, am Waldrand und in den Feldern werden 37 Kilometer Schützengräben ausgehoben, aus denen man die fremden Soldaten bekämpfen will. Die Gräben sind heute noch gut im Gelände zu erkennen. In der Nähe von Heimerzheim existieren Feldflugplätze bei Ollheim, Vershoven und Odendorf. Dazu die Festung Gut Capellen bei Dünstekoven mit ihrer Artilleriestellung und das "Potemkinsche Dorf" bei Müggenhausen, das die feindlichen Bomber seit 1940 mehrmals zu verfrühten Abwürfen bewegte. In Heimerzheim sind Anfang 1945 etwa 500 Soldaten der Wehrmacht einquartiert, bis Mitte Februar auch einige SS-Einheiten. Hunderte Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene bevölkern die Höfe oder schlafen in den Sälen der Gaststätten, in Scheunen und in Feldlagern.

Alles in allem ist Heimerzheim mit seiner Lage am Fuße des Vorgebirges, der letzten "Barriere" vor dem Rhein, also ein strategisches Ziel für die Alliierten, die sich auf ihrem Vormarsch nicht mehr so lange wie bei der verlustreichen Schlacht im Hürtgenwald bei Aachen aufhalten lassen wollen. Und so werden dann auch Kleinstädte wie Rheinbach und Dörfer wie Meckenheim und Heimerzheim aus der Luft bombardiert.

Bereits seit 1943 haben amerikanische und britische Luftaufklärer die Gegend kartographiert. Ihnen bleibt keine militärische Einrichtung verborgen. Wie aus der von Pfarrer Theodor Giesen verfassten Pfarrchronik hervorgeht, passieren im August und September 1944 endlose Flüchtlingsscharen das Dorf. Die Leute kommen aus den Dörfern und Städten der Aachener und Dürener Gegend. Teilweise übernachten sie im Ort, um weiter in Richtung Bonn zu ziehen. "Auf Fuhrwerk und Handwagen ist die notdürftigste Habe verstaut und dahinter trollen mühsam und schwerfällig Kühe und Rinder. Im September erfolgen die ersten Einquartierungen. Auch das Pfarrhaus wird belegt. Die Arbeit auf den Feldern ruht, nur das notwendigste wird getan", notiert der Pfarrer.

Im Herbst 1944 beginnen die Heimerzheimer aus Angst vor Luftangriffen, Betonbunker und Schutzstollen in den Hang zu bauen: hinter dem heutigen Hotel Weidenbrück, unterhalb der heutigen Sekundarschule und am heutigen Friedhof. Die Bürger müssen die Fenster mit schwarzem Papier verdunkeln, damit die Bomberpiloten keinen Lichtschein sehen. Pfarrer Giesen über den Heiligen Abend 1944: "Der Andrang an den Beichtstühlen ist sehr stark. Gegen halb 7 Uhr setzt Fliegeralarm ein. In der Ferne rollt der Donner der Fliegerabwehrgeschütze. Die Kirche leert sich. Die Fliegerabwehr im Bezirk Bonn setzt ein. Durch die Finsternis über uns rollen Bombenflugzeuge ostwärts. Bald dröhnen aus Bonn die ersten Explosionen herüber und schon steigen Feuergarben und rote Brandwolken am Himmel auf. Bonn brennt. Ein grauenhafter Heiliger Abend. Es ist bitterkalt. Zahllose verlieren Leben, Haus und Heimat. Friede den Menschen, wir gehen stumm auseinander."

Ende 1944 wird die Volksschule geschlossen, denn es gibt kein Heizmaterial mehr. Der Ort ist im Januar 1945 voll von Soldaten und Schanzarbeitern. Der Kanonendonner rollt vom Westen Tag und Nacht über das Dorf. Man kann den Ort nicht verlassen, schreibt Giesen in der Pfarrchronik, ohne Gefahr zu laufen, von Jagdbombern beschossen zu werden. "Keiner arbeitet mehr auf dem Feld. Eine Unzahl von Bomben ist auf dem Mühlenberg gefallen. Die Felder sind wie umgewühlt. Der Ort sieht aus wie ein Dorf hinter der Front. Tag und Nacht gehen und kommen Soldaten und Flüchtlinge."

Anfang Februar 1945 bricht die Stromversorgung zusammen, die Sirenen müssen von Hand gedreht werden. Es gibt weder Brot im Dorf, noch Kohlen oder Briketts. Die öffentliche Wasserleitung ist zerbombt. Die Menschen holen sich Wasser aus alten Brunnen.

Den 1. März schildert der Pfarrer so: "Die Dorfbewohner werden nervös, ein Teil packt das notwendigste Hab und Gut auf Wagen und Wägelchen. Es sind die alten Parteigenossen. Sie wollen ihr Heil jenseits des Rheines suchen. Die Zurückgebliebenen beginnen in Kellern und Erdlöchern sich einzurichten. Der Zustrom von Flüchtlingen dauert dabei an. Gegen Abend verbreitet sich eine unheimliche Ruhe über das Dorf. Soldaten und Flüchtlinge sind größtenteils verschwunden. Eine Verbindung mit der Außenwelt gibt es nicht mehr, da der Rundfunk, die letzte Nachrichtenquelle ausgefallen ist."

Es ist Samstag, der 3. März 1945, der als schwarzer Tag in die Geschichte Heimerzheims eingeht. Im Bombenhagel sterben 180 Menschen. Knapp 1200 Einwohner zählt das Dorf damals. Gegen 10.55 Uhr nähert sich von Westen ein amerikanischer Bomberverband mit 36 Flugzeugen. Als diese ihre 218 Stück 500-Pfund-Bomben ausklinken, liegt ein Drittel des Dorfes eine Minute später in Schutt und Asche.

Am Abend zählt man über 100 Tote, die aus den Trümmern bereits geborgen sind. In den nächsten Tagen steigt die Zahl der Toten auf über 180 Personen. Etwa jeder achte Einwohner von Heimerzheim kommt ums Leben. Die Gruppe 410 der amerikanischen 9. Bomberdivision hat den Auftrag, das "Kommunikationszentrum Heimerzheim" zu zerstören, heißt es in einem US-Report aus dem amerikanischen Kriegsarchiv NARA. Es ist einer von vielen Angriffen, die die Alliierten auf den letzten massiven Widerstand der deutschen Wehrmacht in der Region führen, um den Weg ins Rheintal frei zu machen und weiter nach Osten zu gelangen.

Die Schmergasse, heute ein Teil der südlichen Kirchstraße, war besonders betroffen. Von ehemals 27 Häusern standen nur noch elf. Alleine in der Schmergasse waren über 40 Tote zu beklagen. Bereits am 6. März zogen amerikanische Einheiten in das Dorf ein und besetzten es.

Die Pfarrgemeinde Sankt Kunibert Heimerzheim lädt für Dienstag, 3. März, 10.45 Uhr, zu einer Gedenkfeier für die Opfer des Bombenangriffs vor 70 Jahren am Ehrenmal vor der katholischen Kirche ein. Um 11.03 Uhr, als die Bomben fielen, werden die Kirchenglocken läuten.

Wie sich der Zweite Weltkrieg nach der Invasion der Alliierten im Juni 1944 in der Normandie und bis zum Kriegsende im Mai 1945 in Heimerzheim entwickelte, schildern Georg Schmidberger, Gerta Bauer und Karl Wirtz vom Arbeitskreis Heimat in einem Vortrag mit alten Fotos am Mittwoch, 4. März, ab 19.30 Uhr im katholischen Pfarrzentrum. Der Eintritt ist frei(willig).

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