Friseursalon als Bühne Waschen, schneiden und Theater spielen

SIEGBURG · Dass Friseursalons auch Stätten von höchst kreativer Kunstausübung sein können, liegt nicht nur an den Anforderungen aktueller Trendfrisuren. In solchen Salons wachsen und gedeihen auch scheinbar "fachfremde" Künste. Beispielsweise der Barbershop-Gesang, der sich als klangvolle Begleitung des Haarschnitts in der Mitte des 19. Jahrhunderts in amerikanischen Friseursalons zu einer eigenen Kunstrichtung gemausert hat.

 Wandlungsfähig: Hatice Karagöz' (links) Motto lautet "waschen, schneiden, Theater".

Wandlungsfähig: Hatice Karagöz' (links) Motto lautet "waschen, schneiden, Theater".

Foto: Andreas Dyck

Auch mit Theater lässt sich gut abschneiden - dachte wohl Hatice Karagöz, als sie unter dem Motto "Waschen, schneiden, Theater" jüngst zum mehrfachen Bühnengenuss einlud. Fünf Mal volles Haus hatte die Friseurmeisterin mit ihrer Aufführung des Stücks "Die Widersacherinnen", zuletzt am vergangenen Sonntag.

Die grünen Haare, die der Friseurin als Darstellerin einer jungen, aufbegehrenden Revolutionärin im Stück "Die Widersacherinnen" (nach dem Stück "Le Conquerence" von Gerard Bagardie) wie "auf den Kopf geschrieben" scheinen, sind auch jenseits der Aufführung ein absolutes Muss für Karagöz.

"Lange Zeit waren meine Haare gelb, dann dunkelgrün, auch türkis und jetzt ist Grün die Hoffnung für mich", sagt Karagöz mit einem Lächeln im Gesicht. Die 42-jährige ist eine schmale, eher zierliche Person, aber ihre Körperhaltung verrät Kraft und Darstellungsvermögen. "Ich bin sehr diszipliniert", sagt die ehemalige Kunstturnerin im TuS Dollendorf. Disziplin und Rebellion seien in mehreren Abschnitten ihres Lebens für sie wichtig gewesen.

"Die Mitte war von Anfang an die Rebellion", sagt Karagöz, die als fünftes von neun Kindern genau auf diese Rolle abonniert war. "In der eigenen Familie stand ich immer für den Umbruch und die Suche nach neuen Wegen", sagt die Alewitin, die im Alter von neun Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. In einem bunten, kulturell aufgeschlossenen Klima wuchs sie auf und entdeckte in Köln früh ihre Liebe zum Theater, wenngleich der Friseurberuf immer ein solides Einkommen für sie sicherte.

Doch weder auf das eine, noch auf das andere will sie verzichten. Bereits als ausgebildete Friseurin stand sie im Kölner Arcadas-Theater als Laienschauspielerin auf der Bühne, spielte mit 23 Jahren die Hauptrolle in einem türkischen Musical. Seit 2010 ist Karagöz mit einem eigenen Friseursalon, dem Salon "Chamäleon" an der Bahnhofstraße in Siegburg, selbstständig - kein Hinderungsgrund für sie, vor zweieinhalb Jahren eine theaterpädagogische Ausbildung zu beginnen. Teil dieser Ausbildung ist die Erarbeitung eines eigenen Theaterprojekts mit Laien.

Eine Kundin konnte Karagöz für dieses Projekt gewinnen. Jane March ist in den "Widersacherinnen" - einem anspruchsvollen Zwei-Personen-Stück - Karagöz' Gegenspielerin. Im Unterschied zur jugendlichen Rebellin spielt March die reife Dame an der Spitze eines fiktiven Staates. Beide buhlen um die Macht - die eine als demokratisch gewählte Präsidentin, die andere als politische Widersacherin am Vorabend eines möglichen Regierungssturzes. Das packende, anspruchsvolle Stück aus dem Jahr 2002 meistern beide faszinierend und mit hohem darstellerischen Anspruch.

Das anderthalbstündige Wortgefecht der Kontrahentinnen ist ein Schlagabtausch mit präzisen Pointen und emotionalem Tiefgang. Für fünf Vorstellungen verwandelte Karagöz ihren Salon "Chamäleon" in eine Kleinkunstbühne. Der Name sei inzwischen für ihr eigenes Leben zum Programm geworden, gibt die Powerfrau zu, die sich beiden Bühnen - Theater wie Friseursalon - hervorragend anpasst und auf beiden zu Hause fühlt.

Angetan ist Karagöz von der Begeisterungsfähigkeit ihrer Zuschauer, die dem intensiven Dialog-Stück in ihrem Salon gespannt gefolgt sind. "Das war überwältigend", sagte Karagöz nach dem Vorstellung am Sonntag. "Wir sind aber auch neuen Räumen gegenüber aufgeschlossen und würden uns auch für andere Kleinkunstbühnen oder Schulen buchen lassen", sagt die Schauspielerin, die jetzt das nächste Theaterprojekt angeht, aber noch nicht verrät, welches Stück es sein wird. Man darf gespannt sein.

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