Gesundheitspolitik Suchtkranke bangen um Therapie

Rhein-Sieg-Kreis · Der Rhein-Sieg-Kreis bezahlt keine Sozialberichte mehr. Die Rentenversicherung lehnt Übernahme auch ab.

Wenn Verzweiflung ein Abbild hat, dann ist es in den Gesichtern der Menschen zu finden, die sich jetzt Hilfe suchend an den General-Anzeiger gewendet haben. Was sie eint, ist die Alkoholsucht in unterschiedlichen Stadien. Und die Wut auf das System, von dem sie sich im Stich gelassen fühlen.

Seit dem 1. Oktober zahlt der Rhein-Sieg-Kreis kein Geld mehr für ihre Sozialberichte. Um genauer zu sein: Für keinen einzigen Sozialbericht mehr eines Suchtkranken. Das hat nach GA-Informationen noch kein anderer Kreis und keine andere Stadt in Deutschland umgesetzt. Bislang fertigten die Suchtberatungsstellen von Caritas und Diakonie die Berichte an. Sie enthalten so etwas wie ein genaues Persönlichkeitsbild des Suchtkranken. Adressat des Berichtes ist die Deutsche Rentenversicherung. Denn ohne Sozialbericht bewilligt sie keine Therapie.

"Wer bestellt, bezahlt auch", erklärte Pressesprecherin Rita Lorenz auf Anfrage das Vorgehen des Rhein-Sieg-Kreises. Auftraggeber für die Berichte sei die Rentenversicherung, die der Kreis damit rechtlich in der Pflicht sieht.

Auf der Suche nach Einsparmöglichkeiten waren Kreismitarbeiter auf die Suchtberatungsstellen gestoßen. "Für einen Bericht brauchen Sie vier Fachleistungsstunden, was 200 Euro entspricht", so Lorenz. Im Jahr habe der Kreis bislang für 200 Sozialberichte gezahlt. Macht also 40 000 Euro, die für andere Dinge ausgegeben werden können. "Wir wollen unsere Beratungsaspekte erweitern und uns mehr um die Kinder von Suchtkranken kümmern", kündigt die Kreis-Sprecherin an.

Kann sie verstehen, dass sich die Kranken alleingelassen fühlen? "Ja, aber wir haben dem Rentenversicherungsträger unseren Entschluss im Juni mitgeteilt." Im Folgenden hätten dann Gespräche vonseiten des Versicherers nur schwer bis gar nicht stattgefunden.

Das bestätigt indirekt Andreas Feuser, Pressereferent der Deutschen Rentenversicherung: "Für uns kam das eher überraschend." Das Vorgehen des Rhein-Sieg-Kreises sei durchaus als kritisch anzusehen. "Man kann ja keine gängige Praxis zulasten Betroffener einstellen, bevor Klarheit geschaffen wurde", meint Feuser. Wobei die Rentenversicherung für sich schon Klarheit zu haben scheint: "Die Erstellung von Sozialberichten gehört zum gesetzlichen Auftrag des Rhein-Sieg-Kreises", betont der Pressereferent.

Bereits 2003 habe beispielsweise das Verwaltungsgericht Köln festgestellt, dass die Erstellung des Sozialberichts eine eigenständige Aufgabe der Kreise ist, die ihnen im Rahmen der Drogen- und Suchtberatung zugewiesen sei.

Warum die Berichte so wichtig sind, erklärt Feuser auch: "Wir sind gehalten, bei der Genehmigung von Reha-Leistungen mit den Beitragsgeldern so umzugehen, dass in jedem Einzelfall auch tatsächlich entsprechend dem individuellen Bedarf die Leistungen bewilligt werden, die erfolgversprechend sind." Man habe den Kreis nun aufgefordert, im Interesse der Betroffenen schnellstmöglich die Erstellung der Sozialberichte wieder sicherzustellen, so Feuser.

Käme der Kreis mit seiner Sicht der Dinge durch, würden wohl auch andere Gebietskörperschaften in Deutschland nachziehen. Die dann auf die Rentenversicherung zukommenden Probleme sind für die Suchtkranken weit weg. "Für uns geht es um unser Leben", meint eine der betroffenen Alkoholsüchtigen, die sich beim GA gemeldet haben, hilflos.

Caritas-Chef Harald Klippel über die Finanzierungsfrage

Bereits seit September 2011 hat die Caritas Rhein-Sieg vom Rückzug des Kreises aus der Finanzierung gewusst. "Wir haben daraufhin gefordert, dass eine Lösung, auch für den Übergang, geschaffen wird, die nicht auf dem Rücken der suchtkranken Menschen ausgetragen wird", erklärte Caritas-Vorstandsvorsitzender Harald Klippel auf Anfrage.

Neben dem Diakonischen Werk an Sieg und Rhein begleitet die Caritas im Auftrag des Rhein-Sieg-Kreises suchtkranke Menschen und deren Angehörige. Grundlage ist eine Leistungs- und Qualitätsvereinbarung, die der Kreis nun neu gefasst hat - ohne einen Posten für die Sozialberichte. "Im Augenblick erleben wir, dass der Rhein-Sieg-Kreis und die Rentenversicherung sich auf Kosten der suchtkranken Menschen im Rhein-Sieg-Kreis beharken, die eine stationäre Maßnahme antreten wollen", sagt Klippel.

Die Beratungsstellen könnten gegen den Beschluss nicht vorgehen; "der Anspruchsberechtigte ist der Einwohner, der eine stationäre Behandlung wünscht. Insofern hat er einen Anspruch gegenüber dem Rhein-Sieg-Kreis oder gegenüber der Rentenversicherung", betont der Vorstandsvorsitzende. Er sieht übrigens die Einsparung bei lediglich 25 000 und nicht bei 40 000 Euro, wie der Kreis. Beide Träger würden pro Jahr etwa 170 Berichte für den Kreis schreiben. Bei den erforderlichen 2,5 Fachleistungsstunden ergebe das weniger als 25 000 Euro.

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