Kriegsende in der Region Hinrichtung im Wald von Rimbach

Rhein-Sieg-Kreis · Das Nachspiel einer Brückeneroberung von weltpolitischer Bedeutung hat sich unlängst zum 70. Mal gejährt: Oberhalb des 190-Seelen-Ortes Rimbach endete am 13. März 1945 das Leben von Major Hans Scheller, hingerichtet von einem Erschießungskommando.

 Ein Foto aus den Kriegstagen: Hans Scheller.

Ein Foto aus den Kriegstagen: Hans Scheller.

Foto: Axel Vogel

Nur eine nachträglich gepflanzte Birke, wie OrtsbürgermeisterWilfried Stahl zu berichten weiß, erinnert an die düsteren Ereignisse. Der 32-jährige Hans Scheller war kurz zuvor vom "Fliegenden Standgericht West" der Wehrmacht zum Tode verurteilt worden: Als Kommandant zusammengewürfelter Truppen in Remagen galt Scheller als Hauptschuldiger dafür, dass US-Truppen am 7. März 1945 die berühmte Ludendorff-Brücke unversehrt erobern konnten, die einzig intakte Brücke über den Rhein. Während der unverhoffte Erfolg den Alliierten half, den Krieg um Wochen zu verkürzen, zog der wutentbrannte Diktator Adolf Hitler die vermeintlich Verantwortlichen zur Rechenschaft.

Familie galt als geächtet

Eine fürchterliche Strafe war Schellers Hinrichtung im Wald von Rimbach vor allem für seine Familie. Lisel Scheller verlor ihren Mann und drei Kinder den Vater. Acht Monate alt war damals Schellers erstgeborener Sohn Gert, der mit seiner schwangeren Mutter und der älteren Schwester in Landshut lebte. Als wenn der Tod des Vaters nicht schon traumatisch genug gewesen wäre, sollte der Familie auch noch ein gesellschaftlicher Leidensweg bevorstehen: Sie galten als geächtet.

Lange Zeit schwieg der heute 70 Jahre alteGert Scheller, der heute in Bornheim-Widdig lebt, zu seiner tragischen Familiengeschichte. Doch 70 Jahre später hat sich einiges verändert. In einem Gespräch mit dem General-Anzeiger erinnert er an die dramatischen Ereignisse um die Brücke von Remagen im März 1945 und an das lange Ringen um die Wiedergutmachung des begangenen Unrechts an seinem Vater.

Seine Miene wird ernst

Wie lebte es sich als Sohn eines Offiziers, der als "Feigling" und "Verräter" gebrandmarkt war, der tatsächlich aber nie einer war? Die Miene von Gert Scheller wird ernst, als er in Gedanken nochmals in die Vergangenheit reist. Selbst der Zutritt zu einem Luftschutzbunker sei der hochschwangeren Mutter damals verwehrt worden. Es gab die Befürchtung, führt er aus, "dass wir in ein KZ kommen könnten". Auch der Untergang des Dritten Reiches im Mai 1945 hatte dieser Ächtung lange Zeit kein Ende bereitet.

Um ermessen zu können, wie tief der Fall der Familie war, blättert Scheller in der Familiengeschichte. Berufsoffizier Hans Scheller, dessen Vater Direktor des dortigen Wasser- und Elektrizitätswerkes in Landshut war, hatte in höchste Kölner Kreise geheiratet: Seine Frau Lisel stammte aus der Familie des berühmten Kölner Schokoladenfabrikanten Ludwig Stollwerck: "Das war mein Urgoßvater", so Gert Scheller.

Doch mit dem Ansehen der Familie war es nach der Hinrichtung des Vaters jäh vorbei: "Meine Mutter wurde damals in Landshut aus allen gesellschaftlichen Kreisen verbannt." Auch finanziell sei man von jeder Leistung wie der Witwenrente abgeschnitten worden.

Aus Not nach Köln übergesiedelt

Aus blanker Not siedelte die Familie nach Köln über. Doch auch dort mussten sie weiterhin um die Wiederherstellung der Reputation des Vaters kämpfen. Sohn Gert konnte sich nur langsam zusammenreimen, was passiert war "Wir haben nie über die Vergangenheit gesprochen. Es herrschte zu Hause absolutes Totschweigen über das Thema." Hinzu kam, dass Sohn Gert gegenüber der Mutter, die erneut geheiratet hatte, seinen eigenen Kopf entwickelte und bald ein Internat besuchte.

Trotzdem vereinten Mutter und Sohn der Glaube daran, dass Hans Scheller zu Unrecht bestraft worden war. Darin bestärkte Gert Scheller ein Besuch bei dem ehemaligen Wehrmachtsgeneral Otto Maximilian Hitzfeld, der ihn und seinen jüngeren Bruder 1959 eingeladen hatte.

Es war Hitzfeld gewesen, der seinem Adjutanten Hans Scheller im März 1945 den schwierigen Auftrag übertrug, die Brücke von Remagen zu verteidigen. "Mit Karten hatte uns Hitzfeld bei dem Besuch erklärt, wie damals die Situation in Remagen war", erinnert sich Gert Scheller.

Zu Unrecht erschossen

Der einstige Vorgesetzte des Vaters zeigte sich tief bewegt über die Geschehnisse: "Hitzfeld hat uns erklärt, dass ihm die Nachricht vom Tode meines Vaters unglaublich wehgetan hat." Für den hohen Offizier sei das die schlimmste Erfahrung im Krieg gewesen.

Bereits wenige Tage nach der Hinrichtung hatte Hitzfeld Lisel Scheller ausrichten lassen, dass ihr Mann zu Unrecht erschossen worden sei. Der Mann sprach sogar von einer "Ermordung", so Scheller junior. Schließlich handelte der im Krieg hochdekorierte Vater nicht wie ein "Verräter".

In der Forschung ist zudem belegt, dass Scheller sehr wohl den Befehl zur Sprengung der Remagener Brücke gegeben hatte. Trotzdem blieb diese intakt, was nach dem Wissen des Sohnes etwa an zu wenig und falschem Sprengstoff lag. Trotzdem witterte Hitler Verrat und befahl, ein Exempel an den befehlshabenden Offizieren zu statuieren. Dazu sollte das "Fliegende Standgericht West" Urteile fällen, die bereits im Vorfeld fest standen.

Standgericht im Gasthaus "Zur Linde"

"Aber statt zu den Amerikanern zu fliehen", so Gert Scheller, machte sich der Vater in Richtung Westerwald auf. Dort hatte laut Ortsbürgermeister im Rimbacher Gasthaus "Zur Linde" der für die Heeresgruppe B verantwortliche Generalfeldmarschall Walter Model Quartier bezogen: "Mein Vater wollte seine Vorgesetzten über die Lage informieren", weiß sein Sohn.

Doch er fand sich vor dem Standgericht wieder. Drei Wehrmachtsangehörige, die in einem Fachwerkhaus vis-à-vis tagten, verurteilten den Vater auch deshalb zum Tode, so sagt sein Sohn, "weil er nicht selbst einen Gegenangriff gegen die GIs geführt hatte".

Ohne Möglichkeit auf Revision wurde das Urteil gegen den Vater und den Mitangeklagten Oberleutnant Karl Heinz Peters am Waldrand bei Rimbach vollstreckt. Die gefesselten Offiziere wurden per Genickschuss hingerichtet, das hatte die Familie bei der späteren Umbettung erfahren. Zwei weitere Offiziere ereilte einen Tag später das gleiche Schicksal in einem Wald des Nachbarortes Oberirsen.

Stein zur Erinnerung

Monatelang kümmerte sich niemand um die Leichen. Noch im Juni 1945 sah der 22 Jahre alte Kriegsheimkehrer Heinrich Ochsenbrücher (92), der spätere Ortsbürgermeister, die Toten im Wald von Oberirsen liegen; "Ihre Schirmmützen und Stiefel schauten noch aus der Erde". Erst im Sommer 1945 wurden drei der vier Hingerichteten auf einen Soldatenfriedhof nach Birnbach umgebettet. Dort hat auchHans Scheller sein letztes Grab gefunden.

Lisel Scheller gelingt es erst 22 Jahre nach der Hinrichtung ihres Mannes einen Revisionsprozess anzustrengen. Tatsächlich sprach ihn ein Gericht in Landshut am 2. Februar 1967 von allen Vorwürfen frei.

Auch in Rimbach kam das Gedenken spät: Seit Mitte der 80er Jahre erinnert ein Stein nahe jenes Fachwerkhauses, in dem das Fliegende Standgericht getagt hatte, an das Schicksal der Hingerichteten. Gefertigt, aus einem Bruchstück derLudendorff-Brücke.

Seinen Frieden gemacht mit der Vergangenheit hat auch Sohn Gert, der in den 90er Jahren nach Widdig zog. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Brückeneroberung in Remagen dankte Gert Scheller US-Soldaten dafür, "dass sie ein menschenverachtendes System beendet" und den Deutschen "ein Leben in Freiheit geschenkt haben". Dies habe letztendlich die Wiedervereinigung und das Zusammenwachsen Europas ermöglicht. Gegen diese Befreier hatte sein Vater befehlsgemäß gekämpft und dafür mit seinem Leben gezahlt - hingerichtet von den eigenen Führung.

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