GA-Zeitzeugengespräch im Stadtmuseum Siegburger Jugend der 60er und 70er Jahre

SIEGBURG · Wer seine Jugend im Siegburg der 60er und 70er Jahre verbrachte, der denkt vielleicht als erstes an das Jugendzentrum CVJM. An Kneipen wie "Moustache" oder "Ente".

An Tanzschulen und an Jugendbälle, auf denen Beatmusik gespielt wurde. Überhaupt, die lokalen Bands: Sie nannten sich "Lightnings" und "Lumber Jacks", "Screamers" und "Spitfires". Der General-Anzeiger lässt diese Zeit am Mittwoch, 21. Mai, ab 19 Uhr im Stadtmuseum aufleben. Beim zweiten GA-Zeitzeugengespräch zur 950-Jahr-Feier Siegburgs geht es um die Jugend der 60er und 70er Jahre. Einige dieser Geschichten, die die damaligen "Jungen Wilden" erlebten, veröffentlicht der GA ab heute vorab.

The Screamers - zu Deutsch Schreihälse. So hieß die Beatgruppe, die der Siegburger Gernot "Grön" Sträßer 1964 mit aus der Taufe hob. Warum der Bandname? Sträßer, heute 70, grinst spitzbübisch. Es sei eine Reaktion auf die Erwachsenen gewesen, die dieser Musik wenig Verständnis entgegenbrachten. Das habe vor allem für die Lehrer gegolten, von denen nicht wenige während der Nazizeit in den Schuldienst gegangen waren. "Für die war die Musik völlig unkultiviertes Geschrei, also griffen wir das im Namen auf."

Wie viele Altersgenossen war der Gymnasiast von der aus Großbritannien hereinbrechenden Beatwelle inspiriert - nein, eher infiziert. "Das war ein Gefühl der Befreiung, das man heute gar nicht mehr nachvollziehen kann", erzählt der Siegburger, der zuvor im evangelischen Posaunenchor musiziert hatte. Nun eiferte er wie viele andere Jungs den Beatles nach: "Love Me Do" statt Matthäus-Passion. Kamen neue Platten der Fab Four heraus, holte man sie sich flugs im Musikladen, etwa bei Schreckenberg auf der Holzgasse.

"Das Tolle an dieser Musik war, dass man sie leicht nachspielen konnte", erinnert sich der "Grön", der die Harmonien von den Originalaufnahmen abhörte und niederschrieb. Ein Bandkollege erfasste die Texte. Die selbst gebastelten Songs waren in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Sie waren so wichtig wie lange Haare und Beatles-Stiefeletten. So setzten sich die Jugendlichen von der Elterngeneration ab, die bis dahin alles vorgab: Werte, Kleidung, sogar Musik. "Selbst Elvis Presley war uns zu sehr Erwachsenenmusik, sie war von Erwachsenen für Erwachsene gemacht", erzählt Sträßer.

Die Screamers, bei denen neben Sträßer Bernd Antweiler, Norbert und Viktor Peth sowie Rainer Fußhöller und später Norbert Vogel spielten, entwickelten sich zu einer Größe in der Bandszene. Der Sieg-Rheinische Hof in Hennef, die Küz in Sieglar, das Canisiushaus in Troisdorf - das waren die angesagten Adressen jener Tage. Norbert Klein, der 2006 für die Troisdorfer Jahreshefte die Geschichte der Beatszene dokumentierte, erinnert sich an die Qualitäten der Gruppe: Sie habe jenen mehrstimmigen Gesang beherrscht, der in anspruchsvollen Stücken - Beach Boys, Bee Gees - benötigt wurde. "Die Stimmen hätte jeder Chorleiter gerne in seiner Klangwolke gehabt", so Klein, der beim Bandrivalen "We" spielte.

Im November 1965 brachten die Screamers das Kunststück fertig, binnen eines Tages zwei Bandfestivals zu gewinnen: eines in Hennef, eines in Maastricht. "Another Girl", "She's not there" und "We Gotta Get Out Of This Place" überzeugten die Jury. In Maastricht belegte eine Band namens "The Stowaways" aus Köln den dritten Platz - ein Vorläufer der Bläck Föös, die damals noch nicht Kölsch, sondern Englisch sangen.

Später habe er das Angebot erhalten, bei den Bläck Föös einzusteigen, berichtet Gernot Sträßer. Doch entschied er sich gegen die Profikarriere und für sein Maschinenbaustudium in Aachen. Bereut habe er es nicht, sagt er. Die Screamers lösten sich 1967 auf, weil ihre Mitglieder zum Bund mussten.

Doch Sträßer blieb neben seinem Beruf als Ingenieur musikalisch aktiv - als Kopf der Panzerknacker, die sich 1973 mit einem Konzert im Frankfurter Hof in Siegburg vorstellten. Die mit Bläsern bestückte Formation, die neben Rock auch Soul, Jazz und Blues spielte, genießt heute noch einen legendären Ruf. Selbst erwachsen geworden, machte nun auch Sträßer erwachsene Musik: Die Gruppe, die noch nach der Jahrtausendwende aktiv war, begeisterte mit Interpretationen anspruchsvoller Stücke, etwa von Van Morrison und Blood Sweet And Tears.

Und heute? Gernot Sträßer, der neben Gitarre Klavier und diverse Blasinstrumente beherrscht, leitet "Knapp daneben", die Big Band des Gymnasiums Alleestraße. Und stellt sich immer wieder eine Frage: "Warum hört man die Beatles heute nur noch so selten im Radio? Darüber habe ich oft nachgedacht. Vielleicht sind sie zu schlicht, gerade die frühen Sachen. Aber sie haben damals in den 60er Jahren einiges ausgelöst."

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