GA-Interview mit Geschäftsführer des NVR Norbert Reinkober: "Das Streckennetz ist am Limit"

Lange wurde er herbeigesehnt, der Ausbau der Voreifelstrecke Bonn-Euskirchen (S 23) mit vier neuen Haltepunkten. Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember läuft der Betrieb, allerdings hakt es noch vielfach.

Pendler klagen über Verspätungen und Ausfälle, die teilweise durch technische Probleme an den Zügen begründet sind. Ähnliche Probleme gab es 2012/13 schon auf der Siegstrecke mit dem Rhein-Sieg-Express (RE 9). Norbert Reinkober ist Geschäftsführer des Zweckverbands Nahverkehr Rheinland (NVR) in Köln, der für die Ausschreibung von Bahnstrecken zuständig ist. Mit Reinkober sprach Dominik Pieper.

Die Voreifelbahn S 23 stand zuletzt bei Fahrgästen und Politik wegen technischer Aussetzer, Verspätungen und Ausfällen heftig in der Kritik. Landen auf Ihrem Schreibtisch viele Beschwerden?

Norbert Reinkober: Ja, natürlich. Wir haben uns auch mit den Betroffenen zusammengesetzt, beispielsweise über die Gruppe Eifelpendler, die sich über Facebook organisiert hat. Das war sehr konstruktiv, es gab vernünftige Vorschläge. Die prüfen wir, teilweise geben wir sie an die Bahn weiter. Wir haben es aber mit zwei großen Problemen zu tun, die wir nicht direkt beeinflussen können. Das ist einmal die Fahrzeugindustrie, die Züge mit zahlreichen Kinderkrankheiten ausliefert. Das ist aber auch das Streckennetz in der Region: Es ist am Limit.

Inwiefern?

Reinkober: Nehmen wir mal den Vorschlag, Sprinterzüge einzusetzen, die nur bestimmte Haltepunkte anfahren. Das spielte jetzt auch im Zusammenhang mit der Voreifelstrecke eine Rolle. Wir haben es durchgespielt: Es geht nicht, weil die Infrastruktur es insgesamt nicht hergibt. Deshalb verfolgen wir das Projekt "Bahnknoten Köln", das auch auf den Zulaufstrecken eine ganze Reihe von Maßnahmen vorsieht, die zu einer großräumigen Entlastung führen. Die Region steht einstimmig dahinter, aber wir müssen auf Bundesebene dafür kämpfen.

Die Kritik bezieht sich ebenfalls auch auf das System von Ausschreibung, Vergabe und Umsetzung - zumal es auch auf der Siegstrecke ähnliche Probleme wie mit der S 23 gegeben hat. Inwieweit haben Sie da Einfluss auf den Gang der Dinge?

Reinkober: Unsere Aufgabe ist es ja, die Ausschreibung der Strecken vorzunehmen. Wir lassen zunächst berechnen, wie viel Geld für die Umsetzung erforderlich ist. Die Summe gleichen wir dann später mit den eingegangenen Angeboten ab. Wir erstellen außerdem einen Fahrplan, der von der DB Netz überprüft wird. Dabei stellt sich heraus, ob und unter welchen Umständen der Fahrplan gefahren werden kann.

Auf der Voreifelstrecke mussten vier Haltepunkte integriert werden, ohne Fahrzeitverlust, aber bei Beibehaltung eines eingleisigen Streckenabschnitts im Kottenforst. War das zu ambitioniert?

Reinkober: Nein. Wenn die DB Netz sagt, dass der Fahrplan in dieser Form realistisch ist, dann müssen wir davon ausgehen. In diesem Fall war ja auch eine Bedingung, dass der Abschnitt zwischen Duisdorf und Witterschlick zweigeisig ausgebaut wird. Das ist passiert. Wir haben die Voreifelstrecke als Teil des Kölner Dieselnetzes europaweit ausgeschrieben. Die DB Regio hat schließlich den Zuschlag bekommen, und sie musste sich dann - ebenfalls per europaweiter Ausschreibung - einen Fahrzeughersteller suchen, der die entsprechenden Züge baut. Und zwar welche, die sowohl im Bergischen als auch in der Eifel als auch in städtischen Gebieten mit dicht aufeinanderfolgenden Haltepunkten einsetzbar sind. Der Hersteller Alstom hat gegenüber der DB Regio all das zugesichert.

Warum setzt man nicht die bewährten Talent-Züge weiter ein, die ja erst 1998 eingeführt wurden?

Reinkober: Das Dieselnetz ist für 20 Jahre ausgeschrieben worden. So lange stehen diese alten Züge nicht zur Verfügung - jedenfalls nicht mit dieser Motorisierung. Die Dieselmotoren sind sehr leistungsstark, müssen aber irgendwann ausgetauscht werden. Leider werden die Talent-Züge nicht mehr gebaut und können nur durch weniger leistungsfähige Fahrzeuge ersetzt werden.

Der Zugtyp Coradia Lint macht bislang noch nicht den Eindruck, dass er den Fahrplan auf der Voreifelstrecke einhalten kann...

Reinkober: Doch, er ist sogar schneller, als es für unser Streckennetz notwendig wäre. Bisher gab es viele Kinderkrankheiten, über die sich die Bahn mit Alstom noch auseinandersetzen wird. Das betrifft die geplatzten Heizschläuche, die Klimaanlage, die Getriebe - und so weiter. Ich gehe davon aus, dass das alles jetzt abgearbeitet wird. Wenn alle Fahrzeuge auf der Strecke sind, dann kann zumindest der zurzeit geltende Ersatzfahrplan eingehalten werden. Den ursprünglich angedachten und ausgeschriebenen Fahrplan, der eine kürzere Fahrzeit zwischen Bonn und Euskirchen vorsieht, können wir leider noch nicht anbieten, weil das Öffnen der Türen zu lange dauert. Dabei geht zu viel Zeit verloren. Auch daran muss der Hersteller arbeiten. Weil es sicherheitsrelevant ist, muss aber erst das Eisenbahnbundesamt zustimmen.

Auf der Siegstrecke gab es ab 2012 ebenfalls Probleme mit neuen Zügen. Warum bekommt es die Fahrzeugindustrie nicht besser hin?

Reinkober: Ich weiß es nicht, ich kann da auch nur den Kopf schütteln. Beim RE 9 auf der Siegstrecke lieferte Bombardier den Talent 2 drei Jahre zu spät aus, und dann zogen sich die Kinderkrankheiten noch anderthalb Jahre hin. Für die Fahrgäste war das eine Zumutung.

Bei der Ausschreibung hatten Sie aber doch auch das Fahrgastaufkommen unterschätzt, so dass die bestellten Züge nicht genug Platz boten, oder?

Reinkober: Mag sein, dass wir bei der Prognose zu konservativ gerechnet haben. Diese Explosion der Fahrgastzahlen war so aber nicht zu erwarten. Wir haben mit Doppelstockzügen und der S 19 beim Platzangebot nachgebessert und damit auch den Takt bis Hennef verdichtet, so dass es in diesem Bereich keine Beschwerden mehr gibt. Ab Dezember wollen wir die S 19 bis Herchen verlängern.

Der NVR bekommt von der DB Regio Strafzahlungen, wenn sie den Vertrag nicht einhält. 2014 haben Sie für das Kölner Dieselnetz fast zehn Millionen Euro bekommen. Was machen Sie mit dem Geld?

Reinkober: Wir setzen es zugunsten der Fahrgäste ein, im ganzen Verbundgebiet. Konkret nehmen wir das Geld, um beim Coradia Lint Mittelteile einbauen zu lassen. Dadurch erhöht sich die Kapazität der Züge.

Zur Person

Norbert Reinkober (52) ist von Haus aus Ingenieur für Verkehrswesen und war einst beim Rhein-Sieg-Kreis für die Nahverkehrsplanung zuständig. 2003 wechselte er zum Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS), dessen Geschäftsführer er ist. Diese Funktion füllt er auch beim Nahverkehr Rheinland (NVR) aus, dessen Einzugsgebiet von Aachen bis ins Oberbergische und von Bonn bis Leverkusen reicht. Reinkober ist Vorsitzender des Netzbeirates der DB Netz AG. Er hat eine Tochter und lebt in Leverkusen.

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