GA-Zeitzeugengespräch in Siegburg Mit Handschuhen im Führerhaus

SIEGBURG · Beim dritten GA-Zeitzeugengespräch gingen längst ausrangierte Siegburger Bahnen noch einmal auf die Reise. Die Erinnerungen an die Aggertalbahn, die Kleinbahn Siegburg-Zündorf und die Bröltalbahn lebten an diesem Abend auf.

Den wohl ungewöhnlichsten Beitrag zum dritten Zeitzeugengespräch des General-Anzeigers am Mittwochabend im Siegburger Stadtmuseum leistete Wilfried Dreck. Dem Thema "Historische Bahnen Siegburgs" entsprechend, hatte der 71-Jährige ein Schienenfragment samt Schwellen von rund 100 Kilogramm Gewicht auf eine Schubkarre geladen und von seinem Wohnhaus an der Ecke Zeithstraße/Wellenstraße neben der alten Schmiede quer durch die Stadt ins Museum geschoben.

Es handelt sich dabei um ein "Souvenir", das aus der Zeit stammt, als die Aggertalbahn - im Volksmund Luhmer Grietche genannt - gebaut wurde. Das Unternehmen, das vor einem Jahr den Rückbau der ehemaligen Bahntrasse durchführte und an selber Stelle einen Radweg anlegte, überließ es damals Wilfried Dreck.

Es ging aber an diesem Abend nicht nur um die Aggertalbahn (Personenverkehr 1884 bis 1954, Güterverkehr bis 1994), sondern auch um die Kleinbahn Siegburg-Zündorf (Rhabarberschlitten, 1914 bis 1965) und die Bröltalbahn (1899 bis 1955), an die sich die Gäste erinnerten. Zunächst gab Kreisarchivarin Claudia Arndt eine kurze Einführung in die allgemeine Bedeutung der Bahn, die "Katalysator der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert" gewesen sei. Dabei stellte sie die drei in den Fokus des Abends gestellten Bahnen vor.

Im Auditorium wie auf dem Podium saßen Experten, ehemalige Nutzer des Schienenverkehrs und mit Herbert Lütz der einzige noch lebende Fahrer des Rhabarberschlittens. 1955 begann er als Schaffner, später wurde er als Fahrer eingesetzt. Die Bahnen seien damals wenig komfortabel gewesen, berichtete er. "Es gab keine Heizung, im Winter standen wir im Mantel und mit Handschuhen im Führerhaus", so der 80-Jährige.

Kinder durften schon mal das Warnsignal betätigen

Die rund 130 Zuhörer erfuhren auch, dass Lütz aus einem mitgeführten Säckchen Salz auf die Scheiben streute, damit diese nicht vereisten, und die Fahrer den Scheibenwischer manuell betätigen mussten. Viel Technik gab es nicht: Die Kurbel wurde mit der linken Hand gedreht, die Bimmel zum Warnen mit dem Fuß betätigt. Das durften auch schon einmal die Kinder.

Günter Keuper, der als Volksschüler täglich vom Brückberg bis zur Kaiserstraße fuhr und später zum Besuch der Realschule in Troisdorf bis zum Ursulaplatz, empfand das als Ehre. Dazu musste man laut seiner Aussage nämlich ein gutes Verhältnis zu den Fahrern haben. Ebenso zu den Schaffnern, sonst gab es von denen "auch schon einmal einen Klaps in den Nacken".

Zeitzeugen-Gespräch in Siegburg am 8. Oktober 2014
79 Bilder

Zeitzeugen-Gespräch in Siegburg am 8. Oktober 2014

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Das bestätigte auch Harald Becker im Publikum. Als er mit einer Rolle Bastelpappe einigen Mitschülern "eins auf den Kopf gegeben" habe, habe ihm der Schaffner die Rolle weggenommen: "Tür auf, Pappe raus, Tür zu."

Ein einprägsames Erlebnis mit dem Rhabarberschlitten hatte auch die ehemalige Vorsitzende des Kreiskatholikenrats, Ruth Kühn, als der damaligen Fahrschülerin 1955 in der Bahnhofstraße gleichzeitig die Bahn und ein Bus entgegenkamen und sie rückwärts setzen musste.

Brenzlig war die Situation deshalb, weil der Bahnverkehr auf der Gegenspur des Kfz-Verkehrs geführt wurde. Solche Begegnungen mit Autofahrern gehörten für Lütz auf seinen Fahrten zum Alltag.

Die Bahn abgestellt und Kaffee getrunken

Rund um die Aggertalbahn wusste Podiumsgast Klaus Strack einige Episoden zu erzählen. Den Personenverkehr hatte die Bundesbahn aus wirtschaftlichen Gründen schon 1954 einstellte. Lediglich der Güterverkehr rollte noch bis 1994 nach Lohmar, dann war auch für ihn Schluss. Mit einem Schmunzeln plauderte Strack aus dem Nähkästchen. Er nutzte oft die Gelegenheit, auf der Lok mitzufahren, die offiziell nur mit fünf Stundenkilometern bewegt werden durfte.

Daran habe sich aber niemand gehalten, und daher "hatten wir viel Zeit für die Strecke", so der Eisenbahnexperte. Einmal habe man den Zug einfach abgestellt und sei zu Stracks nach Hause gegangen, einen Kaffee trinken. Eine Stunde später sei es dann gemütlich weitergegangen.

Im Zusammenhang mit der Bröltalbahn richtete sich der Blick auf den gleichnamigen Bahnhof, der sich auf dem Gelände befand, wo heute das Berufskolleg steht. Die Großeltern des 2013 in den Ruhestand getretenen Museumsdirektors Klaus Hardung hatten die Bahnhofsgaststätte "mit gehobener Gastronomie" von 1908 bis 1929 geführt. "Der Großvater trug selbstverständlich Fliege oder Krawatte", so Hardung, der auch über die Hausmusik-Konzerte der Familie berichtete.

Zu deren Publikum gehörten Zirkusartisten aus aller Welt, die auf der Zange ihre Zelte aufschlugen und ihre eigenen musikalischen Einflüsse mitbrachten. So entstand schon in den 20er Jahren im Bahnhof ein kultureller Treffpunkt, der weit und breit einzigartig war.

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