Bevölkerung im Rhein-Sieg-Kreis Kreiswirtschaftsförderer warnt vor falschen Schlüssen aus IHK-Studie

RHEIN-SIEG-KREIS · Kreiswirtschaftsförderer Hermann Tengler zeigt sich verwundert über das Ergebnis der Standortstudie der Industrie- und Handelskammer Bonn/ Rhein-Sieg und mahnt einen Ausbau der Infrastruktur an.

 Die Hochschulen in der Region, hier der Campus in Sankt Augustin, stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen.

Die Hochschulen in der Region, hier der Campus in Sankt Augustin, stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen.

Foto: Holger Arndt

Junge Menschen, die eher weg- als zuziehen, ein leichter Bevölkerungsrückgang, nachlassende Dynamik und wenig Profilbildung - düstere Prognosen hat die Industrie- und Handelskammer Bonn/ Rhein-Sieg (IHK) in der vergangenen Woche mit ihrer Standortstudie für die Region präsentiert. Prognosen, die so nicht haltbar sind, sagt der Rhein-Sieg-Kreis. Dessen Wirtschaftsförderer Hermann Tengler zeigt sich auf GA-Nachfrage verwundert über das Ergebnis der Studie. "Wir wachsen nach wie vor deutlich, von Bevölkerungsrückgang kann keine Rede sein", betont er - und lässt Zahlen sprechen.

Dabei stützt sich der Kreis auf den Zensus 2011 und dessen Fortschreibung. Demnach wohnten zum 30. Juni 2014 mit insgesamt rund 896.000 Einwohnern (Kreis: 583.772, Bonn: 312.207) 12.000 Menschen mehr in Bonn und Kreis als 2011. "Das ist ein Wachstum um 1,4 Prozent", sagt Tengler. Die vom Frankfurter Behrend-Institut erarbeitete IHK-Studie hatte von einem Bevölkerungsrückgang um 0,5 Prozent zwischen 2002 und 2013 gesprochen. Der dort aufgezeigte Wegzug junger Beschäftigter findet sich in den Statistiken der Wirtschaftsförderung nicht wieder: 2013 zogen 1664 18- bis 25-Jährige in die Region, bei den 25- bis 30-Jährigen waren es 494.

Die Region wächst nach wie vor deutlich

"Alle Zeichen sprechen dafür, dass wir in der Vergangenheit gewachsen sind und weiter wachsen werden", bilanziert der Kreiswirtschaftsförderer und verweist auf die Bevölkerungsentwicklung bis 2040, die das statistische Landesamt IT NRW auf Basis des Zensus 2011 erstellt hat. Die prognostiziert der Region binnen der nächsten 25 Jahre einen Zuwachs um 70.000 Einwohner (Kreis: 33.000, Bonn: 37.000). Eine vergleichbare Tendenz zeigt auch die am Mittwoch veröffentliche Studie der Bertelsmann-Stiftung. Die verzeichnet für den Kreis bis 2030 ein Bevölkerungswachstum um 1,4 Prozent, für Bonn ein Plus von 7,2 Prozent.

Dass die Region ein beliebter Wohnort ist, verdeutlicht eine Prognos-Analyse im Auftrag der Postbank. Dort rangiert Bonn bundesweit auf Platz vier unter den Städten mit der höchsten zu erwarteten Wertsteigerung bei Immobilien bis 2030. Hermann Tengler serviert weitere Zahlen, um eine positive Entwicklung zu belegen: Da sind 305.730 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (Stand 30. Juni 2014) - 33.000 mehr als zum Zeitpunkt des Berlin-Umzugs 1999/2000.

Hochschulen stoßen an Kapazitätsgrenzen

Und 22.400 neue Betriebe, die sich seither in der Region niedergelassen haben. Vor allem Freiberufler. Die Hochschulen stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen - ob Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Internationale Hochschule Bad Honnef oder Alanus Hochschule in Alfter, alle hätten sich deutlich vergrößert. "Die überregionale Nachfrage ist sehr groß", weiß der Wirtschaftsförderer. Apropos überregional: "Wir haben mit 2,8 Millionen Übernachtungen 2014 einen neuen Gästerekord erreicht." Tengler fasst zusammen: "Nach allem, was der Markt widerspiegelt, erkenne ich keine Zeichen für eine nachlassende Dynamik."

Eine Entwicklung, auf die Kreis und Bonn indes reagieren sollten: "Wir müssen die entsprechende Infrastruktur schaffen, mehr Wohnraum bieten, Verkehrswege anpassen und Flächen für Gewerbe schaffen." Ein erster Schritt sei das neue, gemeinsame Gewerbeflächenentwicklungskonzept. "Um zukunftsfähig zu bleiben, müssten wir beim Wohnbauland genauso verfahren", sagt Tengler. Nur in Zusammenarbeit, könnten Bonn und Kreis die Herausforderungen der Zukunft meistern.

Vielfalt ist das größte Kennzeichen der Region

Doch nicht alle Gemeinden und Städte der Region wachsen, räumt Tengler ein. Die Gemeinde Windeck etwa hat laut Statistik seit 2011 1,7 Prozent Einwohner verloren. Zwischen 1990 und 2005 habe der östliche Rhein-Sieg-Kreis durch die Schließung großer Unternehmen unwiderruflich 50.000 Arbeitsplätze verloren. "Wir versuchen, die Bevölkerungsstruktur im ländlichen Raum stabil zu halten", erklärt Tengler. Die Schaffung einer flächendeckenden hochleistungsfähigen Breitbrandversorgung sei ein wichtiger Schritt.

Als größtes Kennzeichen der Region sieht der Wirtschaftsförderer deren Vielfalt. Genau die mache aber eine Profilbildung schwierig. "Die Region ist geprägt durch eine starke Diversität, alles andere wäre Etikettenschwindel", sagt er. Auf dem Arbeitsmarkt mache sich diese kleinteilige Vielfalt äußerst positiv bemerkbar: "Während in Bonn die großen Unternehmen dominieren, kennzeichnet den Kreis eine extrem mittelständische und leistungsstarke Vielfalt."

Das zeigte auch die Arbeitslosenquote, die im Juni bei 5,4 Prozent im Kreis lag. Aber, so betont, Tengler: "Wo eine Profilbildung möglich ist, sollte man sie umsetzen." Beethoven tauge zur "Marke", die die Region prägen könne. Es gebe Schwerpunkte im IT- und Gesundheitssektor. Zukunftsweisend sei die Konzentration auf die Wissenschaftsregion. Die gelte es auszubauen - um Fachkräfte an die Region zu binden.

Datengrundlage

Der Rhein-Sieg-Kreis stützt sich auf die Zahlen des statistischen Landesamtes. Auf Basis der Daten vom 1. Januar 2014 wurden deren Vorausberechnungen erstellt. Bei den am Donnertsag im GA veröffentlichen Zahlen der Bertelsmann-Studie bilden ebenfalls die Daten des statistischen Landesamtes die Grundlage. Basis für die Vorausberechnung ist nach Angaben der Stiftung aber das Jahr 2012, zudem seien die Annahmen für die Fortschreibung wie Geburtenentwicklung, Todesrate und Wanderungsbewegungen wahrscheinlich anders als beim Statistikamt. Deshalb könne es zu unterschiedlichen Zahlen kommen.

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