Spirituosen aus Siegburg: Abtei-Likör Hochprozentiges in der Kreisstadt

SIEGBURG · Die Spirituosenfabrik Richarz führte einst die Marke "Abtei-Likör" ein. Mittwoch GA-Zeitzeugengespräch

Der Siegburger Abtei-Likör und die Benediktiner auf dem Michaelsberg - das ist untrennbar miteinander verbunden. Dabei ist es wohl nur eine Legende, dass die Mönche den Likör nach uraltem Rezept über Jahrhunderte selbst herstellten. Vielmehr gehörte die Marke ursprünglich der Firma Richarz am Haufeld. Als die Benediktiner den Namen in den 1950er Jahren beanspruchten, trat ihn das kleine Unternehmen an die Abtei ab. Die Schnapsfabrik, die längst nicht mehr in Betrieb ist, ist ein Thema beim GA-Zeitzeugengespräch am Mittwoch, 27. Mai, im Siegburger Stadtmuseum. Ab 19 Uhr dreht sich bei einer Talkrunde alles es um historische Unternehmen und Produkte aus der Kreisstadt.

So ganz ist Richarz' "Destillerie und Liqueur-Fabrik" nie verschwunden. Das historische Fabrikgebäude beherbergt heute das Weinhandelshaus "Château Berts", das Restaurant "Remise" und seit 2014 ein Museum, das alte Geräte, Fotos und Dokumente versammelt. Engelbert Wollersheim hat es mit fachlicher Unterstützung von Stadtarchivarin Andrea Korte-Böger eingerichtet.

1960 erwarb die Familie Wollersheim, die im Spirituosenhandel tätig war, die Likörfabrik. "Zum ersten April - kein Aprilscherz", berichtet Engelbert Wollersheim, der damals nach kaufmännischer Ausbildung und Grundwehrdienst gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder im Betrieb arbeitete. "Wir fanden sehr betagte Gerätschaften vor, das wirkte beinahe mittelalterlich", erinnert sich der Bonner. Davon zeugen heute noch wuchtige Kessel und eine Handpumpe, über die der Wein durch Leitungen zur Brennblase befördert wurde.

Die Firma Richarz geht zurück auf das Jahr 1869. Damals hieß sie noch "H.Richarz und Heinen", ihre Wiege stand am Neuen Weg, der heutigen Kaiserstraße. Das Fabrikgebäude wurde dann 1904 als Dampfbrennerei im Haufeld errichtet. Die Firmengeschichte ist gut dokumentiert. So findet man neben Rezeptbüchern beispielsweise noch einen Antrag von 1921 an den "Dampfkessel-Überwachungsverein Coblenz": Es ging seinerzeit um den Einbau einer neuen Dampfkesselanlage.

Im Jahr darauf meldete die Firma beim Patentamt den "Siegburger Abtei-Likör" an, den sie fortan produzierte. Das hat Stadtarchivarin Andrea Korte-Böger für die Reihe "Siegburger Blätter" (Ausgabe 46) aufgearbeitet. "Nach dem Zweiten Weltkrieg versäumte es die Firma Richarz aber, den Namen weiter beim Patentamt einzutragen", sagt die Historikerin. Das schwächte die Position des Unternehmens, als es dann ab 1952 zu einem Namensstreit mit der Siegburger Abtei kam. Die Mönche waren damals auf der Suche nach Einnahmequellen. Ein selbst hergestellter und vermarkteter Likör passte da gut ins Konzept. Die Benediktiner gaben an, dass sie in ihren Beständen ein jahrhundertealtes Rezept gefunden hätten, das dem schon verbreiteten Abtei-Likör der Firma Richarz gleiche. Also beanspruchten sie Namen und Herstellung für sich. "Die Benediktiner haben aber nie einen Beleg vorgelegt", sagte Korte-Böger.

Die Firma Richarz erhob ihrerseits Ansprüche, scheute jedoch einen Prozess mit dem Kloster - aus finanziellen Gründen, aber auch "durch Erkrankung der beiden geschäftsführenden Teilhaber", wie das Unternehmen schließlich mitteilte. 1954 kam es zu einem Vergleich, und Richarz ließ die Produktion des Abtei-Likörs zugunsten der Abtei nach und nach auslaufen.

Nach der Übernahme durch die Familie Wollersheim 1960 produzierte die Fabrik unter anderem Korn, Wacholder und Steinhäger, hauptsächlich für die Gastronomie. "Es wurde damals allgemein viel getrunken", erinnert sich Engelbert Wollersheim. "Ein Arbeiter in den Steinbrüchen des Siebengebirges trank am Tag literweise Hochprozentiges. Es war das Doping der damaligen Zeit." Den größten Umsatz habe das Unternehmen in der Zeit vor Weihnachten gemacht, erinnert sich der 77-Jährige. "Auch da war der Bedarf immer groß."

Doch in den 70er Jahren änderten sich die Marktbedingungen. "Wir waren zu klein, um noch mithalten zu können", berichtet Wollersheim, dessen Firma mit anderen Spirituosenherstellern fusionierte und die Produktion auslagerte. Was blieb, war das Fabrikgebäude am Haufeld. "So eine Industrieruine war damals maximal unattraktiv", sagt Korte-Böger. Heute ist der Bau selbstverständlich ein Denkmal. Wollersheim fand dafür schon 1978 eine neue Nutzung: Er machte machte damals den Weinhandel "Château Berts" auf, dessen Titel sich von seinem Vornamen ableitet. Inzwischen hat er den Geschäftsbetrieb abgegeben, doch ist er dem Weinhandelshaus noch verbunden - wie nicht zuletzt der Historienraum voller Erinnerungen zeigt.

Der GA lädt zum Zeitzeugengespräch

Um die Siegburger Arbeitswelt anno dazumal geht es am Mittwoch, 27. Mai, beim vierten Zeitzeugengespräch des General-Anzeigers im Stadtmuseum Siegburg (Markt 46). "So hab' ich's gesehen", lautet das Motto. Auf dem Podium berichten ehemalige Mitarbeiter von Firmen wie Phrix, Cantulia und Walterscheid, wie sich vor Jahrzehnten der Arbeitsalltag in der Kreisstadt gestaltete. Siegburgs Stadtarchivarin Andrea Korte-Böger gibt zuvor eine Einführung. Der Eintritt ist frei, Beginn ist um 19 Uhr. Es empfiehlt sich, einen Platz zu reservieren: unter siegburg@ga.de oder unter Tel. 0 22 41/1 20 12 00.

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