Landrat Sebastian Schuster im Interview "Es muss in den Köpfen funktionieren"

Genau ein Jahr ist Sebastian Schuster als Rhein-Sieg-Landrat im Amt - ein Jahr ohne Urlaub, aber mit vielen Baustellen. Ein großes Thema: der Ausbau der regionalen Zusammenarbeit mit Bonn und den Nachbarkreisen.

 Regionale Zusammenarbeit

Regionale Zusammenarbeit

Foto: Volker Lannert

Im GA-Interview zieht der 59-Jährige Zwischenbilanz.

Sie wirken immer so gut gelaunt. Können Sie sich auch mal richtig ärgern?
Sebastian Schuster: Selten - und wenn, dann über vermeidbare Fehler. Zuletzt habe ich mich natürlich über den Formfehler bei der Wahl von unserer Kreisdirektorin Annerose Heinze geärgert. Das tut mir für sie leid, aber wir haben erst im Nachhinein festgestellt, dass die von der Linken beantragte geheime Abstimmung zur Wiederwahl möglich war. Da hat sich die Rechtslage 2007 geändert. Deshalb habe ich den Beschluss schnell beanstandet. Jetzt werden wir die Wahl am 25. August im Kreistag wiederholen.

Hat es Sie geärgert, dass das Beethoven-Festspielhaus in Bonn gescheitert ist?
Schuster: Schon, denn es ist eine verpasste Chance für die Region. Wir haben dieses Vorhaben ja immer unterstützt. Der Kreistag hat jetzt als politisches Signal beschlossen, dass sich der Kreis auch weiterhin finanziell am Beethoven-Jahr 2020 beteiligt. Mit den drei Millionen Euro, die wir für die Betreiberstiftung des Festspielhauses vorgesehen hatten, wollen wir nun andere Projekte unterstützen.

2020 soll auch die Landesgartenschau nach Bad Honnef kommen. Lässt sich das mit den Feierlichkeiten zum 250. Geburtstags Beethoven verbinden?
Schuster: Natürlich, das wird der ganzen Region einen Schub geben. Wer als Tourist zur Landesgartenschau kommt, der wird abends vielleicht auch in ein Konzert gehen oder sich noch Sehenswürdigkeiten anschauen. Ich bin zunächst einmal froh, dass die Landesgartenschau nicht als reines Bad Honnefer Projekt wahrgenommen wird, sondern als regionales Ereignis.

Tourismus und Naherholung waren ja immer ein wichtiges Thema für Sie. Sind Sie mit der Entwicklung zufrieden?
Schuster: Ja. Auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin habe ich einen guten Auftritt der Region erlebt. Natürlich müssen wir darauf achten, dass unsere touristischen Produkte ständig weiterentwickelt werden. Dabei ist eine Zusammenarbeit über die Kreisgrenzen hinaus von enormer Bedeutung. Das wird schon jetzt bei "Bergisch hoch vier" oder dem Natursteig Sieg gelebt. Der Natursteig Sieg wird nun auf dem Gebiet des Kreises Siegen-Wittgenstein weitergebaut. Eines Tages wird man die Sieg bis zur Mündung erwandern können, und das muss flankiert sein von einem guten Zugangebot auf der Siegstrecke.

Hilft der Tourismus gegen die Strukturschwäche des östlichen Rhein-Sieg-Kreises?
Schuster: Das ist ein Baustein. Letztlich müssen Infrastruktur und Wohnqualität stimmen. Wir haben uns ja für das Leader-Programm beworben, leider ohne Erfolg. Aber es besteht nach wie vor die Möglichkeit, für einzelne Projekte Fördergelder zu bekommen. Das wollen wir versuchen. Wir müssen uns auch darüber Gedanken machen, wie wir auf Dauer die dörflichen Strukturen erhalten. In den sieben Kommunen aus dem östlichen Kreisgebiet, die sich für Leader beworben haben, gibt es ja insgesamt 600 Ortschaften. Die Menschen, die dort wohnen, müssen in die Lage versetzt werden, dort möglichst lange gut zu leben. Mobilität, Gesundheitswesen, Nahversorgung, Sport, Kulturangebote - all das spielt eine Rolle. Das neue Projekt "Mitten im Leben" von Kivi e.V. ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Zu einer guten Infrastruktur gehört aber auch schnelles Internet.

Sie haben eine Initiative zum Breitbandausbau gestartet. Wie ist da der Stand der Dinge?
Schuster: Ich erwarte bis Ende des Jahres eine Machbarkeitsstudie, aus der dann der Bedarf erkennbar ist. Auf dieser Grundlage können wir dann handeln. Das Problem ist, dass der Ausbauzustand im Kreis sehr heterogen ist - der reinste Flickenteppich. Das ist völlig unhaltbar. Mein Ziel ist, dass bis 2018 im ganzen Kreisgebiet eine Übertragungsgeschwindigkeit von mindestens 30 MBit pro Sekunde angeboten wird.

Kürzlich haben Sie sich mit Bonns OB Jürgen Nimptsch und den Kreis-Bürgermeistern darauf verständigt, bei der Gewerbeflächenpolitik eng zusammenzuarbeiten. Bonn könnte dann erstmals im Kreis an Gewerbegebieten beteiligt sein. Wo ist der erste Spatenstich?
Schuster: So schnell geht es nicht. Grundlage ist der kommende Landesentwicklungsplan, aus dem dann der Regionalplan abgeleitet wird. Dieser definiert dann, wo es gemeinsame Gewerbegebiete gibt. Unser Gutachter hat errechnet, dass Bonn und der Kreis bis 2035 zusätzliche 420 Hektar an Gewerbe- und Industrieflächen brauchen. Wenn es nach den Bürgermeistern ginge, wäre es noch viel mehr. Aber so etwas muss ja immer in eine übergeordnete Planung eingebettet werden und beispielsweise mit Umweltgesichtspunkten zusammenpassen.

Wird es im Linksrheinischen einen weiteren Gewerbeboom geben? Der Großteil der 420 Hektar soll ja dort geschaffen werden.
Schuster: Das Linksrheinische wird profitieren, wobei die Entwicklung dort jetzt schon sehr positiv ist mit einer Arbeitslosenquote von unter fünf Prozent. Es wird aber nicht so sein, dass der Schwerpunkt von Gewerbe und Industrie sich künftig vom Rechts- ins Linksrheinische verlagert. Wir haben uns bei den 420 Hektar, die wir zur Weiterentwicklung brauchen, auf kommunale Flächen konzentriert. Wenn jetzt die Evonik in Niederkassel ihr Hafenterminal auf eigener Fläche - insgesamt 50 Hektar - erweitert, dann ist das nicht eingerechnet.

Ist eine Zusammenarbeit mit Bonn auch bei der Ausweisung von Wohngebieten im Rhein-Sieg-Kreis denkbar?
Schuster: Ich halte das für realistisch.

Dann werden wieder Stimmen laut, die eine Fusion von Bonn und dem Kreis fordern, oder?
Schuster: Eine Städteregion Bonn/Rhein-Sieg sehe ich so nicht. Es gibt ja viele Themen, bei denen wir auch ohne Gebietsreform hervorragend zusammenarbeiten - oder bei denen Kommunen untereinander kooperieren. Es muss in den Köpfen funktionieren. Das ist hier und da sicherlich noch ausbaufähig. Beim Thema Verkehr klemmt es noch.

Womit wir beim Thema Südtangente angekommen wären...
Schuster: Ich verstehe, dass es da eine gewisse Aufgeregtheit gibt, aber das bringt uns nicht weiter. Der Bund prüft die Aufnahme der Südtangente in den Bundesverkehrswegeplan. Im Oktober wissen wir mehr, dann haben wir eine Diskussionsgrundlage.

In dieser Frage ist ein Konsens in der Region unrealistisch, oder?
Schuster: Neulich war ich im Bundesverkehrsministerium. Da wurde klar: Minister Alexander Dobrindt prüft solche Projekte, gerade weil sie an der Basis umstritten sind. Er will herausfinden, wer Recht hat. Das Ministerium hat für die Bewertung solcher Projekte einen knallharten Prioritätenkatalog. Da geht es um den Nutzen für die deutsche Volkswirtschaft in einem europäischen Kontext. Die Südtangente wird als Lückenschluss im Autobahnnetz geprüft, der Ausbau der Siegstrecke auch unter dem Gesichtspunkt des internationalen Güterverkehrs zwischen Rotterdam und Genua.

Gegen mehr Güterverkehr im Siegtal gibt es jetzt schon Widerstand, auch in der CDU. Sind solche Festlegungen voreilig?
Schuster: Man kann sich ja positionieren. Ich verstehe auch jeden, der Bedenken wegen des Bahnlärms hat oder nicht ständig vor verschlossenen Schranken stehen will. Aber noch mal: Hier prüft der Bund, und der denkt in größeren Zusammenhängen.

Dann kann die Region gar nichts gegen die übergeordneten Interessen ausrichten?
Schuster: Man darf im Falle der Siegstrecke nicht nur den Güterverkehr sehen. Der Ausbau wäre auch mit Chancen verbunden, im Hinblick auf Lärmschutz, die Sanierung von Brücken und vor allem den Personenverkehr. Dort bekommt man womöglich nur dann Verbesserungen, wenn man die Kröte "Güterverkehr" schluckt. In den nächsten Jahren wird für fünf Milliarden Euro der Rhein-Ruhr-Express eingerichtet, der vom Ruhrgebiet über Düsseldorf bis nach Koblenz fährt. Der muss auch vom Land aus gut erreichbar sein - eben auch über das Siegtal.

Anderes Thema: Der Streit um die RWE-Aufsichtsratsvergütung Ihres Vorgängers Frithjof Kühn schwelt weiter. Wer bekommt denn jetzt die 600.000 Euro?
Schuster: Wir haben dazu ein Gutachten erstellen lassen, sind derzeit aber noch in der Prüfung. Wir werden die Öffentlichkeit zeitnah über das weitere Vorgehen informieren.

Herr Kühn hat immer darauf gepocht, dass das Land eine grundsätzliche Entscheidung herbeiführen muss.
Schuster: Das ist eine Rechtsfrage, die das Land nicht entscheiden kann. Das muss aus unserer Sicht ein Gericht klären. Es ist ein juristisches Feld, auf dem es bislang keine Entscheidungen gibt.

Hat sich das Verhältnis zu Ihrem Vorgänger durch dieses Thema verschlechtert?
Schuster: Nein, ich habe überhaupt keine Zweifel an Leistung und Lebenswerk von Frithjof Kühn. Er war ein hervorragender Landrat und Verwaltungsfachmann, der maßgeblichen Anteil an der Entwicklung des Rhein-Sieg-Kreises hat.

Zur Person

Sebastian Schuster (59) kommt gebürtig aus Darmstadt, ist aber im Rheinland aufgewachsen. Der passionierte Sportler (Fußball, Tennis) und Fan des 1. FC Köln lebt in Berghausen bei Oberpleis. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Von 1989 an saß er 25 Jahre für die CDU im Kreistag, zuletzt als Fraktionsvorsitzender. Bekannt wurde er auch als Präsident des Kreissportbundes. 30 Jahre lang war Schuster als Rechtsanwalt tätig und hatte eine eigene Kanzlei. Diese gab er auf, nachdem er am 15. Juni 2014 zum Landrat des Rhein-Sieg-Kreises gewählt worden war.

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