LVR ändert Fördersystem "Ein ganz großer Schritt zurück"

RHEIN-SIEG-KREIS · Wenn Maurice morgens mit den anderen Kindern turnt, ist Hanna Martin dabei. Sie ist eine von zwei Physiotherapeutinnen, die in der integrativen Kindertagesstätte Kinderburg "Veronika Keller" in Siegburg angestellt sind.

 Gemeinsam im Abenteuerland: Hanna Martin (links) und Christine Ulbig mit Maurice.

Gemeinsam im Abenteuerland: Hanna Martin (links) und Christine Ulbig mit Maurice.

Foto: Nadine Quadt

Kinder mit und ohne Förderbedarf turnen hier nicht nur gemeinsam, sie gestalten gemeinsam ihren Alltag. Daher sitzt Logopädin Christine Ulbig später in der blauen Gruppe und spielt mit Maurice und den anderen Kindern. Nebenbei macht sie kleine Sprachübungen mit dem Sechsjährigen mit Downsyndrom, hat aber auch seine Freunde im Blick. Am Nachmittag geht Maurice noch einmal mit Hanna Martin in das Abenteuerland, einen der Therapieräume der Einrichtung.

Damit könnte es bald vorbei sein. Denn der Landschaftsverband Rheinland (LVR) ändert sein Fördersystem für Kinder mit Behinderung in Kindertagesstätten. Dann werden Therapeuten in den Einrichtungen nicht mehr pauschal über den LVR finanziert, sondern über die Krankenkassen. Und die zahlen nur für ärztlich verordnete Therapien. Zunächst ist die Veränderung zum 1. August 2015 angedacht. Als Reaktion auf den Widerstand integrativer Kitas und ihrer Träger, wird es nun wohl einen Aufschub geben. Heute tagt der LVR-Landschaftsausschuss, und auf der Tagesordnung steht die Verschiebung des Stichtages auf 2016.

"Das neue Fördersystem ist ein ganz großer Schritt zurück", sagt Petra Opschondek, Leiterin der Kinderburg. "Alle, die sich seit Jahrzehnten eingesetzt und etwas aufgebaut haben, werden vor den Kopf gestoßen", ergänzt Hans Hüngsberg, Vorsitzender der Jugendbehindertenhilfe Rhein-Sieg (JBH), die Träger ist. Die Therapeuten sind in der Kinderburg in den Kindergartenalltag integriert, arbeiten eng mit den Erziehern zusammen. Eine Symbiose, die funktioniert und beide Berufsfelder befruchtet.

"Dieses Miteinander geht verloren, wenn die Therapeuten nur noch für die Therapie in die Einrichtung kommen", sagt Anita Rauscher aus dem JBH-Vorstand. Und: "Jetzt begleiten wir die Kinder kontinuierlich und helfen ihnen dabei, ein selbstständiges Lebens zu führen", so Hanna Martin. Nach dem neuen System sei sie nur noch stundenweise und nur noch für die Therapieeinheit in der Einrichtung. "Wie soll da eine enge Verbindung zu den Kindern entstehen?" Der LVR hat eine Kindspauschale von 5000 Euro vorgesehen. Die erhält jede Einrichtung pro Kind mit Förderbedarf pro Jahr. "Das deckt meine Arbeit, die über die reine Therapie hinausgeht, nicht ab", erklärt Martin.

"Wenn Therapeuten nur noch zur Therapie in die Einrichtung kommen, werden die Kinder jedes Mal aus dem Spielgeschehen gerissen", sagt Fariba Aslangir, Leiterin des Integrativen Waldorfkindergartens Sonnentor in Swisttal. Das unterlaufe das pädagogische Konzept ihrer Einrichtung. Elf der insgesamt 30 Kinder haben einen Förderbedarf. Noch habe man der fest angestellten Physiotherapeutin nicht gekündigt. "Um uns ihre wertvolle Arbeit erhalten zu können, müssen wir eine interne Lösung finden."

Nora Grohe, Leiterin des Parkkindergartens, dem Integrativen Montessori-Kinderhaus Hagerhof in Bad Honnef, fühlt sich vom LVR falsch beraten. Als sie im August des vergangenen Jahres ihre Einrichtung um eine integrative Gruppe ergänzt hat, sei sie in eine Grauzone gefallen. Heute weiß sie, dass ihr per Gesetz eine halbe Logopädenstelle zugestanden hat. Das habe ihre damals aber niemand gesagt. Daher hat Grohe sich ans Telefon gesetzt, bei Logopäden angerufen, Termine vereinbart und schließlich eine Logopädin gefunden, die seither auf Rezeptbasis zur Therapie in ihre Einrichtung kommt.

"Wenn ein Therapeut kontinuierlich in der Einrichtung ist, ist der Ansatz sehr viel ganzheitlicher. Krankenkassen einzubeziehen, ist richtig", findet Grohe. Die Finanzierung könne der LVR nicht alleine leisten. "Aber es müsste so eingestielt werden, dass es nahtlos ineinander übergeht." Ihre Kollegin Petra Opschondek aus der Kinderburg hält fest: "Man gewinnt das Gefühl, es geht nicht ums Kind, sondern allein ums Geld."

Das neue LVR-Fördersystem

Jedes Kind soll jeden Kindergarten besuchen können. Das ist das erklärte Ziel des LVR. Daher hat er sein bisheriges Fördersystem überarbeitet. An die Stelle der pauschalen Förderung integrativer Gruppen soll eine Kindpauschale von 5000 Euro pro Kind mit Förderbedarf pro Jahr treten. "Es wird nichts gestrichen", betont LVR-Sprecher Christophe Göller. Kinder mit Förderbedarf erhielten wie bisher die Therapien, die sie benötigten, sie würden nur von jemand anderem bezahlt - nämlich von den Krankenkassen. " Dadurch, dass Therapeuten von außen in die Kitas kommen, eröffnet man auch Regelkindergärten die Möglichkeit, Kinder mit Förderbedarf zu betreuen", so Göller. Er verweist auf den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, wo das neue System gut funktioniere. Eine Monitoringgruppe werde dennoch das System prüfen. "Es ist ein Versuch, neue Wege für fest angestellte Therapeuten zu suchen", so Göller: "Es soll niemand im Regen stehengelassen werden."

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