Zeitzeugin in Siegburg Ein Leben im Schatten der Erinnerung

SIEGBURG · Marika Venezia spricht im Stadtmuseum über ihren Mann Shlomo, der Auschwitz überlebte

 Marika Venezia erzählte im Siegburger Stadtmuseum aus dem Leben ihres Mannes.

Marika Venezia erzählte im Siegburger Stadtmuseum aus dem Leben ihres Mannes.

Foto: HOLGER ARNDT

Marika Venezia ist eine kleine, zierliche Frau. Sie ist gut gekleidet und sieht müde aus. In etwas brüchigem Deutsch beginnt sie eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg zu erzählen, wie man sie in der Schule nicht lernt: die Geschichte ihres verstorbenen Mannes Shlomo Venezia.

Mit 21 Jahren wurde Shlomo zusammen mit seiner ganzen Familie aus Griechenland nach Auschwitz gebracht. Über seine Zeit im Lager hat er jedoch lange geschwiegen. "Er wollte nicht reden und ich habe nie gefragt", erzählt seine Witwe. Marika lernte Shlomo mit 15 Jahren in einem Englischkurs in Italien kennen, da war der gebürtige Grieche bereits 30. Nach zwei Jahren heirateten sie, und kurze Zeit später bekamen sie ihren ersten Sohn.

Viele Holocaust-Überlebende wollten nach ihrer Befreiung nicht über die traumatisierenden Erlebnisse sprechen. Auch Shlomo schwieg, bis er in Rom ein antisemitisches Graffito entdeckte. Dadurch wurden alte Ängste wieder geweckt. "Es hat ihn schockiert, dass sich niemand an dem Graffito störte. Da begann er langsam mit mir über seine Vergangenheit zu sprechen", erinnert sich Marika.

1992 wurde ihr Mann gebeten, zwei Schulklassen nach Auschwitz zu begleiten und von seinen Erlebnissen zu erzählen. Erst nach langem Überlegen kam er der Anfrage nach. So begann er langsam, seine Zeit im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau aufzuarbeiten.

Während Shlomos Eltern direkt nach ihrer Ankunft in Auschwitz ermordet wurden, kam der damals 21-Jährige zum Sonderkommando. Zu seinen Aufgaben dort gehörte es unter anderem, die Leichen aus den Gaskammern zu holen, den Frauen ihre Haare abzuschneiden und Gefangene, die erschossen werden sollten, festzuhalten. Sein Leben lang begleiteten ihn schlimme Albträume und Kopfschmerzen.

Marika stand immer hinter ihrem Mann. Insgesamt 53 Mal besuchten die beiden seit 1992 Auschwitz. Shlomo sprach nun nicht nur häufiger mit seiner Frau über die Zeit dort, er besuchte auch Schulen, hielt Vorträge und schrieb sogar ein Buch. Vor zwei Jahren ist Shlomo Venezia gestorben. "Er fehlt mir sehr. Ich habe ihn sehr geliebt. Mit ihm zu leben war eine Ehre. Ich hätte mein Leben mit ihm niemals gegen ein normales Leben eingetauscht", sagt seine Frau im Stadtmuseum.

0 Shlomo Venezia berichtet in seinem Buch "Meine Arbeit im Sonderkommando Auschwitz: Das erste umfassende Zeugnis eines Überlebenden" über seine Zeit in Auschwitz-Birkenau.

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