Siegburg Der Alte Friedhof und die Nepomuk-Kapelle erzählen Geschichte

SIEGBURG · Es ist nur ein Schritt, der Welten voneinander trennt. Eben noch bestimmt reges Stadtleben das Geschehen. Wenige Meter entfernt liegt die Fußgängerzone, gleich vor dem Tor die viel befahrene Johannesstraße, dahinter indes wartet ein grünes Kleinod.

 Kapelle und Friedhof Mitte des 19. Jahrhunderts vor den Toren der Stadt.

Kapelle und Friedhof Mitte des 19. Jahrhunderts vor den Toren der Stadt.

Foto: Holger Arndt

Bäume spenden Schatten, verheißen Ruhe und laden ein zum Verweilen. Der kleine Park ist beliebt bei Spaziergängern, Hundebesitzern, Müttern mit Kindern und Obdachlosen. Manch einer nutzt die Wege vorbei an alten Gräbern als Abkürzung von der Nord- in die Innenstadt. Andere lassen sich auf Bänken nieder und genießen die Atmosphäre des Alten Friedhofs.

Vor einem halben Jahrhundert war dieser zum letzten Mal Schauplatz einer Bestattung, der 1908 eingeweihte, größere Nordfriedhof nahm seinen Platz ein. 30 Jahre später lief an der Johannesstraße die Ruhefrist ab, der Gottesacker wurde entweiht und sich selbst überlassen. Davon zeugen Grabsteine, die fast im Erdreich versunken sind.

Vor ein paar Jahren hat die Stadt Siegburg den Park wiederentdeckt. Wege und Grabsteine werden seither gepflegt, Bäume und Sträucher geschnitten. Im Dezember 2012 hat sich gar ein Arbeitskreis für Erhalt und Pflege der historischen Grabstätten und zur Bewahrung des Friedhofs als Gedächtnisort gegründet. Dieser vermittelt Pflegepatenschaften.

Die Brüder Andreas und Paul Remmel kümmern sich als Paten um die Grabstätte von Maximilian Jacobi und seiner Frau Anna Claudius, Tochter des Dichters Matthias Claudius. Es ist eines der berühmtesten Gräber. Ein schwarzes Kreuz erinnert an Jacobi, der Leiter der Irrenanstalt auf dem Michaelsberg war und als Begründer der Lehre von der Heilbarkeit Geisteskranker gilt.

Nicht weit entfernt, fast unter einem Baum verborgen, liegt ein weitaus schlichteres, aber nicht weniger bedeutsames Grab. "Das ist der älteste Grabstein", sagt Stadtarchivarin Andrea Korte-Böger. Nur vier Jahre alt war die Händlerstochter Catharina Reuter, die hier seit dem 2. September 1807 ruht: "Als die erste auf diesen Gottesacker beerdigt", steht für alle Zeiten in ihren Stein geschlagen.

Einen Monat zuvor, am 5. August 1807, hatte der damalige Pfarrer Zopus den weit vor den Mauern der Stadt gelegenen Friedhof eingesegnet - und damit das Ende der bisherigen Bestattungskultur besiegelt: Zuvor hatten die Siegburger ihre Toten auf dem Kirchhof rund um Sankt Servatius bestattet. Über das Areal, das zur abteilichen Probstei gehörte, hieß es damals: "Der Platz hat die vorgeschriebene Größe und verordnungsmäßige Eigenschaft, weit genug von den Wohnung entfernt, liegt er in freier Sicht und ganz im Mittelpunkt der pfarrangehörigen Ortschaften." Und auf einer Anhöhe lag bereits eine Kapelle.

Deren Schlüssel steckt Andrea Korte-Böger ins Türschloss und gewährt Eintritt in den sonst verschlossenen, 1722 errichteten barocken Bau. Er ist dem Heiligen Johannes Nepomuk geweiht. "Dem Schutzpatron gegen Wassergefahren und Brückenheiligen", erklärt Korte-Böger, während sie auf die Deckengestaltung deutet, die Ende der 80er Jahre bei der Sanierung freigelegt wurde. Wassergefahren? Der Friedhof liegt im Stadtteil Driesch, womit im Mittelalter brachliegendes Ackerland bezeichnet wurde - von Gewässern keine Spur. Die Erklärung ist einfach: "Nepomuk ist Patron der Driescher Schiffer." Die Sieg-Fischer und -Schiffer wohnten vor den Stadtmauern, auf dem Driesch war der Wohnraum günstiger.

Eine Kapelle ist bereits seit dem 16. Jahrhundert nachgewiesen. Der Vorgänger der 1722 von Abt Bernhard und wohlhabenden Siegburgern errichteten Nepomuk-Kapelle war aber im 17. Jahrhundert zerstört worden. Es ist hell in dem kleinen Kirchenbau. Die Fenster zeigen neben christlichen Attributen kleine Vögel. Die Marien-Ikone und der Unterbau des Altars stammen aus der alten Anno-Kirche. 1980 hatte die Gemeinde Sankt Servatius die Nepomuk-Kapelle für eine symbolische Mark an die Pfarrei Sankt Anno verkauft, inzwischen sind beide in der Gemeinde Sankt Servatius vereint.

Korte-Böger schließt die Nepomuk-Kapelle, die nur noch von der Frauengemeinschaft Sankt Anno genutzt oder für Konzerte oder Lesungen geöffnet wird. Ihr hölzerner Vorbau entstand erst in den 1920er/30er Jahren. Das Holz ist gezeichnet, Schnitzereien und Kritzeleien verraten, dass der Ort ein beliebter Treffpunkt ist. "Wir haben aber keinen Vandalismus", so Korte-Böger.

Spätestens seit Anfang der 90er Jahre die zugewachsene Kapelle freigeschlagen und Grabsteine vom Wildwuchs befreit wurden. Sie erzählen Siegburger Stadtgeschichte. Unterhalb der Nepomuk-Kapelle zur Johannesstraße hin ruhen die Pfarrer Herbert Bamberg und Kaspar Heppekausen, nach denen Straßen nördlich des Friedhofs benannt sind. Wer weiter durch tiefes Gras schreitet, gelangt zu den Gräbern der Armen Schwestern vom Heiligen Franziskus - sie arbeiteten im alten Siegburger Krankenhaus.

Zurück auf dem Weg passiert der Besucher die Grabstätte Jacob Spilles', einst Siegburgs Bürgermeister und als "Pflasterkobes" bekannt, da in seiner Ägide ganze Straßenzüge gepflastert wurden. Nur wenige Meter weiter ein imposantes Denkmal, die Ruhestätte von Mitgliedern der Kattun-Dynastie Rolffs.

Die Familie, die das heutige Siegwerk gründete, stiftete 1891 das eindrucksvolle Friedhofskreuz. Es lohnt sich, den Blick weiter schweifen zu lassen. Auch jenseits der heutigen Wege haben Siegburger ihre letzte Ruhe gefunden. Einige Gräber sind überwachsen, andere liebevoll gepflegt. Auf manch einem leuchten gar Kerzen. Stumme Zeugen dafür, dass der Toten vom Alten Friedhof noch immer gedacht wird.

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