Siegburger Raststätte an der A 3 Als die Autobahn nach Siegburg kam

SIEGBURG · Wenn Wolfgang Linden, der frühere Pächter des Rasthauses Siegburg an der A 3, im Schatzkästchen der Erinnerungen kramt, wird er schnell fündig: Allerlei Kleininventar bringt er an, das noch aus den Zeiten stammt, als sein Vater die Raststätte als Pächter geleitet hat.

Hotelsilber, Keramik wie Weinkrüge, einige Besteckteile. Eigen ist allen Teilen eine Prägung mit der Figur eines Postillons und unter dem Boden die Markierung "RAR". Reichsautobahnraststätte heißt das.

Erste Überlegungen für den Bau der heutigen A 3 gab es schon zur Weimarer Zeit. Umgesetzt und forciert wurde das Projekt von den Nationalsozialisten, die das Thema Autobahn für ihre Propaganda nutzten. 1937 erreichte der Autobahn-Bau Siegburg - aus Richtung Köln. Anschließend erfolgte der Weiterbau der Trasse in Richtung Siebengebirge/Westerwald. Um diese Zeit wurden an den Reichsautobahnen nicht mehr bloß Versorgungseinrichtungen wie Tankstellen errichtet.

Es kamen nun auch Rasthäuser hinzu: Siegburg erhielt die dritte Raststätte überhaupt. Eröffnet wurde sie im April 1939. Sie wurde "Zur alten Poststraße" getauft, weil dort einst eine Postkutschenstation lag, von der aus Reisende etwa nach Frankfurt kutschiert wurden. Sogar im Innern des Rasthauses wiederholte sich die Postkutsche etwa auf Vorhängen, die handbedruckt waren. Der Bautyp der Ur-Raststätte liege übrigens heute noch am Chiemsee und werde als Erholungsheim für amerikanische Soldaten genutzt, erzählt Wolfgang Linden.

Zwölf Doppel- und vier Einzelzimmer bekam das Siegburger Rasthaus, jedes Zimmer mit Waschbecken. Duschen und Bäder befanden sich auf dem Flur. Die Zimmer konnten von der Zentrale aus mit Radio beschallt werden, telefonieren konnte man auch, musste aber über eine Zentrale handvermittelt werden. Erster Pächter war Wolfgang Lindens Vater Fritz.

Der Krieg sollte den Betrieb jedoch nach wenigen Jahren schon zum Erliegen bringen. Luftminen, von zwei britischen Bombern abgeworfen, zerstörten 1942 zwei Personalwohnhäuser und richteten auch an der Raststätte beträchtlichen Schaden an. Acht junge Frauen aus Bayern, die in der Raststätte arbeiteten, fanden bei dem Angriff den Tod. Der Gastronomiebetrieb wurde nicht wieder aufgenommen, die Gebäude wurden anderweitig genutzt.

1947 übernahm dann Fritz Linden wieder den Betrieb, aus der heimischen Grauwacke der zerstörten Nebengebäude wurde das Rasthaus weitgehend in Eigenleistung repariert und wieder aufgebaut. Am 1. Mai 1948 eröffnete Linden dann erneut den Gastronomiebetrieb und band wie selbstverständlich die Familie mit ein. Der im Januar 1941 geborene Wolfgang absolvierte eine Lehre als Koch und Konditor, ging 1964 in die USA und war dort als Geschäftsführer für Löwenbräu-Holterbosch tätig. Ende der 1950er Jahre, so erinnert sich Linden gerne, wurde noch eifrig der sogenannte Plattenservice durchgeführt. Das bedeutet, dass die Kellner und Kellnerinnen die Gerichte auf Platten zum Tisch des Gastes trugen und dort mit Vorlegebestecken die Speisen auf den Tellern drapierten.

Das Rasthaus entwickelte sich schnell zu einem beliebten Treffpunkt der pausierenden Autofahrer, aber auch der Siegburger. In der Blütezeit zwischen 1958 und 1977 verbrauchte der Betrieb 2,5 Tonnen Kaffeebohnen im Jahr, die in einer ganz speziellen Kaffeemaschine verarbeitet wurden: Sie verfügte über Porzellanmahlwerke. "Nehmen Sie nie Metall", sagt Linden: "Metall verändert den Geschmack." 24 Stunden war der Betrieb geöffnet, die Pächter wohnten in der oberen Etage auf 120 Quadratmeter Wohnfläche.

"Einen Schlüssel für das Haus gab es nicht", erinnert sich Wolfgang Linden. "Der Nachteil war, dass man jederzeit herausgeholt werden konnte." Und Anfang der 1960er Jahre kamen morgens um fünf Uhr schon die ersten Busse aus dem Ruhrgebiet und machten Rast auf dem Weg an die Mosel. "Da floss um die frühe Morgenstunde schon tüchtig das Bier", erinnert sich Linden amüsiert. Auch Silvesterbälle für bis zu 100 Gäste wurde damals im der Raststätte gefeiert. "Die waren meist im Oktober schon ausverkauft", erzählt er.

Auch andere Anekdoten hat Wolfgang Linden im Repertoire. 1955 etwa hörte er als junger Mann ganz komische Geräusche in der Luft, "so etwas Flatterndes war das". Er rannte raus und sah, wie zwei US-Hubschrauber auf der großen Wiese vor dem Rasthaus landeten. Ihnen entstiegen die beiden Piloten, begaben sich ins Restaurant, tranken Kaffee, aßen Kuchen und entschwebten wieder. Eine Zeitung mutmaßte anschließend, wenn das Beispiel der Amerikaner Schule mache, dann werde wohl der Rasthaus-Vorplatz demnächst ein Hubschrauber-Flughafen - was er aber bekanntlich nicht wurde.

Dafür kamen aber immer wieder Prominente vorbei, und mancher ließ ein paar Zeilen im Gästebuch zurück: Heidi Kabel, Heintje als Junge oder Heino. Heinz Erhardt spendierte zwei seiner Gedichte. Auch das "Canadian Olympic Hockey Team" kreuzte mal auf. Die Mannschaft hatte über Jahrzehnte kein Spiel verloren, und ihr Coach war ein Pater. Und als 1956 Busse voller Flüchtlinge aus Ungarn in Siegburg Rast machten, wurden die Menschen kostenlos bewirtet. Auch Dwight D. Eisenhower schaute vorbei, er wurde von den Gästen mit Beifall begrüßt. Vater Fritz griff zum Füller, begab sich zum Präsidenten, bat um ein Autogramm, und Eisenhower legte eine Karte auf den Rücken seines Ordonnanzoffiziers und unterschrieb.

Zu Beginn lag das Rasthaus frei auf seinem Hügel, die Autofahrer konnten bis zur Hohen Acht und zum Kölner Dom schauen. Im Laufe der Jahre sind die Bäume um das Haus immer höher und immer dichter geworden, dass man es kaum dahinter sieht. So schließen sie auch ein Stück Siegburger Geschichte ein.

Der historische Bau gehört heute zur Raststätte Siegburg-West und beherbergt ein Hotel sowie eine Akademie. Nach wie vor ist das Gebäude aber auch - auf der Rückseite - über die Alte Poststraße zugänglich, die einst Namensgeber war.

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