Viertes GA-Zeitzeugengespräch Als der Monatslohn noch 35 Mark betrug

SIEGBURG · Welche Erinnerung haben sie an ihre Lehrzeit, an die damaligen Arbeitsverhältnisse? Und welche Eindrücke sind geblieben? Das waren einige der Fragen, die die fünf Teilnehmer des vierten GA-Zeitzeugengespräch im Stadtmuseum am Mittwoch zum Thema "Arbeitsalltag anno dazumal" unter dem Motto "So hab' ich's gesehen" beantworteten.

 Erinnerungen an die Arbeitswelt von einst (von links): Rudi Henseler, Moderator Dominik Pieper und Reinold Meffert.

Erinnerungen an die Arbeitswelt von einst (von links): Rudi Henseler, Moderator Dominik Pieper und Reinold Meffert.

Foto: Andreas Dyck

Sie alle waren in Unternehmen beschäftigt, die es heute nicht mehr gibt oder die abgewandert sind. Zur Einführung gab Stadtarchivarin Andrea Korte-Böger den gut 90 Besuchern einen Überblick über die Entwicklung Siegburgs zur Industriestadt. Sie erwähnte, wie Christian Gottlieb Rolffs seine Kattunfabrik nach Siegburg auf das Areal des heutigen Siegwerks verlegte, sich die "Königlich-Preußischen Geschoßfabrik" im Jahr 1875 "Am Haufeld" ansiedelte und 1893 ein Zweigwerk auf dem Brückberg eröffnete. Laut Korte-Böger arbeiteten in den Fabriken bis zu 30 000 Menschen.

Aus dieser Zeit saß natürlich kein Zeitzeuge mehr in der Runde, die vom Siegburger GA-Redaktionsleiter Dominik Pieper geführt wurde. Wohl aber aus den Jahren, in denen das Phrix-Werk Siegburg - ursprünglich Rheinische Zellwolle AG, danach Chemie-Faser AG - bis 1971 Zellwolle als Alternative zu Naturwolle produzierte. Gisela Gull (77) und ihre Schwester Barbara Clarenz (70) arbeiteten beide im kaufmännischen Bereich und erinnerten sich noch gut an ihre Zeit als "Anlernling" ab 1956 beziehungsweise 1961. Vor allem an das Berichtsheft der Ausbildung. Da Fräulein Vollrath, so der Mädchenname von Barbara Clarenz, ihr Heft vorbildlich geführt hatte, "wurde es auf einer Büroausstellung in Belgien gezeigt", verriet sie.

[kein Linktext vorhanden]Kaum zu bremsen waren zwei Herren im Auditorium, die eine Lehre bei Phrix gemacht haben, und zwar von 1954 bis 1957 "bei Tappens Pitter". Immer noch hätten sie den Geruch von faulen Eiern in der Nase, der ihnen auf dem Weg durch den "Spinnsaal" (Produktionshalle) zu Pitters Werkstatt entgegengeschlagen sei. "48 Stunden mussten wir pro Woche arbeiten, auch samstags. Zwölf Tage Urlaub standen uns zu. Und das bei 35 DM Monatslohn", erzählten Clemens Krumm und Hermann Buchholz, beide 78 Jahre.

Zehn Jahre früher als sie begann Rudi Henseler seine Lehre bei der Firma Walterscheid, die heute unter GKN Walterscheid firmiert und in Lohmar sitzt. 51 Jahre blieb er dem Unternehmen treu. Er berichtete, dass der Adoptivsohn des Gründers Jean Walterscheid, Bernhard Walterscheid Müller, nach dem Krieg mit dem Rad zu jedem Mitarbeiter gefahren sei und gesagt habe: "Morgen fangen wir wieder an, machst du mit?"

Als Perfektionisten bezeichnete sich Reinold Meffert, der als Stimmer in der Firma "Cantulia" begann, die bis 1957 in Siegburg Akkordeons produzierte. Er habe "ein feines Gespür für Musik" gehabt und sich trotz Ermahnung seines Meisters "nie an Akkordvorgaben bei der Produktion gehalten". Qualität sei ihm immer wichtiger gewesen als Quantität.

Den Kreis komplettierte Engelbert Wollersheim. Seine Familie übernahm 1960 die Firma Richarz und produzierte bis in die 70er Jahre Hochprozentiges. Man habe Gastronomen besucht, um sie als Kunden zu gewinnen. Dabei wurde auch getrunken. "Es kam immer was zusammen, auch wenn mancher Schnaps im Blumentopf landete", so Wollersheim.

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