Sankt Augustiner Terrorismus-Experte "Terrorbekämpfung gehört in eine Hand"

Sankt Augustin · Er war fast 20 Jahre lang Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz, zuständig für den Linksterrorismus, und könnte viele Bücher schreiben. Eines hat der Geheimdienstler, Terrorismusexperte und Politologe aus Sankt Augustin, Winfried Ridder, geschrieben.

"Verfassung ohne Schutz" lautet der Titel des Buches, mit dem er seinem ehemaligen Arbeitgeber ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis ausstellt und das er am Dienstag, 20. Mai, ab 19 Uhr in der Sankt Augustiner Stadtbücherei vorstellt. Mit ihm sprach vorab Michael Lehnberg.

Herr Ridder, Ihr Buch hat den Titel "Verfassung ohne Schutz". Ein Fragezeichen steht nicht dahinter. Trifft es wirklich so zu?
Winfried Ridder: Sie müssen den Untertitel mitbedenken. Dort heißt es: "Die Niederlagen der Geheimdienste im Kampf gegen den Terrorismus". Das ist die eigentliche Kernaussage. Es ist den Inland-Geheimdiensten nicht gelungen, die schwersten terroristischen Angriffe von links wie rechts aufzuklären. Das ist belegbar und die Bilanz von fast 60 Jahren Terrorismus. Das Buch ist auch der Versuch zu zeigen, wie der Deutsche Herbst 1977 wirklich war und wie sich die Entscheider des Krisenstabes damals den Menschen heute darstellen.

Was kann der Staat tun, um erfolgreicher gegen den Terrorismus zu kämpfen?
Ridder: Vorausschicken muss man, dass die objektiven Bedingungen für eine erfolgreiche Terrorabwehr äußerst ungünstig sind. Terrorgruppen sind in der Regel Kleinstgruppen wie die RAF und der NSU. Wenn diese Gruppen professionell illegale Strukturen aufbauen und ein ganz legales und normales Leben vortäuschen, hat der Staat gewaltige Probleme, derartige Gruppen zu infiltrieren, um schon in deren Vorbereitungsphase die Angriffsziele zu erkennen.

Gibt es da wirklich keine Möglichkeiten?
Ridder: Die Möglichkeiten zurzeit sind sehr begrenzt. Wir haben ein Strukturproblem, und das liegt im Dualismus zwischen Geheimdiensten und Polizei. Seit Mitte der 70er Jahre haben wir eine doppelte Zuständigkeit. Das ist eine Schnittstellenstruktur, die der ständigen Harmonisierung bedarf. Das bedeutet eine ständige Herausforderung zur Koordination. Heute versucht man, das durch ein Netz von Abwehrzentren in den Griff zu bekommen und alle 37 Behörden in Deutschland an einen Tisch zu bringen. Das ist allerdings keine ausreichende Antwort auf die sichtbar gewordenen Defizite der Sicherheitsbehörden etwa im NSU-Fall.

Was ist denn für Sie die Konsequenz daraus?
Ridder: Ich habe eine These entwickelt, die bisher vorrangig bei Wissenschaftlern auf Zustimmung stößt. Die Bekämpfung des Terrorismus gehört in eine Hand, und das kann nur die Polizei sein. Dass die Polizei wie im NSU-Fall schwerste Ermittlungsfehler gemacht hat, kann nicht bedeuten, ihr die vollständige Verantwortung nicht zu übertragen.

Sie sind ja selbst Geheimdienstler beim Bundesamt für Verfassungsschutz gewesen. Darf und kann man dann über diese Zeit einfach mal so ein Buch schreiben?
Ridder: Sagen wir es mal so. Es war nicht ganz so einfach. Ich habe sehr darauf geachtet, kein als geheim eingestuftes Material zu veröffentlichen oder Quellen zu nennen. Keine einzige Verschlusssache wird durch das Buch tangiert.

Warum haben Sie es denn geschrieben?
Ridder: Bis heute sind die Morde der RAF-Terroristen nicht offiziell aufgeklärt. Ich habe Michael Buback getroffen, der eigene Ermittlungen angestellt hat, um herauszufinden, wer von der RAF seinen Vater, den Generalbundesanwalt Siegfried Buback, erschossen hat. Ich habe in den Gesprächen einen ganz anderen Blick auf diese Zeit bekommen. Bis dahin hatte ich fast ausschließlich immer an die Täter gedacht. Durch Buback wurde mein Blick viel mehr auf die Opfer gelenkt. Als Zeuge im Prozess gegen Verena Becker habe ich Ina Beckurts getroffen, die Witwe des ermordeten Siemensmanagers Karl Heinz Beckurts. Auch sie wollte wissen, wer das gewesen ist. Sie weiß es bis heute nicht. Keines dieser schwersten Verbrechen von Schleyer über Buback, Rohwedder oder Herrhausen ist mit Ausnahme des Mordes an Jürgen Ponto bis heute aufgeklärt, und wir sind weit davon entfernt.

Zurück zum NSU-Fall. Da waren es Pleiten und Pannen, die die Morde erst möglich machten.
Ridder: Ich wollte mit meinem Buch nicht enthüllen, sondern eine Bestandsaufnahme machen. Im NSU-Fall fällt die verheerend aus. Das Besondere daran war, dass diese Gruppe von V-Leuten umzingelt war, und es ist trotzdem nicht gelungen, ihre Aufenthaltsorte festzustellen. Wer eine solche Gruppe nicht erwischt, muss sich über Reformen Gedanken machen. Aber wenn solche Gruppen selbst mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeiten, ist es eine fast unlösbare Aufgabe, sie zu zerschlagen. Ich bin auch der Meinung, dass das V-Leute-System so wie bisher nicht mehr vertretbar ist. Man hat überzeugte Rechtsextremisten zu "Vertrauensleuten" gemacht. Das geht für einen demokratischen Rechtsstaat gar nicht.

Gibt es die RAF eigentlich noch, und geht heute noch Gefahr von linksextremistischen Terroristen aus?
Ridder: Verfassungsschützer sagen, links ist nichts mehr. Ich halte das für eine falsche Aussage, die nur eine Momentaufnahme darstellt. Dass sich Kleinstgruppen mit antiimperialistischen Gedankengut bilden, ist mit Blick auf die Zusammenhänge zwischen nationaler und internationaler Politik jederzeit denkbar. Am Salafismus ist doch zu erkennen, mit welcher Wucht und wie schnell sich plötzlich Gewaltpotenzial entwickeln kann. Überdies hat man jahrelang gedacht, der Rechtsextremismus stelle keine Gefahr mehr dar. Ein Trugschluss, aus dem man nicht gelernt hat.

Was erwartet die Besucher bei ihrer Lesung?
Ridder: Ein informativer und spannender Abend, wobei ich aber lesen lasse. Den Part übernimmt die tolle Schauspielerin Christiane Mudra. Gesprächspartner wird dann der Journalist Ulrich Neumann von Report Mainz sein. Auch ein Filmteam um den Dokumentarfilmer Egmont R. Koch ist dabei. Er dreht gerade einen Film über Menschen im Verfassungsschutz.

Die Lesung am Dienstag, 20. Mai, in der Sankt Augustiner Stadtbücherei beginnt um 19 Uhr. Das Buch "Verfassung ohne Schutz" von Winfried Ridder ist bei dtv erschienen und für 13,90 Euro im Buchhandel erhältlich.

Zur Person

Winfried Ridder ist Sozialwissenschaftler und Politologe. Er war zunächst Dozent beim Bundesamt für Verfassungsschutz für den Rechtsextremismus und danach fast 20 Jahre lang als Referatsleiter zuständig für den deutschen linksextremistischen Terrorismus. Ridder ist 76 Jahre alt, verheiratet und lebt in Sankt Augustin.

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