Interview mit Heiner Stienhans "Die ersten drei Monate sind hart"

SANKT AUGUSTIN · Peru hat ihn nie losgelassen, seit Heiner Stienhans von 1976 bis 1979 als Entwicklungshelfer dort war. Er hat die Anden mit dem Fahrrad durchquert, das Land zigmal besucht, viele Kontakte geknüpft, Freunde gefunden und den Verein "ecoselva" gegründet, der Freiwillige nach Peru und in die Dominikanische Republik entsendet.

 An seinem Arbeitsplatz: Heiner Stienhans, Gründer des Vereines "ecoselva".

An seinem Arbeitsplatz: Heiner Stienhans, Gründer des Vereines "ecoselva".

Foto: Michael Lehnberg

Dort wollen die Helfer etwas gegen die Abholzung des Regenwaldes und für den nachhaltigen Anbau von Kaffee tun. Gerade erst ist eine Gruppe junger Freiwilliger nach Südamerika entsendet worden. Mit dem 62-jährigen Sankt Augustiner sprach Michael Lehnberg.

Seit 2010 entsenden Sie Freiwillige für Projekte nach Südamerika. Was hat Sie bewogen, den Verein "ecoselva" zu gründen?
Heiner Stienhans: Das hat sehr viel zu tun mit meiner Zeit als Entwicklungshelfer in Peru. Dort habe ich erlebt, wie die Abholzung des Regenwaldes Politik des Landes war. Wir waren damals in Siedlungsprojekten eingesetzt und erkannten da schon die Gefahr, die durch die Abholzung entstand. Wir haben gefragt, ob das ökologisch vertretbar ist. Die ganze Dramatik in dieser Entwicklung ist leider wahr geworden. Mit "ecoselva" und unseren Freiwilligen wollen wir dazu beitragen, das Bewusstsein gegen weitere Abholzung in Lateinamerika zu schärfen, indem wir vor allem die ländliche Bevölkerung unterstützen und das vorhandene Wissen mit der modernen Technik besser vernetzen. Dazu haben wir gerade ein Projekt in der Dominikanischen Republik gestartet.

Worum genau geht es dabei?
Stienhans: 24 junge Freiwillige des "Weltwärts-Programms", für das wir Projektpartner sind, sind vor einer Woche dorthin gereist mit der Aufgabe, ein Wissensmanagementsystem für dominikanische Entwicklungshilfeorganisationen aufzubauen. Dafür konnten wir die Unterstützung von Microsoft und der Bonner Firma Synalis gewinnen. Junge Menschen haben gelernt, wie man das Internet für den Aufbau des eigenen Wissens nutzt und mit Social Media vernetzt.

Wie kann man damit helfen?
Stienhans: Ein gutes Beispiel ist die Bekämpfung der Kaffeekrankheit "La Roja", von der viele Kaffeeplantagen betroffen sind. Teilweise haben die Bauern bis zu 90 Prozent Ernteausfälle. Zuallererst werden wir auf der Wissensaustauschplattform Websites mit Newsfeeds, Foren, Blogs und Wikis für die Bekämpfung dieser Krankheit beschaffen.

Welche Voraussetzungen müssen Ihre Freiwilligen mitbringen, wenn sie in Südamerika helfen wollen?
Stienhans: Die jungen Leute sollten auf jeden Fall offen für Neues sein und auf Menschen zugehen können. Sie sollten neugierig sein, sich selbst nicht so wichtig nehmen und auch als Person einbringen können.

Was sind eigentlich "Weltwärts"-Freiwillige?
Stienhans: Das Programm ist 2008 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aufgelegt worden. Die Politik hatte die Sorge, dass es zu wenig Verständnis in Deutschland für die Entwicklungszusammenarbeit gebe. Ziel ist es, der Gesellschaft bewusster zu machen, wie wichtig diese Arbeit ist. Seither sind rund 21 000 junge Menschen in die Projekte geschickt worden. Betrieben wird das Programm von privaten Organisationen, Vereinen und Kirchen.

Da besteht offensichtlich ein großes Interesse.
Stienhans: Ja, es gibt viele junge Leute, die nach der Ausbildung oder der Schule raus wollen. Das "Weltwärts"-Programm hat mittlerweile auch einen hohen Bekanntheitsgrad. 2013 gab es allein bei "ecoselva" 200 Bewerber für 40 Plätze. Dieses Programm hat auf jeden Fall Zukunft. Man hat bereits evaluiert, dass die Rückwirkung in die deutsche Gesellschaft erheblich ist. So ein Erfahrungsbackground ist sicher auch hilfreich für die deutsche Wirtschaft. Diese jungen Leute haben einen ganz anderen Blick auf die Gesellschaft.

Von Ihrem Verein werden Helfer nach Peru und in die Dominkanische Republik geschickt.
Stienhans: Ja, das ist richtig. In diesen beiden Ländern arbeiten wir mit insgesamt 30 Partnerorganistionen zusammen. In Peru geht es vor allem darum, den Kaffeebauern bewusst zu machen, dass sie nicht weiter abholzen und neue Flächen bewirtschaften, sondern mehr auf die Qualität des Kaffees setzen. Da findet mittlerweile auch ein Umdenken statt. Wir leisten dazu einen Wissensaustausch unter den Bauern und helfen bei Wiederaufforstungsmaßnahmen. Mit der Kampagne "Null Abholzung" sollen der vorhandene Primär-Regenwald geschützt und ein artenreicher Sekundär-Regenwald mit bis zu insgesamt 20 verschiedenen Baumarten auf ehemals gerodeten und nicht mehr bewirtschafteten Flächen gepflanzt werden.

Was erwartet einen "ecoselva"-Freiwilligen in Peru oder der Dominikanischen Republik?
Stienhans: Die Arbeit etwa auch an den benannten Projekten und eine völlig andere Welt. Ein Einsatz etwa als Kaffee-Verkoster ist auch möglich. Die Tochter eines Kaffeerösters aus Süddeutschland macht das gerade in Peru. Der Vater zeigte sich begeistert und will den Bio-Kaffee der Kooperative vor Ort einkaufen. Aber die jungen Leute werden unter anderem auch bei der Betreuung von Schul- und Hausgärten eingesetzt, in der Umweltbildung mit Kindern und Erwachsenen und eben bei Wiederaufforstungsmaßnahmen. Wir haben derzeit 19 Einsatzplätze in Peru und 20 in der Dominikanischen Republik.

Warum senden Sie die neuen Helfer gerade in diese beiden Länder?
Stienhans: Das hat natürlich auch mit meiner Biografie zu tun. Aber die Dominikanische Republik zum Beispiel ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Abholzung des Regenwaldes kompensiert worden ist. 1950 waren 60 Prozent der Landesfläche Regenwald, 1980 durch die Abholzung nur noch 21 Prozent. Der Staat war gezwungen zu handeln, weil die Wasserversorgung in Gefahr geraten war. Heute gibt es wieder 50 Prozent Wald. Wir wollen dort dazu beitragen, dass die Flächen nachhaltig genutzt werden.

Was passiert eigentlich, wenn die Freiwilligen nach einem Jahr wieder zurückgekommen sind?
Stienhans: Sie organisieren sich hier erst einmal neu. Viele beginnen ein Studium und bringen ihre Erfahrungen in die Gesellschaft ein, rufen Projekte ins Leben. In Bonn etwa haben Freiwillige "Open Globe" ins Leben gerufen, eine Organisation, die sich für sozial gerechte Arbeitsbedingungen in aller Welt einsetzt.

Sie selbst sind in den 1970er Jahren in Peru gewesen und 2001 mit dem Fahrrad durch die Anden im Amazonasgebiet gefahren. Was hat sich verändert?
Stienhans: Eine ganze Menge. Es hat sich eine neue, breite Mittelschicht gebildet. Die hat es früher nicht gegeben. Auch das Bewusstsein der Menschen zur eigenen Kultur hat sich positiv verändert. Allerdings wird der Umweltschutz noch immer vernachlässigt. Da tut sich das Land Peru schwer. Erst seit 2006 gibt es dort überhaupt einen Umweltminister.

Was geben Sie Ihren Leuten mit auf den Weg?
Stienhans: Dass sie sich gut vorbereiten müssen, denn die ersten drei Monate sind hart. Der größte Fehler ist zu glauben, im ersten Monat bereits etwas bewirken zu können. Man muss erst einmal zuhören und herausfinden, wie die Menschen ticken - und das dauert. Die Welt lässt sich nicht verändern, aber man kann viele Anregungen geben.

Was heißt eigentlich "ecoselva"?
Stienhans: Ökologischer Wald.

Zur Person

Heiner Stienhans hat den Verein "ecoselva" im Jahr 2008 gegründet. Er arbeitet bei der Welthungerhilfe in Bonn und leitet dort die IT-Abteilung. Der heute 62-Jährige war von 1976 bis 1979 als Entwicklungshelfer in Peru im Einsatz. Stienhans lebt mit seiner Familie in Niederpleis.

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