John Kornblum in Rheinbach über "Deutschland und Amerika" "Wir sind die einzigen, die ihr habt"

RHEINBACH · Es war nicht der erste Besuch des ehemaligen US-Botschafters John Kornblum in Rheinbach. Erstmals fuhr er 1970 mit seinen Eltern in die Glasstadt, erzählte Kornblum am Montagabend.

 Zwischen Diplomatie und Deutlichkeit: John Kornblum in Rheinbach.

Zwischen Diplomatie und Deutlichkeit: John Kornblum in Rheinbach.

Foto: EDGAR AUTH

Er erinnerte sich besonders an die römische Wasserleitung und das Thema Hexenverfolgung. Auf Einladung der CDU referierte Kornblum im Waldhotel nun zum Thema "Deutschland und Amerika - zur Zukunft einer alten Freundschaft".

Auf dem Weg von der Geschichte zur Gegenwart wechselte Kornblum zwischen Diplomatie und Deutlichkeit. Deutschland und die USA seien beides junge Nationen und Produkte der industriellen Revolution. Gesellschaftliche Struktur und Mentalität seien ähnlich. Vielen gemeinsamen Schnittmengen stellte er Kontroversen gegenüber. Solche gab es mit Ausnahme der frühen 90er Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung immer, sagte er und erinnerte an die große Friedensdemonstration 1983 in Bonn mit 450 000 Teilnehmern. Viele davon hätten den USA kriegerische Absichten gegen die damalige Sowjetunion unterstellt.

Aktuell stünden die NSA-Abhöraffäre und das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen beiden Partnern. Doch die Welt verändere sich schnell. Damit meinte er nicht nur die gewachsene Aggressivität des Putinschen Russlands. Zugleich seien alte Monopole am Ende, beispielsweise in der Nachrichtenübermittlung. 30 Prozent der US-Amerikaner bezögen alle Neuigkeiten über Facebook. Zeitungen und Rundfunk verlören an Bedeutung. Das Einkommen der Arbeitenden sinke anteilsmäßig, die Infrastruktur müsse erneuert werden.

"Regierungen und Politik werden mit sehr vielen Herausforderungen kämpfen müssen, auf die sie gar nicht vorbereitet sind", sagte Kornblum voraus. Das Handelsabkommen TTIP nannte er "Europas letzte Chance". Die deutsche Angst vor Chlorhühnchen bewertete er als psychologisches Problem. Der Ex-Diplomat empfahl, sich am nach wie vor sehr erfolgreichen Amerika zu orientieren und zu fragen: "Wie können wir uns jetzt neu aufstellen?" Europa sei "so unglaublich zivilisiert, dass man nicht in der Lage ist, schnell zu handeln". Aus der Ukraine etwa müsse man gemeinsam wieder "einen lebensfähigen Staat machen".

Bei einem anschließenden Zwiegespräch wollte der CDU-Politiker und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, vor allem wissen: "Gibt es das Bewusstsein in der amerikanischen Politik, wir brauchen euch?" Kornblum antwortete diplomatisch und deutlich. Die USA wüssten, dass sie Europa brauchten. Ansatz sei aber nicht eine gemeinsame Strategie, sondern man müsse eine Agenda gemeinsam abarbeiten. Er vermisste "eine selbstbewusste europäische Haltung" und räumte ein, dass Deutschland auch wegen der NSA-Affäre das Vertrauen in seinen wichtigsten Verbündeten verloren hat. Dagegen betonte er: "Wir sind schrecklich, aber wir sind die einzigen, die ihr habt." Röttgens Sorge, dass sich die USA von Europa ab- und Asien zuwendeten, beantwortete er mit dem Hinweis auf neue, vernetzte Strukturen. Dabei zähle nur Relevanz und die Frage: Wer kann welche Produkte liefern?

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