Turbo-Abi im Rhein-Sieg-Kreis "Wir brauchen keine Unruhe"

RHEIN-SIEG-KREIS · Seit seiner Einführung ist die Debatte um das Turbo-Abitur nach acht Jahren Gymnasium (G8) ein Dauerbrenner. Während im benachbarten Bundesland Niedersachsen die Rückkehr zu G9 zum Schuljahresbeginn vollzogen wurde, sorgt die Ankündigung der SPD-Landtagsfraktion, über mögliche Alternativen nachzudenken, aktuell auch in NRW wieder für Diskussionen.

 Abitur nach acht oder neun Jahren: Seit Beginn des neuen Schuljahrs ist die Debatte über das Turbo-Abitur wieder aufgeflammt.

Abitur nach acht oder neun Jahren: Seit Beginn des neuen Schuljahrs ist die Debatte über das Turbo-Abitur wieder aufgeflammt.

Foto: dpa

Ins Spiel gebracht wurden Mischmodelle wie die Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 oder gar ein achteinhalbjähriger Bildungsgang, eine Art "G+8,5".

Zunächst soll den Schülern in NRW allerdings mit konkreten Entlastungen wie Reduzierung der Hausaufgaben, weniger Nachmittagsunterricht oder Fördermaßnahmen der Weg zum Abitur erleichtert werden.

Durchaus unterschiedlich bewerten Schulleiter aus dem linksrheinischen Rhein-Sieg-Kreis das erneute Aufflammen des Themas: "Das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist weitere Unruhe", meint Stefan Schwarzer, Leiter des Städtischen Gymnasiums Rheinbach. "Uns geht es vor allem darum, an der Umsetzung zu arbeiten und G8 sinnvoll zu gestalten: Ohne Qualitätsverlust und ohne die Schüler zu sehr zu belasten." Bei den Eltern sei die G8-Diskussion weiterhin ein Thema, sagt Schwarzer. Dabei würden allerdings viele Probleme schnell auf G8 geschoben. Tatsächlich sei die unterrichtliche Mehrbelastung im Vergleich zu G9 nicht allzu gravierend. "Die Schüler sind motiviert und die Leistungen insgesamt stabil."

Kritisch sieht auch Hans-Jürgen Jüngling, Leiter des Konrad-Adenauer-Gymnasiums Meckenheim, die erneute Debatte um eine Rückkehr zu G9. Verbesserungs- und Diskussionswürdig sei dennoch einiges. Für Förder- und Differenzierungsmaßnahmen beispielsweise seien unbedingt mehr Lehrerstellen notwendig. Darüber hinaus habe der Zehn-Punkte-Plan der Landesregierung zur Entlastung der G8-Schüler nicht viel Neues zu bieten. "Regelungen zu Hausaufgabenerlassen gab es an unserer Schule schon vorher", nennt der Schulleiter ein Beispiel. "Jede Schule muss sich individuell mit dem Thema befassen und kreativ an den bestmöglichen Lösungen arbeiten." Vorschläge wie "G8,5" hält Jüngling schlicht für einen "faulen Kompromiss" und sachlich nicht angemessen. Ähnlich kritisch bewertet Ulrich Czygan, Vorsitzender der Landeselternschaft NRW, den Vorschlag einer achteinhalbjährigen gymnasialen Laubahn. "Damit ist niemandem geholfen", meint der Vater von sechs Kindern. "Die wenigsten Studiengänge beginnen zum Sommersemester."

Eine "brachiale" Rückkehr zu G9 wie in Niedersachsen hält er ebenso wenig für sinnvoll. "Jedes Kind entwickelt sich unterschiedlich. Dieser Tatsache müssen die Schulen Rechnung tragen", ist Czygan überzeugt und fordert für mehr Schulen die Möglichkeit, den achtjährigen Bildungsgang parallel zum neunjährigen anzubieten.

Diese Option besteht beispielsweise an der Europaschule in Bornheim schon lange. Anders als am Gymnasium kann die Entscheidung über den Schulabschluss an der Gesamtschule im Laufe der Schulzeit getroffen werden. Nach Ende der zehnten Klasse haben die Schüler die Möglichkeit zu entscheiden, ob sie nach Abschluss der 10. Klasse zwei oder drei Jahre bis zum Abitur benötigen. Sieben Schüler legten im vergangenen Jahr das Abitur nach der 12. Klasse ab und erreichten dabei im Mittel einen Notendurchschnitt von 1,4. "Uns ist es wichtig, dass die Schüler nicht von vornherein unter diesen immensen Druck geraten", betont Christoph Becker, Leiter der Europaschule. "Kinder und Jugendliche benötigen Zeit, um sich zu entwickeln." Aus diesem Grund hält er eine Schulzeitverkürzung für wenig sinnvoll. "Schule ist mehr als die Vermittlung von Inhalten, es geht auch um die Reifung der Persönlichkeit."

Der Diskussion um eine Rückkehr zu G9 steht Becker positiv gegenüber. "Wenn man Einsehen muss, einem Irrtum unterlegen zu sein, sollte man auch Mut zur Rolle Rückwärts haben. Damit gibt man sich keine Blöße."

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