Judith Merchants dritter Rhein-Roman Rapunzels letzte Stunde schlägt im Hexenturm

RHEINBACH · "Ob er das ist?", fragt Judith Merchant und lächelt wie eine Spitzbübin. Ein Schmetterling flattert gemächlich über die sattsam sonnenverwöhnte Wiese an der uralten Tomburgruine im Rheinbacher Ortsteil Wormersdorf.

 Die Tomburg in Wormersdorf ist Schauplatz der Mordermittlungen in Judith Merchants neuem Buch.

Die Tomburg in Wormersdorf ist Schauplatz der Mordermittlungen in Judith Merchants neuem Buch.

Foto: Quadt

Ein Schmetterling ist auch Hauptfigur im neuesten Krimi der scharfzüngigen Autorin, deren Kommissar Jan Seidel zusammen mit seiner belesenen Großmutter Edith Herzberger aus Königswinter in "Rapunzelgrab", dem dritten Band von Merchants Rhein-Krimiserie, auch in linksrheinischen Gefilden ermittelt.

"Nee. Der hier ist weiß, nicht blau", bemerkt die 38-Jährige. In ihren Buch finden die Polizisten einen verendeten Moorbläuling in der Hand einer toten Frau mit langen Rapunzelhaaren, die im Schatten des mächtigen Rheinbacher Hexenturms aufgefunden wird.

Es sind nur ein paar Hundert Schritte von der Wiese bis hoch zur Tomburg, doch die haben es in sich. Je näher die Mauern der Ruine kommen, desto steiler mutet der Weg an. Es ist ein "blitzblauer Sommerhimmel", so wie Merchant die Szenerie im Buch beschreibt. "Schön hier", meint die studierte Literaturwissenschaftlerin, die als deutschlandweit bekannte Autorin viel auf Reisen ist.

Vor wenigen Tagen las sie in Liechtenstein, dann ruft Österreich, dann die Expostadt Hannover. "Man kommt rum." Rheinbach habe sie aus einem ganz gewissen Grund als literarische Kulisse gewählt: "Ich konnte in Königswinter beim besten Willen keinen geeigneten Turm für den Rapunzelmord finden", sagt Merchant, die in Sankt Augustin aufgewachsen ist und in Königswinter wohnte, ehe sie ihren Lebensmittelpunkt nach Bonn verlegte.

Als sie die Region durchstreift, sieht sie plötzlich den Hexenturm. "Ich wusste: Dort muss mein nächster Roman spielen", berichtet sie, während ihr Blick vom Tomburgplateau in die Ferne der Voreifel schweift. Ein wanderndes Pärchen, welches die noch sommerliche Morgensonne genießt, beobachtet das Interview des GA an der Ruine und bietet Autorin wie Reporter ein Glas Prosecco an.

"Erst die Arbeit", sagt Merchant. 410 Seiten umfasst ihr neuester Band. Das Märchenmotiv um Rapunzel, die von ihren eigenen Haaren stranguliert wird, ist für die Schriftstellerin Mittel zum Zweck, um gewohnt vielschichtig zu erzählen, an welch rätselhafter Krankheit das Opfer leidet: dem Rapunzelsyndrom - dem unstillbaren Verlangen, sich eigene Haare auszureißen und diese zu verschlingen. "Man lernt eine Menge beim Krimischreiben", findet sie.

Merchant wäre nicht Merchant, wenn sie nicht, wie in ihren früheren Werken, tief in gegensätzliche Welten eintaucht. Die Ermittlungen in Autorenkreisen zwingen ihren Ermittler dazu, sich genau mit der Buchbranche auseinanderzusetzen. "Da sind einige Durchgeknallte dabei", sagt sie und lässt offen, ob sie die reale Autorenwelt oder die fiktive im Buch meint.

Merchant hat einen feinen Humor, ist eine glänzende Dramaturgin, die fast völlig auf blutgierendes Gemetzel verzichtet. Lieber beschreibt sie süffisant und präzise die Menschen, die ihre Leser am Hexenturm, am Königswinterer Hotel Loreley oder an der Klosterruine Heisterbach treffen.

Wer ihr begegnet, sollte auf ein Detail achten: Ihre Suche nach Motiven fürs nächste Buch sind immerwährend. Dem Moorbläuling etwa begegnet sie während eines Spaziergangs in Pützchen und hört, dass das Insekt nie weiter fliegt als 50 Meter - wie geschaffen für die Hintergründe eines mysteriösen Mordes. "Mein Scanner läuft ganz automatisch."

"Rapunzelgrab" ist bei Knaur erschienen und kostet 9,99 Euro. Merchant liest heute, 20 Uhr, in Bornheim, Stadtbücherei. Der Eintritt kostet fünf Euro. Am Mittwoch, 30. September, 19.30 Uhr, gastiert sie im Rheinbacher Glaspavillon. Karten kosten acht, an der Abendkasse zehn Euro.

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