Rheinbacher Senioren "Meine Familie wurde zerstört"

RHEINBACH · Rheinbacher Senioren erinnern sich an ihre Jugend während des Zweiten Weltkriegs.

 Leben heute im Haus am Römerkanal in Rheinbach (v.l.): Heinz Wagner, Ingeborg Lante, Martha Pape und Werner Henzel.

Leben heute im Haus am Römerkanal in Rheinbach (v.l.): Heinz Wagner, Ingeborg Lante, Martha Pape und Werner Henzel.

Foto: Wolfgang Henry

Um unsere Jugend sind wir betrogen worden." Darin sind sich Ingeborg Lante (89) und Martha Pape (87) einig. So unterschiedlich das Leben der beiden Frauen auch verlief, beide wurden in den 20er Jahren geboren und erlebten somit das Hitler-Regime von Anfang bis Ende mit. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen jährt sich der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs diesen September zum 75. Mal. Der General-Anzeiger hat mit vier Zeitzeugen gesprochen, die im Haus am Römerkanal in Rheinbach leben.

Heinz Wagner (95) stammt aus dem Erzgebirge und war bei Kriegsausbruch 20 Jahre alt. Er arbeitete in einer Molkerei, also in der Nahrungsmittelbranche, und war somit eigentlich unabkömmlich, aber er meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst und kam zum ersten Fallschirmregiment. "Zum einen wollte ich Soldat sein wie mein Vater und die anderen jungen Männer auch", nennt er seine Beweggründe, "und zum anderen stellte ich mir vor, dass der Einmarsch in Polen endlich Ruhe und Ordnung in die ständigen Querelen zwischen Polen und Deutschland bringen würde." Heute sieht er das anders, "aber wir sind ja in der Hitlerjugend groß geworden", erklärt er.

"Uns wurde etwas geboten", bestätigt Martha Pape den zunächst positiven Eindruck, den die damalige Jugend gehabt habe. "Nach der großen Armut und flächendeckenden Arbeitslosigkeit, die auf den Ersten Weltkrieg folgten, brachte Hitler wieder Ordnung, Sauberkeit und Arbeit ins Land", führt sie aus. Ihr Vater habe sich davon aber von Anfang an nicht blenden lassen, und mit dem Anzetteln des Krieges sei dann ja offenkundig alles den Bach heruntergegangen, sagt sie.

Für Werner Henzel (84) aus Oberwesel war das nicht gleich offenkundig, empfand er den Kriegsausbruch als Neunjähriger doch zunächst spannend: "Der Durchgangsverkehr zum Saargebiet brachte allerhand Aufregendes mit sich, und auf meinen Onkel an der Front waren wir stolz. Bei meinen Großeltern und im ganzen Dorf wurden Pferde eingestellt, die ebenso rekrutiert wurden wie Soldaten. Und die Feldküche der Soldaten war wunderbar", erinnert sich Henzel. Sein Jahrgang wurde erst in den letzten Kriegstagen zum Ausheben von Schützengräben einberufen, und seine Verwandtschaft kehrte heil aus dem Krieg zurück. "Aber bis heute sehe ich zum Beispiel noch das kleine Mädchen vor mir, das plötzlich einen Judenstern tragen musste", erinnert er sich mit Beklemmung an die Pogromnacht.

Die hat sich auch Martha Pape eingebrannt: "Mein Bruder hatte als Soldat den Befehl, sich ohne Uniform an den Übergriffen in jener Nacht zu beteiligen. Doch er stellte sich vor meinen Vater hin und sagte: ?Mein Herz beschmiere ich genauso wenig wie die Uniform? und blieb tatsächlich weg." Alle vier Brüder von Martha Pape zogen in den Krieg, drei von ihnen fielen: "Meine Familie wurde vom Krieg zerstört."

"Wir hatten keine Wahl in unserer Jugend. Nach meinem Pflichtjahr in einer kinderreichen Familie wurde ich mit 17 Jahren als Nachrichtenhelferin eingezogen. Und nach der Kriegsgefangenschaft wurde ich Trümmerfrau - wir wurden nicht gefragt, ob das unseren Vorstellungen entsprach", sagt Ingeborg Lante. "Darum macht es mich so unglücklich, dass auf der Welt immer noch kein Friede herrscht und dass sogar die Israelis zu den Waffen greifen", sagt Martha Pape. Werner Henzel glaubt nicht an weltweiten Frieden: "Einen Hitler kann es überall und jederzeit wieder geben - immer da, wo große Armut und Perspektivlosigkeit herrschen", meint er.

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