83 Jahre alte Amerikanerin Hannah Ruben besucht Heimat Jüdin kehrt nach 75 Jahren zurück

RHEINBACH · Das Taschentuch hält Hannah Ruben fest in ihrer Hand. "Ich erinnere mich, dass ich als kleines Kind hier...", sagt die 83-Jährige, doch dann gerät ihre Stimme kurz ins Stocken. 75 Jahre ist sie nicht in Rheinbach gewesen. Es sind die Tage vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, als die damals acht Jahre alte Hannah den Ort zum vorerst letzten Mal besucht, in dem ihre Mutter Helena Geisel (verheiratete Ehrlich) aufgewachsen ist.

 Am Mahnmal im Innenhof des Rheinbacher Rathauses gedenkt die Familie zusammen mit Vertretern der Stadt der deportierten Juden.

Am Mahnmal im Innenhof des Rheinbacher Rathauses gedenkt die Familie zusammen mit Vertretern der Stadt der deportierten Juden.

Foto: Henry

1938 verhaftet die Gestapo Hannah Rubens Vater. Dass er die Haft in einem Konzentrationslager physisch abgemagert, aber lebendig übersteht, verdankt er lediglich dem Umstand, dass die Papiere für die Ausreise nach Amerika bereits ausgefüllt sind. Auf Einladung der Stadt Rheinbach kehrt die Amerikanerin in die Glasstadt zurück.

Eigentlich hatte sie sich geschworen, niemals mehr deutschen Boden zu betreten. Als sie vor 15 Jahren zu einer Europa-Reise über den großen Teich aufbricht, macht sie mit Bedacht um das Land, in dem sie aufwuchs, bis sie acht Jahre alt ist, einen großen Bogen. Ihre vier Söhne Howard, Dennis, Jeffrey und Gary hat die 83-Jährige nun ebenso mit auf diese emotionale Reise genommen wie Schwiegertochter Cindy und Enkelsohn Ross-Wayne Ehrlich Ruben (17), der in nahezu akzentfreiem Deutsch bekundet, kein Deutsch zu können.

In die Tränen, die im Großen Sitzungssaal und an der Gedenkstätte im Innenhof des Rathauses in Erinnerung an die Gräueltaten des Holocaust fließen, mischen sich auch Freudentränen. Etwa, wenn Stadtarchivar Dietmar Pertz Hannah Ruben eine alte Fotografie präsentiert: "Oh mein Gott", ruft diese aus. "Das ist meine Großmutter mit ihrem Sohn Gustav", berichtet sie und kann sich nicht sattsehen an der historischen Aufnahme. Ihre Großeltern Hermann und Sophie Geisel leben bis zu ihrer Ausreise 1939 in Rheinbach. Über die Niederlande und England verschlägt es sie wie Hannahs Familie in die Vereinigten Staaten. Gustav Geisel, der kleine, 1911 geborene Junge auf dem Foto, gilt als erster Jude, der in Rheinbach das Abitur ablegt.

Trotz aller Emotionalität des Augenblicks ist Hannah Ruben geistig in Höchstform. "Es ist gut, dass sie hier sind, um zu sehen...", beginnt Bürgermeister Stefan Raetz seinen Satz, und schon während einer Millisekunde des Luftholens wirft die 83-Jährige in deutscher Sprache ein: "...was anders ist." Tags zuvor weilt die ganze Familienreisegruppe im benachbarten Hellenthal, um der Verlegung von Stolpersteinen beizuwohnen. Er sei fasziniert von dieser Form der Erinnerungskultur, sagt Sohn Jeffrey Ruben. Als Raetz daran erinnert, dass "alle dafür sorgen müssen, dass das, was im Zweiten Weltkrieg passierte, nie wieder vorkommt", erntet er heftiges zustimmendes Kopfnicken seiner amerikanischen Gäste. "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen", wirft Jeffrey Ruben ein. "Die ersten Generationen wollten nicht darüber sprechen - auf Opfer- und auf Täterseite", findet Hannah Ruben.

Raetz nutzt den Besuch der Geisel-Nachfahren, um die Rheinbacher Debatte um Stolpersteine für alles andere als beendet zu erklären. "Die Diskussion ist nicht zu Ende, aber so etwas verträgt keinen Streit", so der Bürgermeister.

Die letzte Station von Hannah Rubens Rheinbacher Reise in die Vergangenheit ist nach dem Jüdischen Friedhof das Haus ihrer Eltern. Gebannt und andächtig zugleich schauen die Gäste auf das Gebäude an der Hauptstraße 28, in dem heute die Buchhandlung Kayser zu finden ist. "Es hat sich so viel verändert", findet sie.

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