Pfarrer Stefan Schwarz über seine Arbeit in der Justizvollzugsanstalt Rheinbach "Ich möchte wirklicher Seelsorger sein"

Pfarrer Stefan Schwarz ist Gefängnisseelsorger der Justizvollzugsanstalt (JVA) Rheinbach. Mit dem 55-Jährigen sprach Gerda Saxler-Schmidt.

 Stefan Schwarz ist seit 1998 Gefängnispfarrer in Rheinbach.

Stefan Schwarz ist seit 1998 Gefängnispfarrer in Rheinbach.

Foto: Wolfgang Henry

Die Gefängnisseelsorge ist Seelsorge unter besonderen Bedingungen. Haben Sie sich diesen Dienst bewusst ausgesucht?

Stefan Schwarz: Ich habe mich nach einem Praktikum in der katholischen Seelsorge in der Justizvollzugsanstalt Köln gezielt in die JVA Rheinbach beworben. Ich wollte wirklicher Seelsorger sein und nicht als leitender Pfarrer einer Gemeinde mehr in der Verwaltung als mit den Menschen arbeiten. Wenn ich in der JVA nicht-priesterliche Tätigkeiten durchführe, dann sind es die eines Sozialarbeiters nahe am Menschen.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag für Sie in der JVA Rheinbach aus?

Schwarz: Bei Dienstbeginn hole ich erst die Anträge der Gefangenen aus dem Briefkasten. Oft sind es an einem Tag bis zu 20, ganz selten mal keiner. Ich suche noch am selben Tag alle Antragsteller auf, frage nach dem Begehr und sortiere dann nach Prioritäten, wer zuerst drankommt und wer im Laufe der Woche. Die Anliegen fangen an bei Tabak und hören bei Beichte auf. Dazwischen liegen karitative, seelsorgliche oder theologische Fragen, Probleme mit der Familie bis hin zu Fragen nach dem Sinn des Lebens.

Kennen Sie von vornherein die Tat eines Gefangenen oder gehen Sie bewusst "un-informiert" auf ihn zu?

Schwarz: Ich schaue vorher nicht, was ein Gefangener gemacht hat, das interessiert mich auch nicht. Ausnahme ist aber, wenn ein Gefangener an den kirchlichen Gruppen teilnehmen will. Dann informiere ich mich vorher über dessen Verträglichkeit mit anderen oder ob er schon auffällig geworden ist. Aber seine Straftat an sich interessiert mich niemals als Ausschlussgrund, ich möchte lediglich informiert sein, damit ich auf bestimmte Auffälligkeiten aufmerksam reagieren kann.

Fällt es Ihnen auch schon einmal schwer, einen Gefangenen losgelöst von seiner Tat zu betrachten?

Schwarz: Es fällt mir generell nicht schwer, ganz gleich, welche Tat ein Gefangener begangen hat. Lästig wird es aber, wenn ich aufpassen muss, dass einer in der Anstaltskirche nichts klaut.

Die Gefängnisseelsorge sieht ihre Aufgabe auch darin, dass sich der Gefangene mit seiner Tat auseinandersetzt und Umkehrbereitschaft entwickeln kann. Wie leisten Sie das?

Schwarz: Lippenbekenntnisse der Gefangenen reichen da nicht. Es gibt zwei Indikatoren, die zeigen, ob jemand es ehrlich meint: Wenn er in der Lage ist, differenzierte Opferempathie zu entwickeln und wenn er in der Lage ist, seine finanziellen Möglichkeiten im Gefängnis einzuschränken, um eine wie auch immer geartete Wiedergutmachung zu leisten.

Sie sind auch Ansprechpartner für nicht christliche Gefangene. Viele sind Muslime, viele gehören keiner Religionsgemeinschaft an. Wie sieht da Ihre Arbeit aus?

Schwarz: Es können alle zu uns kommen. Für die muslimischen Gefangenen haben wir kleine Gebetsteppiche und einen Koran in der jeweiligen Sprache. Mit einem Kompass ermittle ich für sie, in welcher Richtung Mekka ist. Ich drucke ihnen die Gebetszeiten für Rheinbach aus. Beten können sie dann in den Pausen. Zu den Sonntagsgottesdiensten kann auch jeder kommen, ausgenommen die mit Sicherungsmaßnahmen. Prozentual haben wir mit 20 Prozent mehr Gottesdienstbesucher als draußen.

Ein wichtiger Aspekt ist der Kontakt zu den Familien und dem sozialen Umfeld der Gefangenen. Wie können Sie helfen?

Schwarz: Ich bin nicht Gefangenen-, sondern Gefängnisseelsorger, und deshalb auch für Angehörige zuständig soweit sie das wollen. Wir treffen uns dann abends bei mir zu Hause oder in einem Café. Häufig sind es Mütter, die sich an mich wenden, weil der Junge schon zum dritten oder vierten Mal in Haft ist. Die fragen sich dann, was sie falsch gemacht haben in der Erziehung. Ich erkläre ihnen dann, dass die Erziehung nur einen Teil der Prägung ausmacht. Besonders dicht wird die Seelsorge, wenn in der Familie jemand gestorben ist.

Spielt der Kontakt zu den Familien und Kindern jetzt vor und an Weihnachten eine noch größere Rolle?

Schwarz: Das ist sehr unterschiedlich. Einige bekommen das sprichwörtliche "ärme Dier", weil die Diskrepanz zum schönen Weihnachtsfest "draußen" groß ist. Andere kennen gar kein Weihnachtsfest, und so spielt es für sie keine Rolle. Oder sie verbinden das Fest mit negativen Erfahrungen in ihrer Kindheit.

Sie sind auch Ansprechpartner und Seelsorger für die Bediensteten. Mit welchen Anliegen kommen diese zu Ihnen?

Schwarz: Da kann es um kleine und große private Katastrophen gehen. Ich bin auch sozialer Ansprechpartner der Anstalt. Das ist Seelsorge und Lebensberatung für die Bediensteten in einem. Alle Probleme selbst lösen kann ich nicht, aber Wege aufzeigen und Ansprechpartner vermitteln.

Sie arbeiten in der Struktur der JVA, als Seelsorger aber steht für Sie die Schweigepflicht vor der Anzeigepflicht etwa geplanter Straftaten. Kommt es da schon einmal zu Gewissenskonflikten?

Schwarz: Nur die Schweigepflicht produziert das Vertrauen, dass sich der Gefangene mir öffnet. So habe ich die Möglichkeit, mit ihm alternative Perspektiven zu entwickeln. Ein Gefangener zum Beispiel, der sich mit Selbstmordgedanken trägt, kann sicher sein, dass das unter meine Schweigepflicht fällt. Ohne Schweigepflicht würde er Suizid begehen und keiner hätte die Chance, auf ihn einzuwirken.

Stellen Sie im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs auch Kontakt zwischen beiden her?

Schwarz: Man muss da sehr genau hinschauen, ob der Täter den Ausgleich nur will, um früher rauszukommen. Wenn das aber ehrlich ist, können beide, Opfer und Täter, davon profitieren. Das Opfer sieht den Täter nicht mehr als ein Monster und kann das Geschehen dadurch besser verarbeiten. Und der Täter wird durch das Opfer teilweise von seiner Schuld entlastet. Das ist uns auch schon gelungen.

Sind Sie von Gefangenen schon einmal enttäuscht worden?

Schwarz: Ja, ich bin schon enttäuscht worden. Aber ich weiß, wo ich arbeite. Bis jemand als Erwachsener in Strafhaft kommt, haben viele gesellschaftliche Steuerungsversuche nicht gefruchtet. Und man muss nicht glauben, dass die Strafhaft alle Inhaftierten nachhaltig bessert.

Können Sie ein besonders schönes, erfolgreiches Erlebnis aus ihrer Tätigkeit als Gefängnisseelsorger nennen?

Schwarz: Ich konnte wesentlich dazu beitragen, dass ein Gefangener, dessen Frau im August das gemeinsame ungeborene Kind verloren hat, noch vor Weihnachten aus der Haft entlassen wurde und die beiden so diesen schweren Schicksalsschlag gemeinsam verarbeiten können. Dazu bedurfte es der Mitwirkung zahlreicher Institutionen. Alle haben mitgezogen.

Zur Person

Pfarrer Stefan Schwarz (55) stammt aus Düsseldorf. Nach dem Abitur war er zunächst Offizier bei der Bundeswehr, bevor er sich entschied, katholischer Priester zu werden. Geweiht wurde er 1990 und ist seit 1998 Gefängnisseelsorger in der JVA Rheinbach. Darüber hinaus ist Pfarrer Schwarz Stadt-Seelsorger der Bonner Malteser.

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