Gespräch am Wochenende "Erwachsenwerden hört nie auf"

Rheinbach · Unsere Kultur verklärt die Zeit der Jugend. Und alles, was danach kommt, erscheint als unaufhaltsamer Niedergang. Susan Neiman wendet sich gegen diese resignative Sicht aufs Erwachsensein.

 Ist am Donnerstag, 19. März, in Rheinbach "Zu Gast auf dem Sofa": Autorin Susan Neiman.

Ist am Donnerstag, 19. März, in Rheinbach "Zu Gast auf dem Sofa": Autorin Susan Neiman.

Foto: Bettina Volke

Die Philosophieprofessorin, die an der US-Elite-Uni Yale lehrte, ist eine dieser faszinierenden Frauen, denen man immer weiter zuhören will - einfach so. Mit der 59-Jährigen, die am Donnerstag, 19. März, 19.30 Uhr, in der Rheinbacher Hochschul- und Kreisbibliothek "Zu Gast auf dem Sofa" ist, sprach Mario Quadt.

Wachsen unsere Kinder eigentlich derzeit in einer Epoche der Weltgeschichte auf, in der es gut ist, aufzuwachsen?
Susan Neiman: Ich glaube, es ist immer schwieriger geworden, aufzuwachsen - schon seit der Zeit der Aufklärung. Ich sehe es an meiner 24 Jahre alten Tochter. Die macht sich Sorgen, dass es noch schwieriger wird. Alleine wegen all der Technik, die unseren Alltag bestimmt. Das Problem gibt es übrigens seit der Zeit von Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant - also seit dem 18. Jahrhundert. Mit dem einzigen Unterschied: Damals gab es noch weniger mündige Bürger, andere konnten deren Entscheidungen treffen. Ich versuche, die Philosophen im Hinblick auf das Erwachsenwerden neu zu lesen.

Kant kommt in Ihrem neuesten Buch eine Hauptrolle zu. Sie schreiben über ihn, dass er mit "Kritik der reinen Vernunft" das wichtigste und zugleich am schlechtesten geschriebene Buch in der Geschichte der modernen Philosophie verfasst hat. Wie kommt das zusammen?
Neiman: Kant war leider kein Schriftsteller, sondern ein Gelehrter, ein sehr trockener. Das ist traurig, aber Kant wusste es auch selbst.

Warum fasziniert Sie als Philosophin das Erwachsenwerden derart? Wollen Sie etwa selbst nicht erwachsen werden?
Neiman: Gewiss ist es ein Problem für uns alle. Erwachsen zu sein, suggeriert: Man wächst nicht mehr. Das stimmt aber nicht. Es ist ein Prozess des Wachsens, der niemals aufhört und nicht aufhören sollte - vor allem im Denken. Im Rückblick lässt sich in meinem Leben sagen: Es hat alles einen Sinn ergeben, auch wenn ich viele Umwege ging. Ich habe auch drei Kinder in den Zwanzigern und immer versucht, ihnen das Erwachsenwerden zu erleichtern. Das habe ich nicht immer geschafft.

Das grundsätzliche Problem ist: Wir idealisieren die Zeit von 20 bis 30 Jahren und sagen, dass es ab dann bergab geht. Das stimmt nicht und ist schrecklich sowohl für jüngere als auch ältere Menschen. Für die Jüngeren: weil sie das Leben als kontinuierlichen Verfall sehen müssen, denn sie hören von uns, es geht nur bergab. Für die Älteren: Ich bin zwar mit vielem nicht einverstanden, was Angela Merkel macht, war aber entsetzt, als sie 60 Jahre geworden ist, und die Presse allen Ernstes fragte, wann sie denn aufhört? So ein Unsinn. Das Staatsmännische wird doch besser mit den Jahren.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass Sie Verständnis dafür haben, wenn Europas mächtigste Politikerin "Mutti" genannt wird.Neiman: Tja... Ich habe Verständnis dafür, weil es auch zeigt, dass wir nicht wirklich mündige Bürger werden wollen, sondern uns lieber von Müttern beziehungsweise Vätern versorgen lassen wollen.

Wie begegnen Sie Menschen, die sich für Berufsjugendliche halten? Ein stets lausbübischer Thomas Gottschalk oder Schauspielerinnen wie Meg Ryan oder Renée Zellweger, die sich bis zur Unkenntlichkeit von Chirurgen haben "verjüngen" lassen?Neiman: Es ist traurig, wenn Frauen in den Medien meinen, so etwas tun zu müssen, weil sie annehmen, mit 40 Jahren keine Chance mehr zu haben. Schönheit ist ein Ausdruck von Lebensfreude. Man kann aber fröhlich und schön aussehen - ohne den chirurgischen Kram. Schlimm ist das wohlwollende Kompliment: Du sieht aber jung aus - dabei setzen wir Schönheit mit Jugend gleich.

Wer Ihr Buch liest, erkennt, dass Sie von sogenannten sozialen Netzwerken nicht viel halten. Haben Sie denn nie Ihr leckeres Mittagessen bei Facebook vorgezeigt?
Neiman: Oh, ich habe gar keine Facebookseite. Ich weiß auch: Manche meinen, du existierst gar nicht, wenn du keine Facebookseite hast. Was hätte Rousseau wohl von Facebook gedacht? Er sprach bereits im 18. Jahrhundert von dem Unterschied zwischen Selbstliebe, die wirklich von Innen ausgeht, und Eitelkeit, bei der man sich nur in den Augen der Anderen betrachtet. Das war fast schon prophetisch.

In Ihrem Buch kritisieren Sie offen, wie viel Zeit wir dafür benötigen, uns etwa Updates herunterzuladen. Ihr Vorschlag lautet: Wir sollten die Zeit eher nutzen, für alle hungrigen Kinder der Welt Nahrung zu produzieren oder ein Mittel gegen Krebs zu entwickeln. Der Vorschlag klingt Nobelpreisverdächtig.
Neiman: Gut, er klingt utopisch, der Punkt ist aber, dass wir so viel Zeit für unwichtige Fragen verschwenden, während wichtige Fragen als utopisch beziehungsweise naiv oder kindisch abgetan werden. Aber selbst ich habe immer wieder eine lange Liste von Sachen zu tun, die ich nicht machen will. Wenn der Computer kaputt ist, muss ich mit dem Neuen hadern. Wir vertrauen zu viel unnötiger Technik. Die Philosophie hilft dabei, das zu ändern.

Einige Stellen in Ihrem Buch gab es, an denen ich herzlich lachen musste - etwa wenn Sie darüber berichten, dass Ihr Computer genau dann sein Leben aushaucht, kurz nachdem die Garantie abgelaufen ist. Irritiert Sie, dass ich gelacht habe?
Neiman: Um Gottes Willen, nein. Ich bin froh, wenn ich Menschen zum Nachdenken bringen kann - und zum Lachen. Darum freue ich mich, wenn ich auf Lesereise gehe. Allerdings - und das steht im Buch - ist das Kaputtgehen des Computers nach der Garantie kein Zufall. Unter den Namen "planned obsolescence" wurde schon vor fast 100 Jahren von der Industrie eingeführt, dass Produkte planmäßig kaputtgehen, damit mehr Gewinn erzielt wird

Karten gibt es für acht, ermäßigt vier Euro in der Rheinbacher Buchhandlung Kayser sowie den Hochschul- und Kreisbibliotheken in Rheinbach, Von-Liebig-Straße 20, und Sankt Augustin, Grantham-Allee 20.

Für die Lesung verlost der GA drei mal zwei Karten. Rufen Sie uns unter Tel. 01379 886811 an oder senden eine SMS mit dem Kennwort GAB3 an die Kurzwahl 1111 - beides für je 50 Cent pro Anruf aus dem Festnetz, abweichend aus dem Mobilfunknetz sind möglich. Bitte geben Sie Ihren Namen und Ihre Adresse an. Teilnahmeende ist morgen, 15. März, 24 Uhr.

Das Buch "Warum erwachsen werden" ist bei Hanser erschienen und kostet 19,90 Euro.

Zur Person

Die Amerikanerin Susan Neiman (59), in Atlanta geboren, war Professorin für Philosophie an den Universitäten Yale und Tel Aviv, bevor sie im Jahr 2000 die Leitung des Einstein-Forums in Potsdam übernahm. Ihre Hauptarbeitsgebiete sind Moralphilosophie, politische Philosophie und Philosophiegeschichte. An der Harvard Universität und der Freien Universität Berlin studierte sie Philosophie. Sie ist Mutter von drei nahezu erwachsenen Kindern und lebt in Berlin.

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