Interview mit Autor Helge Timmerberg "Das Märchen besitzt eine eigene Magie"

RHEINBACH · Seine Lebenstraumgeschichte stellt Helge Timmerberg in seinem aktuellen Buch "Die Märchentante, der Sultan, mein Harem und ich" vor. Auf seiner Lesereise macht er am Mittwoch, 15. Oktober, auch in der Hochschulbibliothek in Rheinbach Station.

Mochten Sie schon immer Märchen?

Helge Timmerberg: Überhaupt nicht! Vielleicht die Gebrüder Grimm als Kind, aber diese Mode rund um die vietnamesischen oder indianischen Volksmärchen interessierte mich nie. Ich mag moderne Märchen, also auch Hollywood-Filme mit fantastischen Einschüben. Im Prinzip ist Batman ja ebenfalls ein Märchen. Und das Märchen "Die Perlenkarawane", um das es in meinem Buch geht, ist vielmehr eine intelligente türkische Geschichte für Erwachsene.

Wie kamen Sie mit diesem Märchen zum ersten Mal in Berührung?

Timmerberg: Das muss 1982 gewesen sein, als ich es zufällig in einem losen Stapel DIN-A4-Blätter neben meinem Gästebett von Endi Effendi fand. Seitdem hat mich die Geschichte begleitet, manchmal dachte ich sogar, sie verfolgt oder frisst mich.

Was faszinierte Sie daran?

Timmerberg: Die orientalische Erzählweise, die Intelligenz und der Humor. Wie der Held mit den bösen Geistern und den Jeannies umgeht, ist sehr lustig. Auch ihr innerer Atem, also die Aussage der Geschichte, ist fesselnd: Es geht um Lebensträume und die Frage, ob es besser ist, diese zu träumen oder zu realisieren. Das Märchen an sich besitzt eine ganz eigene Magie, immer wenn ich es erzählte, passierte etwas. Entweder schenkten mir Frauen ihr Herz oder Männer ihr Geld und wollten, dass ich daraus ein Drehbuch mache.

Wie entstand dann Ihr Buch - und warum kein Drehbuch?

Timmerberg: Genau diese Geschichte wird im Buch erzählt, wie ich drei Mal versucht habe, ein Drehbuch zu schreiben und es jedes Mal in den Sand gesetzt habe. Ein Mal in Ägypten, ein Mal in Marokko und ein Mal in der Türkei. Wobei es dort eher die zweite Hauptperson der Märchenerzählerin vermasselte. Denn es geht nicht nur um mich und meine Geschichte mit der Perlenkarawane, sondern zudem um die hochinteressante Geschichte einer deutschen Märchenerzählerin, die 1880 in der Türkei aufgewachsen ist. Über sie wollte ich eigentlich einen historischen Film drehen, obwohl ich mein gesamtes Berufsleben eher Erfolg hatte, wenn ich das Thema und mich zum Inhalt von Artikeln oder Büchern machte. Vor ein paar Jahren wurde mir klar, dass die staubtrockene Herangehensweise wohl einfach nicht meine Art ist und ich lieber meine Erlebnisse mit dem Märchen und der Frau aufschreiben sollte - das war der Schlüssel, und dann ging mit dem Buch alles ruckzuck.

Sind Sie selbst nun der Märchenheld der Geschichte?

Timmerberg: Das ist ein spannendes Thema, denn die "Perlenkarawane" handelt von einem Helden, der einen Lebenstraum hat, an den er jeden Tag denkt, um seine streitsüchtige Frau zu vergessen. Ihm hat jeder seinen Traum geglaubt und ihm geholfen, bis er sogar zum Schwiegersohn des Sultans wurde. Erst beim Schreiben über meine Reise durch die drei Länder während der drei Jahrzehnte fiel mir auf, dass ich in meiner Beschäftigung mit dem Märchen Ähnliches erlebt habe wie der Held der Geschichte. Zwischendurch wurde mir ein wenig komisch zumute, weil das wie eine Art Voodoo-Märchen zu sein schien, aus dem man nicht mehr herauskommt. Mit Abschluss des Buches habe ich es jedoch geschafft, wieder bei mir zu landen.

Warum ist es Ihnen wichtig, das Buch auf Ihrer Lesereise persönlich zu präsentieren?

Timmerberg: Zwischen schreiben und erzählen liegt ein großer Unterschied. Und ich würde sagen, ich bin ein besserer Erzähler als Schreiber. Erzählen hat außerdem mehr Kraft als schreiben, weil es live ist und mit Mimik, Gestik sowie den Varianten der Stimme untermalt wird. Und das Buch ist schließlich inspiriert vom Geschichtenerzählen, das eine lange Tradition besitzt und die Quelle aller Medien ist. Ob Werbung, Journalismus oder Film - alle erzählen sie Geschichten. Das gesprochene Wort ist die natürlichste Kommunikation, schon die Neandertaler konnten sich etwas erzählen. Mit gedrucktem Wort oder Film erreicht man selbstverständlich wesentlich mehr Menschen.

Zur Person

Helge Timmerberg, geboren 1952 in Dorfitter, Hessen, wohnt in St. Gallen und Wien. Er absolvierte ein Volontariat bei der Neuen Westfälischen Zeitung und arbeitete als Lokalredakteur, bis er sich als Reisejournalist und Schriftsteller selbstständig machte. 1985 kam sein erstes Buch heraus. Im April erschien "Die Märchentante, der Sultan, mein Harem und ich".

Die Lesung in Rheinbach

Am Mittwoch, 15. Oktober, ist Helge Timmerberg "zu Gast auf dem Sofa" in der Hochschul- und Kreisbibliothek in Rheinbach, von-Liebig-Straße 20. Beginn des Abends in der Lesereihe der Bibliothek und der Buchhandlung Kayser mit Unterstützung des General-Anzeigers ist um 19.30 Uhr. Seit er im Alter von 17 Jahren das erste Mal nach Indien reiste und dort beschloss, Journalist zu werden, schreibt Timmerberg Reisereportagen aus aller Welt. Sein Buch "Die Märchentante, der Sultan, mein Harem und ich" ist eine biografische Spurensuche, die zu einer langen orientalischen Reise wird. Dabei verbindet sie der Autor mit einer Märchenerzählung und folgt der Spur von Elisabeth von Kamphoevener, die in der Türkei aufgewachsen ist und als Mann verkleidet in den Karawansereien den Geschichtenerzählern lauschte. Karten (acht Euro) gibt es in der Hochschulbibliothek, in der Buchhandlung Kayser (Hauptstraße 28 in Rheinbach) und unter Tel. 0 22 41/86 54 80.

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