Interview mit Hans-Wilhelm Möser "Es war das Ende einer Ära"

MECKENHEIM · Im nächsten Jahr ist es 200 Jahre her, dass der französische Kaiser Napoleon nicht nur die Schlacht bei Waterloo, sondern auch endgültig seine Macht verlor. Die Engländer verbannten ihn auf die Insel Sankt Helena im südlichen Atlantik, wo er 1821 starb. Über die Schlacht bei dem damals 1000 Einwohner zählenden Dörfchen im Juni 1815 hat der Meckenheimer Hans-Wilhelm Möser ein Buch geschrieben.

 Waterloo-Experte: Hans-Wilhelm Möser mit (v.l.) Wellington, Napoleon und Blücher als Miniaturen.

Waterloo-Experte: Hans-Wilhelm Möser mit (v.l.) Wellington, Napoleon und Blücher als Miniaturen.

Foto: Roland Kohls

Und er war einer der wenigen lizenzierten Fremdenführer aus Deutschland, der Touristen über das ehemalige Schlachtfeld führen darf. Mit ihm sprach Hans-Peter Fuß.

Mögen Sie eigentlich den Abba-Hit "Waterloo"?
Möser: Ja, doch. Eine schmissige Melodie, ein Ohrwurm.

Die Pop-Geschichte der 70er Jahre soll aber nicht unser Thema sein, sondern ein militärgeschichtliches Ereignis von europäischer Dimension, wie Sie schreiben. Wie kamen Sie dazu, ein Buch über die Schlacht bei Waterloo zu schreiben?
Möser: Waterloo hat mich seit der Schulzeit fasziniert. Ich kann gar nicht mehr sagen, warum. In meiner Zeit als Soldat habe ich zwei Mal in der Nähe von Waterloo gewohnt. Ich habe das Schlachtfeld häufig besucht und dann 1990 durch eine mehrwöchige Ausbildung die Lizenz als Fremdenführer erworben. Die konkrete Idee, ein Buch zu schreiben, hatte ich vor drei, vier Jahren als das Jubiläumsjahr 2015 immer näher rückte.

Wo haben Sie für Ihr Projekt recherchiert?
Möser: Teils besitze ich selbst umfangreiche Literatur über das Thema. Gerade Napoleon füllt ja ganze Bibliotheken. Ich habe mich aber auch der Möglichkeit der Fernausleihe bedient, um weitere Fachliteratur nutzen zu können. Dabei habe ich festgestellt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg nichts Neues zum Thema Waterloo erschienen ist. Auch darin lag meine Motivation, das Buch zu schreiben.

War es schwierig, als unbekannter Autor einen Verlag zu finden?
Möser: Ich habe 45 Verlage angeschrieben. Die meisten haben noch nicht mal abgesagt. Nur drei Verlage zeigten sich interessiert. Mit dem Aachener Helios-Verlag habe ich dann einen guten Partner gefunden.

Im Jubiläumsjahr werden zahlreiche Bücher über Waterloo erscheinen. Warum sollte man gerade Ihres lesen?
Möser: Bei meiner Recherche habe ich kein Buch gefunden, dessen Autor das Schlachtfeld bei Waterloo wirklich kannte. Alle Werke sind in Gelehrtenstuben entstanden. Ich aber kenne die Örtlichkeit, ich verstehe etwas von Operationsführung. Manche Urteile von Historikern zeigen, dass sie vom operativen Hintergrund einer Schlacht wenig Ahnung haben.

Woher stammt Ihr Wissen über Operationsführung?
Möser: Als Oberst im Generalstabsdienst der Bundeswehr habe ich beispielsweise Pläne für die Verteidigung des Bündnisgebietes nach einem angenommenen Angriff aus dem Osten entworfen.

Warum hat der ruhmreiche Feldherr Napoleon die Schlacht verloren?
Möser: Er hat zwei entscheidende Fehler gemacht. Er hat die Preußen unter Blücher nicht verfolgt, nachdem er sie am 16. Juni 1815 bei Ligny taktisch besiegt hatte. So wusste er nicht, wo sie waren, was sie taten und musste deshalb ins Ungewisse planen und handeln. Einen Tag später ließ er Wellington bei Quatre Bras entkommen. So verspielte er die Möglichkeit, beide Gegner einzeln zu schlagen. Gegen die schiere Masse beider Gegner, die zusammen über rund 140 000 Mann verfügten, hatte er mit seinen 72 000 Soldaten keine Chance.

Warum handelte er derart unentschlossen? Bis dahin war Napoleon ja nicht als Zauderer bekannt.
Möser: In der Tat ist dieses Verhalten als Bruch zu seinem vorherigen Verhalten zu bewerten. Gründe für seine Unentschlossenheit lassen sich nicht nachweisen. Einige Historiker meinen, sie beruhe auf einer Krankheit, die ihn zu häufigem Schlaf gezwungen habe.

Was wäre passiert, wenn Napoleon die Schlacht gewonnen hätte?
Möser: Auch dann hätte er auf Dauer nicht gegen die Übermacht seiner Gegner bestehen können. Es ist aber die Frage, ob die Koalition bei einem Ausstieg des Hauptgeldgebers England weiter hätte bestehen können. Zumal Kaiser Franz I. von Österreich als Vater von Napoleons Frau Marie Louise nicht als dessen Todfeind galt. Für Russland wäre es ohne das Geld aus England schwierig geworden. Nur das von Frankreich ausgeplünderte Preußen hätte wohl sicher weiter Krieg geführt.

Wie lief die Schlacht ab?
Möser: Wellington verteidigte, bis Blücher mit seinen Preußen kam und Napoleon in die Flanke fiel. Auf einer Breite von vier Kilometern standen sich am 18. Juni 1815 etwa 200 000 Soldaten gegenüber. Am Ende waren etwa 15.000 Tote und 30 000 Verwundete zu beklagen.

Welche Waffen wurden eingesetzt?
Möser: Kanonen, deren Kugeln durch das Gelände schossen wie flache Steine über einen See. Eine solche Kugel, sechs Kilogramm schwer, wurde schulterhoch abgeschossen, flog in Überschallgeschwindigkeit 600 Meter in einer gestreckten Bahn und zerschmetterte alles in ihrem Weg. Sie schlug flach auf und flog noch einmal 300 Meter, prallte auf und flog wieder 150 Meter, dann 75 Meter, ehe sie ausrollte. Die Soldaten waren mit Gewehren, Pistolen, Säbeln, Lanzen und Bajonetten ausgerüstet.

Warum fand die Schlacht überhaupt bei Waterloo statt?
Möser: Wellington hatte dieses Gelände für die Verteidigung südlich von Brüssel erkundet. Napoleon wollte nach Brüssel, um dort den König der Vereinigten Niederlande sowie in Gent den französischen König zur Flucht zu zwingen. Da er wusste, dass sich die Armeen der Koalition von allen Seiten Frankreich näherten, musste er eine schnelle Entscheidungsschlacht suchen. Und bei Waterloo stellten sich ihm die Gegner auf dem Weg nach Brüssel in den Weg.

Was haben die Bewohner des Ortes von der Schlacht mitbekommen?
Möser: Nur den Lärm. Im Ort selbst wurde nicht gekämpft und nichts zerstört.

Was macht den Mythos Waterloo, der zum Sprichwort wurde, nach 200 Jahren noch aus?
Möser: Die Schlacht markiert das Ende der napoleonischen Ära in Europa, das vorläufige Ende der Kriege, aber auch das Ende einer gesellschaftlichen Modernisierung. So lebten die Rheinländer unter den Franzosen 20 Jahre lang relativ liberal. Napoleon hatte ja mit dem Code civil auch demokratische Rechte eingeführt, die die streng hierarchischen Preußen dann wieder zurücknahmen.

Wie bewerten Sie Napoleon? Moderner Staatsmann oder Kriegstreiber?
Möser: Er war beides. Er hat Frankreich nach den Revolutionswirren im Innern Ruhe und Ordnung beschert und den besiegten Ländern moderne Verfassungen mit demokratischen Rechten für die Bürger gegeben. Napoleon ist aber auch ohne Krieg nicht denkbar. Er war skrupellos, wenn es um seine Macht ging. Zum Fürsten Metternich hat er einmal gesagt: Das Leben von einer Million Menschen schert mich wenig.

Dennoch hat er die Menschen seiner Zeit fasziniert. Auf einem 1796 entstandenen Gemälde von Antoine-Jean Gros sieht er mit seinen langen Haaren aus wie der junge Rod Stewart. War er in seiner Zeit eine Art "Popstar"?
Möser: Locker ausgedrückt, könnte man das so sagen. Er war jedenfalls sehr beliebt im Volk wegen seiner vielen militärischen Siege. So personifizierte er die Größe und Macht Frankreichs. Zu seiner Popularität trug auch die Tatsache bei, dass er den Klerus und den Adel enteignet und das Land den armen Bauern gegeben hatte. Auch deshalb geriet seine Rückkehr aus dem Exil auf Elba von der Landung bei Cannes bis nach Paris zum Triumphzug.

Was bedeutete Waterloo für die europäische Geschichte?
Möser: Napoleons Niederlage war die Basis für die Restauration in Europa, die auf dem Wiener Kongress manifestiert wurde. Revolutionäre und demokratische Umtriebe wurden unterdrückt, ehe sie erst 1848 wieder zum Vorschein kamen. Demokratische Rechte wurden in ganz Europa wieder zurückgeschraubt.

Zur Person

Hans-Wilhelm Möser, 1938 in Darmstadt geboren, trat 1961 als Panzergrenadier in die Bundeswehr ein. Er war Kompaniechef in der Führungsakademie der Bundeswehr und zuletzt als Oberst im Generalstab in Kommandostellen der Nato tätig. In der Militärakademie Sandhurst und in Brüssel beschäftigte er sich mit der britischen und der französischen Sicht auf Waterloo.

Bis 2010 war er Inhaber der belgischen Lizenz als Fremdenführer auf dem Schlachtfeld von Waterloo. Möser lebt in Meckenheim. Sein Buch "Die Schlacht bei Waterloo" ist im Helios-Verlag Aachen erschienen und kostet 28 Euro.

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