Lesung im Haus Schlesien Helmuth James Graf von Moltke: Briefwechsel im Angesicht des Todes

HEISTERBACHERROTT · "Sonst nichts anderes, als dass ich Dich, mein sehr liebes Herz, sehr lieb habe, und dabei bleibt's. J." Das waren die letzten Zeilen, die Helmuth James Graf von Moltke am 23. Januar 1945 an seine Frau Freya richtete.

 Die Schauspieler Jochen Striebeck und Jovita Dermota trugen im Haus Schlesien Passagen aus den Moltke-Briefen vor.

Die Schauspieler Jochen Striebeck und Jovita Dermota trugen im Haus Schlesien Passagen aus den Moltke-Briefen vor.

Foto: Frank Homann

An diesem Tag wurde der Spiritus Rector des Kreisauer Kreises in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Im Haus Schlesien las jetzt Schauspieler Jochen Striebeck diese Zeilen. Und seine Kollegin Jovita Dermota übernahm es, aus den Briefen Freyas vorzutragen, die in den letzten vier Lebensmonaten ihres Mannes entstanden. Der Titel: "Außer dem Leben können sie Dir ja nichts nehmen."

Eineinhalb Stunden erhielten die Zuschauer einen Einblick in die Beziehung dieser beiden noch jungen Menschen, deren innere Verbundenheit im Angesicht des Todes noch wächst. Den beiden Münchner Schauspielern gelang eine vorzügliche Auswahl von Briefpassagen, die sie mit sehr viel Einfühlungsvermögen vortrugen. Die Veranstaltung fand begleitend zu der im Haus Schlesien laufenden Ausstellung über den Kreisauer Kreis statt, einer bürgerlichen Widerstandsgruppe gegen die nationalsozialistische Diktatur.

Als Grundlage diente Jochen Striebeck und Jovita Dermota der 2011 erschienene Band: "Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel". Freya von Moltke hatte bestimmt, dass erst nach ihrem Tod diese politisch wie persönlich sehr offenen Briefe veröffentlicht werden dürfen. Kaum jemand außerhalb der Familie wusste, dass der Briefkorpus mit Hunderten von Schreiben fast vollständig erhalten blieb. Zu verdanken ist dies dem mutigen Pfarrer Harald Poelchau, der nicht nur die Häftlinge des Strafgefängnisses Tegel betreute, sondern auch Briefe in seiner Jackentasche hinein und sie samt Antworten auch wieder hinausschleuste.

Seit der Verlegung des Widerstandskämpfers vom KZ Ravensbrück nach Tegel im September 1944 wartete Freya fast täglich in der Poelchauer Wohnung auf Nachrichten und schrieb dort ihre Briefe. Der Seelsorger war - unentdecktes - Mitglied des Kreisauer Kreises. Gemeinsam mit seiner Frau Dorothee bot er Moltkes Gattin Unterkunft in Berlin. Dort hielt sich Freya Moltke während der Woche auf, um ihrem seit Januar 1944 eingesperrten Mann näher zu sein.

In Bienenstöcken auf ihrem Gut Kreisau versteckte sie diesen Briefschatz. Im Herbst 1945, als sich die Vertreibung aller Deutschen aus dem nun polnischen Kreisau abzeichnete, schickten die Briten Lastwagen, die die Witwe und ihre beiden Söhne Caspar und Konrad über die Demarkationslinie nach Berlin brachten.

Die Briefe sollten sie begleiten auf ihren künftigen Lebensstationen: Südafrika, Berlin und ab 1960 in Vermont in den USA, wo sie hochbetagt vor fünf Jahren verstarb - 70 Jahre nach dem Tod Helmuth James von Moltkes. Für die promovierte Juristin mit Kölner Wurzeln wurde ihr Traum wahr: Kreisau wurde eine internationale Begegnungsstätte.

"Ich werde alt und anders werden, deshalb muss ich Dich in mir tragen und mit Dir leben", las Jovita Dermota. Und Jochen Striebeck zitierte: "Ich habe keine Furcht vor dem Tod, und ich habe animalische Angst vor dem Sterben." Die Lesung war ein bewegender Einblick in vier Monate des Abschiednehmens - "der Höhepunkt und die schwerste Zeit unseres Lebens", so formulierte es Freya von Moltke später. Ganz nah am Tod, innigst in der Liebe. "Mein liebes Herz, mein Jäm", schrieb sie. "Mein Pim", formuliert er gern. "Unter dem unfertigen Brief, den sie am 23. Januar 1945 begonnen hatte, notierte Freya von Moltke irgendwann: "Hat H. nicht mehr erreicht."

Die Ausstellung über den Kreisauer Kreis ist im Haus Schlesien, Dollendorfer Straße 412, bis Sonntag, 8. März, zu sehen. Das Buch "Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel - September 1944 bis Januar 1945" erschien im Beck-Verlag. Weitere Informationen im Internet unter der Adresse www.hausschlesien.de.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort