E-Scooter Verbot in Bus und Bahn "Ein Stück Freiheit wurde uns genommen"

NIEDERDOLLENDORF · Anita Gerdhabing-Sanchez nennt ihn liebevoll "Möppchen". Sein Steckbrief: Er ist 42 Kilogramm schwer und hat als Herz einen Elektromotor. "Mein Möppchen gibt mir mehr Selbstständigkeit und Normalität", sagt die Niederdollendorferin.

Seit acht Jahren fährt sie ihren E-Scooter. "Dieses Elektromobil war für mich ein Segen." Damit konnte sie nicht nur erstmals am Rhein entlang fahren oder alleine zum Einkaufen in die Geschäfte, sondern auch mit der Linie 66 und verschiedenen Bussen zu den Anwendungen im Bad Honnefer Krankenhaus und zu Arztterminen in Bonn und Siegburg.

Neue landesweite Regelungen der NRW-Nahverkehrsunternehmen schränken die durch die Elektromobile neu gewonnene Freiheit allerdings erheblich ein: Seit Dezember haben auch die Bonner Stadtwerke E-Scooter-Fahrern die Nutzung ihrer öffentlichen Verkehrsmittel untersagt.

Anita Gerdhabing-Sanchez kam schon als Säugling mit dem Polio-Virus in Kontakt. "Damals gab es bei uns keine Impfungen gegen Kinderlähmung", erzählt die gebürtige Spanierin, die aus einem kleinen Ort bei Sevilla stammt. 1961 ging ihr Vater zum Arbeiten nach Deutschland, die Mutter folgte ihm zwei Jahre später mit Tochter und Sohn. Seitdem lebt Anita in Niederdollendorf.

Mit 18 Jahren machte sie ihren Führerschein und konnte nun mit dem Auto zur Arbeit fahren. Die jetzt 58-Jährige war Buchhalterin in einem Oberdollendorfer Autohaus, bis sie ihren Arbeitskollegen Karl Gerdhabing heiratete und zwei Söhne bekam, Philipp, mittlerweile 29, und Mario-José (22). Zunächst reichten der Niederdollendorferin ein Paar Krücken als Unterstützung.

Mit viel Ehrgeiz schaffte sie es, mit den Gehhilfen die Strecken vom Auto bis zum Arbeitsplatz oder in ein Geschäft zu bewältigen. Dann ließen jedoch Kräfte und Gelenke nach. Sie stieg daher vor 15 Jahren auf einen Rollstuhl um, was ihre Selbstständigkeit jedoch einschränkte, denn sie konnte das schwere Vehikel nicht alleine aus dem Auto heben.

Dann trat "Möppchen" in Anita Gerdhabing-Sanchez' Leben. Mit dem Elektromobil fielen die Schranken. Mit ihm konnte sie in die Geschäfte rollen, Einkäufe fasste das Körbchen am Lenker. Und: Anita Gerdhabing-Sanchez konnte von nun an auch auswärtige Arzttermine ohne fremde Hilfe erreichen. Nach dem ÖPNV-Verbot für Scooter aber steht sie wieder vor verschlossenen Türen.

Zwar könnte sie mit "Möppchen" auf der Rheinpromenade bis Bad Honnef gelangen, aber bei schlechtem Wetter oder früher Dunkelheit wird das zum Problem. Von der Sicherheit gar nicht zu reden. Die Strecken bis zum Bonner Venusberg oder bis Siegburg würde die Reichweite ihres Mobils ohnehin übersteigen. Auch viele Aktionen mit Freunden sind mit dem ÖPNV-Verbot wieder Vergangenheit.

Mit Freunden waren etwa gemeinsame Bustouren hoch auf die Margarethenhöhe möglich. Von dort begleitete Anita Gerdhabing-Sanchez die Gruppe mit ihrem elektrischen Roller auf den Wanderwegen wieder ins Tal. "Es geht ja nicht alleine mir so. Ich möchte für alle sprechen, die selbst aus gesundheitlichen oder emotionalen Gründen dazu nicht in der Lage sind. Unser soziales Leben wird durch die neue Regelung stark eingeschränkt", sagt die lebenslustige Frau, die sich auch in der Gruppe "De-Dollen-Dörfler" engagiert. Diese begleitet sie nicht nur mit ihrem Scooter im Karnevalszug, sondern organisiert auch Aktivitäten wie die jährliche Dorfreinigungsaktion.

Sie hilft auch gerne Landsleuten, die nicht so firm sind wie sie im Schriftverkehr. Anita Gerdhabing-Sanchez: "Die Verkehrsbetriebe sollten nach einer akzeptablen Lösung suchen, statt von heute auf morgen ein Verbot auszusprechen." Ohnehin versteht sie den Ausschluss der E-Scooter nicht.

"Elektrische Rollstühle, Fahrräder oder Kinderwagen stehen genauso ungesichert in den Bahnen." Anita Gerdhabing-Sanchez hofft, dass sich bald die Bus- und Bahntüren wieder für sie und andere E-Scooter-Nutzer öffnen. "Denn durch die Regelung ist uns ein Stück neu erworbene Freiheit wieder genommen worden."

E-Scooter und ihr Verbot

Der E-Scooter ist eine Sonderform eines elektrischen Rollstuhls, der 6 km/h schnell ist und eine Reichweite von 20 bis 30 Kilometern hat. Grundlage des Verbotes ist eine Studie, die der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in Auftrag gegeben hatte. Das Forschungsinstitut STUVA kommt darin zu dem Ergebnis: Von E-Scootern gehe auch für andere Fahrgäste ein erhebliches Gefährdungspotential aus, da sie nicht ausreichend gesichert werden und bei einer Gefahrbremsung leicht kippen und rutschen könnten. Im Eingangsbereich abgestellte E-Scooter könnten darüber hinaus den Durchgang versperren.

"Das Beförderungsverbot ist der SWB Bus und Bahn nicht leicht gefallen. Allein aus Sicherheitsgründen wurde im Dezember 2014 ein entsprechendes Verbot für Busse und Bahnen ausgesprochen, genau wie bei dem überwiegenden Teil aller Verkehrsunternehmen in NRW", so Werner Schui, Sprecher der Stadtwerke Bonn (SWB).

"Wir wissen, wie wichtig für mobilitätseingeschränkte Menschen der öffentliche Nahverkehr ist und sind deshalb auch im Gespräch mit den Behindertenverbänden." So werde die Behindertengemeinschaft Bonn intensiv einbezogen. In Sachen E-Scooter teile diese Gemeinschaft die Gefahreneinschätzung. Der Appell richte sich an Krankenkassen, die solche Hilfsmittel unterstützen, und an die Hersteller, in der Konstruktion etwas zu ändern.

Zwischenzeitlich, so Schui, sei bei der STUVA vom NRW-Verkehrsministerium ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben worden, das Möglichkeiten einer sicheren Beförderung von E-Scootern untersuchen soll. Laut SWB-Sprecher Schui wird ein Ergebnis jedoch nicht vor Sommer erwartet.

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