Hebammen in der Region Viel Verantwortung, wenig Geld

BORNHEIM/MECKENHEIM · Sandra Marx liebt ihren Beruf: Seit 2008 ist die Herselerin als freiberufliche Hebamme tätig. "Nachdem ich acht Jahre als Krankenschwester gearbeitet hatte, wollte ich die Chance ergreifen und mich beruflich verwirklichen", sagt die 40-Jährige, selbst Mutter einer fünfjährigen Tochter. "Diesen Entschluss habe ich keinen einzigen Tag bereut." Grund dazu hätte sie.

 "Wir brauchen eine Lobby", sagt Sandra Marx, Hebamme aus Hersel.

"Wir brauchen eine Lobby", sagt Sandra Marx, Hebamme aus Hersel.

Foto: Henry

Lukas ist ein Wonneproppen. Stolze 3900 Gramm bringt er an seinem vierten Lebenstag auf die Waage. Hebamme Sandra Marx ist zufrieden mit der Entwicklung des neuen Erdenbürgers. Lukas' Mama hingegen sieht müde und abgekämpft aus - denn vom Schlafen hält der Kleine herzlich wenig. Geduldig hört sich die Hebamme alle Sorgen und Nöte der Mutter an, gibt wertvolle Tipps und schenkt der jungen Familie das, was diese im Moment am meisten braucht: Zeit und Verständnis.

Sandra Marx liebt ihren Beruf: Seit 2008 ist die Herselerin als freiberufliche Hebamme tätig. "Nachdem ich acht Jahre als Krankenschwester gearbeitet hatte, wollte ich die Chance ergreifen und mich beruflich verwirklichen", sagt die 40-Jährige, selbst Mutter einer fünfjährigen Tochter. "Diesen Entschluss habe ich keinen einzigen Tag bereut." Grund dazu hätte sie: Denn die in den vergangenen Jahren rapide gestiegenen Versicherungsprämien zwingen immer mehr Hebammen zur Aufgabe ihrer freiberuflichen Tätigkeit. Zahlten Hebammen 2004 noch 1352 Euro für die Haftpflichtversicherung, werden es ab Juli 5091 Euro sein. Der Grund: Gerichte schrauben im Falle eines Fehlers der Hebammen die Schadenssummen immer weiter in die Höhe. Die Mehrheit der rund 15 000 freiberuflichen Hebammen in Deutschland bietet aus diesem Grund derzeit keine Begleitung bei der Geburt mehr an.

"Für eine Beleggeburt in der Klinik bekommt eine Hebamme rund 270 Euro abzüglich Steuern. Da kann man sich leicht ausrechnen, wie viele Geburten ich pro Jahr begleiten müsste, nur um die Versicherung zu zahlen", sagt Marx. Mit ihrer halben Stelle an der Bonner Universitätsklinik ist ihr zumindest ein festes monatliches Grundgehalt sicher. Zwei bis drei Wochenbettbetreuungen, die in den ersten Tagen nach der Geburt tägliche Hausbesuche erfordern, übernimmt sie pro Monat zusätzlich. Hinzu kommen Vorsorgetermine, Fortbildungen und verschiedene Kurse.

Auch die Arbeitszeiten sind alles andere als familienfreundlich. So richtig frei hat eine Hebamme eigentlich nie. Babys kommen auch am Wochenende zur Welt, und selbst in den späten Abendstunden ist manchmal guter Rat gefragt. "Unsere Vergütung steht in keiner Relation zu der Verantwortung, die wir tragen." Bereits jetzt muss sie vielen Frauen, die ihre Betreuung wünschen, absagen. Noch mehr Betreuungen gingen auf Kosten der Qualität. "Und das möchte ich nicht."

Weil die Nürnberger Versicherung ab Juli 2015 aus dem Versicherungskonsortium für Hebammen aussteigen will, müssen Hebammen gar um ihren Beruf fürchten - denn ohne Haftpflichtversicherung dürfen sie nicht arbeiten. Hebamme Christine Hebel-Hahn aus Meckenheim hat aus der prekären Situation bereits Konsequenzen gezogen. Im Mai sah sie sich gezwungen, die Wochenbettbetreuung aus ihrem Angebot zu streichen. "Das war der bitterste Moment meiner langjährigen Tätigkeit als Hebamme", sagt sie und stellt schon jetzt fest, dass die große Nachfrage nach Hebammen kaum noch gedeckt werden kann: "Der Bedarf ist groß, doch gerade in ländlichen Gegenden wird es für Frauen immer schwieriger, eine Hebamme für die Vor- und Nachsorge zu finden."

In der vergangenen Woche beschloss der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages einen Sicherungszuschlag für Hebammen, die nur wenige Geburten pro Jahr betreuen. Dieser soll die bisherigen Ausgleichszahlungen der Krankenkassen für die stark gestiegenen Versicherungsprämien gerade für diese Gruppe der Hebammen ersetzen. "An der Grundproblematik ändert dieser Beschluss nichts. Er verschafft allenfalls eine kleine Verschnaufpause", meint Hebel-Hahn.

Auch der Deutsche Hebammenverband bemängelt in einer Stellungnahme: "Weiterhin besteht aber unser Grundproblem: Ab Juli 2016 haben wir keinen Versicherer mehr. Der Sicherstellungszuschlag bietet keine langfristige Lösung der Haftpflichtproblematik." Sandra Marx begrüßt den Teilerfolg. "Vielleicht wird durch den Sicherungszuschlag die Möglichkeit für Hebammen, Beleggeburten in Krankenhäusern übernehmen, wieder attraktiver."

Ebenso wie ihre Kollegin aus Meckenheim setzt sich die Herselerin für die Interessen ihres Berufsstandes ein. Marx gehört zu den 18 000 Mitglieder des Deutschen Hebammenverbands. "Wenn jede Hebamme für sich mit ihrem Schicksal hadert, wird sich nichts bewegen", sagt Marx. "Wir brauchen eine Lobby."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort