Bornheimer Wohnstift Beethoven "Sag Mutter, es gibt Krieg"

BORNHEIM · "Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurück geschossen!" Dieser Satz ist einer der bekanntesten der deutschen Geschichte. Gesprochen wurde er von Adolf Hitler vor dem Berliner Reichstag am Vormittag des 1. September 1939.

 An den Kriegsausbruch erinnerten Dorothea Aufderheide (von links), Elisabeth Hennes-Nolden, Franz Terres (stehend), Hans Otto Nolden, Joachim Schulte und Margarete Goldmann.

An den Kriegsausbruch erinnerten Dorothea Aufderheide (von links), Elisabeth Hennes-Nolden, Franz Terres (stehend), Hans Otto Nolden, Joachim Schulte und Margarete Goldmann.

Foto: Weber

An diesem Morgen überfiel die deutsche Wehrmacht ohne Kriegserklärung Polen. Das Datum, das sich heute zum 75. Mal jährt, gilt als Beginn des Zweiten Weltkriegs.

Dorothea Aufderheide war 14 Jahre alt, als sie im August 1939 aus einem Sommerferienlager in ihre Heimatstadt Aurich zurückkehrte. In Oldenburg nahm der Vater, der der dort eine Truppenübung absolvierte, die Tochter in Empfang. "Sag Mutter, es gibt Krieg", trug er dem Mädchen auf und weinte.

"Diese Worte werde ich nie vergessen", erklärt die 89-jährige sichtlich bewegt. Von Kriegsbegeisterung und Euphorie spürte sie in ihrem Umfeld nichts. "Niemand freute sich, niemand war begeistert. Es herrschte eine ernste, bedrückte Stimmung." Mit 15 Jahren wurde Dorothea Aufderheide vom Roten Kreuz als Luftschutzhelferin eingesetzt. Als 1941 die ersten Bomben fielen, rettete sie sich mit Mutter und Schwester ins Nachbarhaus.

"Unser Haus hatte keinen Keller", erinnert sie sich. "Als Brandbomben ins Dachgeschoss einschlugen sind wir umgekehrt und haben die Flammen mit der Feuerpatsche und Sand gelöscht." Die Reibekuchen, die noch auf dem Herd standen und mit einer dicken Ascheschicht bedeckt waren, wurden gereinigt. "Reibekuchen - noch dazu mit einem Ei gebacken - waren eine besondere Speise. Die hat man nicht einfach weggeworfen."

Auch die Kindheit Margarete Goldmanns wurde vom Krieg geprägt: 1937 geboren, verlebte sie ihre ersten Jahre in Dortmund. "Krieg bedeutete für mich lange Bombennächte im Keller und Zerstörung", fasst die 77-jährige zusammen. "Ich wusste, es war Krieg. Aber die Hintergründe waren mir völlig unbekannt." Als zwei Nachbarskinder, mit denen sie gerne spielte, bei einem Bombenangriff ums Leben kamen, war das kleine Mädchen schockiert. "Ich habe in dieser Zeit Ängste entwickelt, die mich noch bis ins Erwachsenenalter verfolgten", erzählt die pensionierte Lehrerin.

"Immer wenn eine Sirene ertönte, bin ich zusammengezuckt." Nach der Evakuierung in das Sauerländische 250-Seelendorf Borntosen im Jahr 1943 verlebte sie noch ein Stück "heile Kindheit" und freute sich vor allem auf die Kinderstunde im Rundfunk. "Wenn nach dem Kinderprogramm wieder Goebbels' Propaganda zu hören war, sagte meine Tante immer: Das ist jetzt eine andere Märchenstunde, die nicht für Kinder bestimmt ist."

Joachim Schulte, Jahrgang 1928, erlebte den Kriegsbeginn in Hagen. Nach vielen Bombennächten in einem mit Betten ausgestatteten Keller wurde er mit seiner Mutter und zwei jüngeren Brüdern evakuiert. Von 1941 bis 1945 lebte er bei Verwandten im Schwarzwald. Der Vater war zwar nach dem Frankreichfeldzug entlassen worden, blieb aber in Hagen. Der ältere Bruder wurde zur Marine eingezogen. "Mutter und ich lebten bei Verwandten, die jüngeren Geschwister waren woanders untergebracht. Die Familie war völlig zerrissen", erklärt der 86-Jährige.

Während seine Mitbewohner im Bornheimer Beethovenstift den Krieg als Kinder und Jugendliche erlebten, musste der 1922 geborene Hans Otto Nolden zur Waffe greifen. "Um einer gezielten Musterung zu entgehen, meldete ich mich freiwillig", berichtet der 92-jährige und zeigt seinen Wehrpass, der die Stationen seiner militärischen Laufbahn dokumentiert. Dreieinhalb Jahre harrte er in Russland aus. Neben zahlreichen Auszeichnungen erinnert ihn ein Granatensplitter im linken Arm an die entbehrungsreiche Zeit. Seine jetzige Ehefrau Elisabeth Hennes-Nolden, die er vor zehn Jahren heiratete, erlebte den Kriegsausbruch in Brenig.

"Die Nachricht vom Krieg machte mich neugierig. Wie konnte ich wissen, was auf uns zukam?", erzählt die 84-jährige. "Als mein Vater einberufen wurde, weinte meine Mutter die ganze Nacht hindurch. Und da wusste ich: Krieg muss etwas sehr Schlimmes sein." An einen Vorfall erinnert sich die Brenigerin noch lebhaft. Die Familie musste in den Bunker. Doch auf dem Herd garte noch das Suppenfleisch, das Feuer musste in Gang gehalten werden.

"Lauf zurück, du hast die flinksten Beine", sagte die Mutter. Auf dem Rückweg schlugen wenige Meter von der Neunjährigen entfernt Splitter in den Boden ein. "Ich habe mich auf die Erde fallen lassen. Mir ist nichts passiert. Heute denke ich manchmal: Der Herrgott muss mich sehr lieb gehabt haben, dass er mich am Leben ließ."

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