Interview mit Gisela Rothkegel Inklusionsbeauftragte über das Thema gemeinsamer Unterricht

BORNHEIM · Ab dem kommenden Schuljahr haben Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf einen Anspruch auf gemeinsamen Unterricht mit Kindern ohne Förderbedarf. Über Chancen und Grenzen der Inklusion sprach die Bornheimer Inklusionsbeauftragte Gisela Rothkegel mit Sonja Weber.

Welchen Weg geht man als Erziehungsberechtigter eines Kindes mit Unterstützungsbedarf in Bornheim vor der Einschulung oder vor dem Wechsel auf eine weiterführende Schule?
Gisela Rothkegel: Zur Einschulung muss das Kind zunächst an der zuständigen Grundschule angemeldet werden. Dort findet in der Regel vor Schulbeginn ein so genanntes "Schulspiel" statt, bei dem die Fähigkeiten des Kindes abgeklopft werden. Bestehen Auffälligkeiten, werden die Eltern darüber informiert und weitere Maßnahmen besprochen. Auch die Kindergärten werden miteinbezogen. Bei der Wahl der weiterführenden Schule werden Eltern durch die Schule beraten.

Gibt es in Bornheim eine zentrale Stelle, an die man sich wenden kann?
Rothkegel: Bisher leider nicht. Mein großes Anliegen ist die Einrichtung eines "Inklusionsbüros", einer zentralen Anlaufstelle, in der Eltern von Fachleuten informiert und beraten werden können - gebündelt und kompetent.

Unter Ihrer Leitung wurde die Verbundschule zum Kompetenzzentrum ausgebaut. Warum wird es nicht weitergeführt?
Rothkegel: Leider setzt die Landesregierung dem Pilotprojekt Kompetenzzentrum ein Ende. Das ist sehr bedauerlich, weil die Sonderpädagogen, die stundenweise in Bornheimer Regelschulen kamen, ihr Know-how auf diese Weise gut einbringen konnten. Hier wäre noch mehr möglich gewesen, denn Beratung und Diagnostik sind sehr zeitintensiv, so dass der eigentliche Unterricht zu kurz kam. Ich würde mir wünschen, dass dieser Weg weiter verfolgt wird und die Verbundschule ihre Arbeit als "Unterstützungszentrum" weiterführen könnte.

Wie steht es um den Fortbestand der Förderschulen?
Rothkegel: Durch die Festlegung einer Mindestschülerzahl wird es den Förderschulen schwer gemacht. Aber es wird immer Kinder geben, die an einer solchen Schule besser aufgehoben sind. Gerade im Bereich der emotionalen und sozialen Auffälligkeiten ist gemeinsamer Unterricht an einer Regelschule oft schwierig. Daher haben beide Schulformen ihre Berechtigung. Aus meiner Sicht muss eine Stadt wie Bornheim Eltern, die weiterhin wünschen, dass ihr Kind eine Förderschule besucht, auch ein Angebot machen können.

Mit dem Aktionsplan "Inklusive Bildung Bornheim" hat die Stadt alle Bildungseinrichtungen mit ins Boot genommen. Wie ist der Stand der Dinge?
Rothkegel: Bis Juni sind alle Bildungseinrichtungen der Stadt, Kindergärten, Schulen, die Volkshochschule, die Bibliothek und Jugendfreizeiteinrichtungen aufgerufen, ihr Konzept zur inklusiven Arbeit aufzustellen und sich zu positionieren.

Welche Rolle spielen Sie dabei?
Rothkegel: Ich habe bei der Erstellung des Fragenkataloges mitgewirkt, den die Schulen ausfüllen müssen. Zudem stehe ich den Einrichtungen beratend zur Seite. Es soll ein möglichst klares Profil unter den Fragestellungen "Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Was brauchen wir dafür?" entstehen.

Da wird der Bedarf sehr groß sein. Wer soll das bezahlen?
Rothkegel: Die Landesregierung hat einen Kompromiss geschlossen und will sich für fünf Jahre ab 2014/2015 mit insgesamt 175 Millionen Euro an den Inklusionskosten beteiligen. Der Jahresanteil soll auf Drängen der Kommunen jährlich überprüft werden. Ob das ausreichen wird, kann niemand absehen, es fehlt an Erfahrung. In jedem Fall war es gut, dass Städte und Gemeinden aktiv geworden sind und das Land in die Pflicht genommen haben.

Welche Bedingungen wären beim inklusiven Unterricht optimal?
Rothkegel: Guter inklusiver Unterricht soll jedem Schüler seinem Niveau entsprechend gerecht werden. Kleine Lerngruppen sind immer wünschenswert. Außerdem wäre eine zuverlässige Doppelbesetzung einer Klasse vor allem im ersten Schuljahr optimal. Im Primarbereich fehlen die Sonderpädagogen. Auch die Ausbildung des pädagogischen Personals ist ein bisschen hinterher. Der Fortbildungsbedarf für alle Beteiligten ist ein großes Thema.

Im Februar haben Sie den Ehrenpreis des Landschaftsverbandes Rheinland für soziales Engagement erhalten.
Rothkegel: Für mich war klar, dass ich mich nach dem Arbeitsleben sozial engagieren möchte. Als Inklusionsbeauftragte kann ich meine Erfahrung am besten einbringen. Der LVR-Preis ist eine schöne Anerkennung.

Zur Person

Gisela Rothkegel kam 1975 als Sonderpädagogin an die damalige Förderschule in Uedorf. Anfang der 90er übernahm sie die Leitung. Ihr gelang es, die Förderschule, die auslaufen sollte, zur Verbundschule zu machen. Später wurde die Schule zum Kompetenzzentrum.

Nach ihrer Pensionierung 2011 ist sie seit 2012 ehrenamtliche Inklusionsbeauftragte der Stadt Bornheim. Der Ehrenpreis des Landschaftsverbands Rheinland wurde ihr auf Vorschlag des Bornheimers Michael Donix (CDU), Mitglied der Landschaftsversammlung, verliehen.

Hintergrund

Mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz hat der nordrhein-westfälische Landtag im Oktober 2013 das erste Gesetz zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verabschiedet.

Damit haben ab dem kommenden Schuljahr 2014/15 Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf einen Anspruch auf gemeinsamen Unterricht mit Kindern ohne Förderbedarf. Die Erziehungsberechtigten können somit wählen, ob ihre Kinder an einer Regelschule unterrichtet werden oder ob sie eine Förderschule besuchen.

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