Interview mit Otto Neuhoff "Wir leben aus der Substanz"

Bad Honnef braucht einen Neuanfang. So lautete ein Kernsatz im Wahlkampf von Otto Neuhoff. Gut 100 Tage nach seinem Amtsantritt zieht der neue Bürgermeister eine erste Bilanz. Mit Otto Neuhoff sprachen Katrin Janßen und Claudia Sülzen.

 Fordert ein Umdenken in der Haushaltspolitik: Bürgermeister Otto Neuhoff.

Fordert ein Umdenken in der Haushaltspolitik: Bürgermeister Otto Neuhoff.

Foto: Frank Homann

Etwas mehr als die ersten 100 Tage im Amt sind vorbei. Fühlt es sich an wie 100 Tage oder doch eher wie 100 Jahre?

Otto Neuhoff: (lacht) Im Moment fühlt es sich zumindest schon ein bisschen mehr an als die 100 Tage.

Worauf führen Sie das zurück?

Neuhoff: Das eine ist, mit dem Verstand etwas zu realisieren. Das andere ist, es mit dem Bauch auch zu erfahren. Und die Erfahrung ist natürlich deutlich intensiver, plastischer und auch ernüchternder, als es vorher einzuschätzen war. Man sieht von außen die Spitze des Eisbergs, man hat Theorien, woran es liegen könnte, dass einiges nicht so optimal läuft. Die Wirklichkeit ist aber nicht nur bunter, sondern schwieriger.

Etwa bei der Abrechnung der Kindergartenbeiträge, über Jahre ist da sehr viel liegengeblieben. Woran hat es gehakt?

Neuhoff: An der Führung in der Organisation.

Das bedeutet?

Neuhoff: Das Problem ist - und das über Jahre - , dass die Kooperation in dieser Struktur nicht funktioniert hat. Wenn das Problem adressiert ist, dann muss eine Verwaltungsspitze erkennen, dass es einen Handlungsbedarf gibt, und entsprechend Ressourcen bereitstellen. Nichts anderes habe ich jetzt gemacht mit Einsetzung einer Arbeitsgruppe. Ich habe ja niemand neues dafür eingestellt.

Bleibt dann nicht an einer anderen Stelle wieder etwas liegen?

Neuhoff: Natürlich bleibt erst mal an einer anderen Stelle etwas liegen oder wird erst mal nicht bearbeitet. Aber es gibt Tätigkeiten, die zeitgerecht erfolgen müssen, und es gibt solche, die gestreckt werden können. Arbeit ist dehnbar und stauchbar. Wir sind eine Verwaltung mit rund 200 Leuten, da gibt es immer eine gewisse Spielmasse. Wie sagt Franz Beckenbauer: A bisserl was geht immer. Die Sache duldete keinen Aufschub. Und die Mitarbeiter waren im höchsten Grade kooperationsbereit und flexibel, als ich das eingefordert habe. Es muss jemand geben, der Kooperation einfordert und entscheidet, darum kümmern wir uns jetzt vordringlich. Und da hat es hier massiv dran gehapert.

Im Bauamt stapeln sich die Anträge. Auch dort ist Not am Mann. Gehört das auch dazu?

Neuhoff: Bauamt ist ja nicht gleich Bauamt. Da gibt es die Bauordnung, wo Bauanträge bearbeitet werden, und den Bereich Stadtplanung und Entwicklung. In letzterem sind die Probleme viel fundamentaler gewesen. Wir haben fünf Stellen und hatten nur eine besetzt. Da stelle ich mir schon die Frage, wie so etwas passieren kann. Das kam ja nicht von heute auf morgen. Außerhalb des Hauses hört man immer: Die Verwaltung ist zu dick aufgestellt, da muss man Personal sparen. Das ist sicher richtig in Teilen. Aber richtig ist auch, dass etwa bei der Stadtentwicklung massiv aufgerüstet werden muss, wenn wir auch nur ansatzweise die städtebaulichen Ziele definieren und verfolgen wollen, die wir uns alle hier gemeinsam auf die Fahne geschrieben haben.

Was bedeutet?

Neuhoff: Wir müssen zu ganz anderen Verfahrensweisen kommen. Beispiel Landesgartenschau: Wenn Du nicht jemanden hast, der den Prozess betreibt in der Verwaltung, wirst Du keinen Erfolg haben. Ich hoffe, dass wir die Stellen bald besetzen können, so um den Jahreswechsel herum. In der Bauordnung sieht es wieder anders aus. Auch dort sind über einen längeren Zeitraum Rückstände entstanden. Auch dort habe ich dafür gesorgt, dass jemand hilft. Dazu gehört für mich auch, da will ich hin: Wir sind eine Verwaltung. Wenn es an einer Stelle ein Problem gibt, betrifft das das ganze Haus. Und wir müssen den, der gerade im Brennpunkt steht, unterstützen. Mitarbeiter, die hier arbeiten, sollen das gerne tun. Das ist eine Grundvoraussetzung für den gemeinsamen Erfolg, den die Stadt braucht.

Sparen einerseits, Stellen ausschreiben andererseits. Wie geht das zusammen?

Neuhoff: Natürlich gibt es Rückmeldungen, auch aus der Politik: Was macht der denn da? Eigentlich müssen wir doch sparen. Aber Stelle ist nicht gleich Stelle. Man muss sagen: Was will man erreichen? Man darf nicht nur die Kosten sehen, es steht ja auch immer etwas auf der Gegenseite. Die Erfolge sind nicht sofort messbar. Aber sie werden kommen.

Ärgert es, Nachrichten verkünden zu müssen wie die Verzinsung von Kita-Beiträgen, die die Verwaltung verhuddelt hat?

Neuhoff: Wenn ich in einem Unternehmen wäre, würde ich das anders lösen. Bin ich aber nicht. Ich wusste, einiges ist zu tun, und auch, dass das in der Öffentlichkeit eine Wirkung hat. Gleichwohl muss es getan werden, die gesetzlichen Vorgaben etwa bei der Verzinsung sind eindeutig. Ärgerlich ist auch: Jeder Vorgang, den wir jetzt anpacken, hat einen viel höheren Verwaltungsaufwand zur Folge als er ihn gehabt hätte, wenn es gleich richtig gelaufen wäre.

Zu den unangenehmen Wahrheiten gehört auch, das die große Sporthalle vom Tisch ist?

Neuhoff: Das schmerzt schon mehr. Weil, da hängt viel Engagement drin. Und die Erwartungshaltung, dass es funktioniert. Auf der anderen Seite stehe ich in der Verantwortung für die ganze Stadt. Was wir überhaupt nicht gebrauchen können ist, dass Dinge derart vor sich hinmodern. Die Sporthalle könnte längst stehen. Es wird immer gesagt, meine Vorgängerin habe sich so für die große Halle eingesetzt. Aber was hat sie getan? Wenn man es ernst meint, prüft man das durch. Und wenn es nicht geht, dann geht es nicht. Ich habe im Wahlkampf immer gesagt, ich setze mich für die große Halle ein, aber ebenso, ich kann nicht beurteilen, ob die Finanzen sie auch hergeben. Die haben wir jetzt geprüft, und ganz ehrlich: Wir kommen hier nicht mal auf Schlagdistanz.

Und die kleine Lösung?

Neuhoff: Der Beschluss jetzt war eine grundsätzliche Willensbekundung, dass wir die kleine Halle wollen. Die Gretchenfrage kann aber erst in der Haushaltsberatung beantwortet werden. Einfach wird auch das nicht.

Beim Thema Schullandschaft will man Pflöcke einschlagen?

Neuhoff: Zunächst einmal haben die Träger, die dankenswerterweise Angebote machen, ihre Konzepte vorgestellt. Diese muss man sorgsam bewerten. Wichtig ist: Wir brauchen ein Schulangebot für alle unsere Kinder. Unser Zeitplan sieht vor, dass wir bis Jahresende eine Entscheidung wollen. Es kann schon sein, dass wir dabei noch eine kleine Nachspielzeit haben werden. Aber dann haben wir es auch.

Wie steht es mit der interkommunalen Zusammenarbeit?

Neuhoff: Zusammenarbeit ist kein Selbstzweck. Kollege Peter Wirtz und ich sind aber einig, dass es Schnittmengen gibt, innerhalb derer sinnvoll zusammengearbeitet werden kann. Das würde auch die Finanzen entlasten. Konkreter werden kann ich da noch nicht, aber das Thema kommt.

Die Kommunen sind immer mehr belastet, ob bei der Unterbringung von Asylbewerbern, bei Inklusion. Das Geld vom Land ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Frustet das?

Neuhoff: Schon, schließlich gibt es das Konnexitätsprinzip. Aber auskömmlich ist das lange nicht. Oder nehmen sie die sogenannte Veredelungsprämie, mit der in großen Städten Infrastruktur gefördert wurde. Die Regelung stammt aus der Nachkriegszeit, als alles zerbombt war. Heute sieht es ganz anders aus, aber dem Umstand ist nie Rechnung getragen worden. Und damit haben wir ein Problem. Trotzdem, die Gesamtsituation Bad Honnefs ist im Vergleich zu manchen Ruhrgebietsstädten gut.

Das klingt nach einem aber?

Neuhoff: Ja, denn auch hier gilt: Die Situation müsste nicht so sein wie sie jetzt ist.

Wie beim Flickwerk auf den Straßen?

Neuhoff: Ja. Fakt ist, wir müssen uns nach der Decke strecken. Wir sind im Haushaltssicherungskonzept. Überall, wo wir hinschauen, stoßen wir an Grenzen. Und das gilt vor allem beim Zustand der Straßen. Mehr als Flickwerk kann sich die Stadt jetzt nicht leisten. Der wichtigste Punkt für mich ist daher das Thema Finanzen.

Das oft sehr abstrakt daherkommt?
Neuhoff: Schon. Dennoch: Es ist ein extrem relevantes Thema. Bei der Strategieklausur mit der Politik haben wir ein paar Haushaltsgrundsätze präsentiert. Einer ist, dass wir den Haushalt ausgleichen wollen, aber mindestens das Ausmaß an Investitionen gewährleisten, das dem Abschreibungsumfang entspricht. Anders war es in der Vergangenheit: Da wurden schlicht die Investitionen gekürzt. Das Ergebnis können Sie sich an der Weyermannallee oder am Frankenweg anschauen, auf allen diesen Automobil-Teststrecken. Die Situation der Stadt ist noch viel schlimmer als in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Selbst wenn wir Plazebos verteilen und sagen: Im Planungszeitraum gleichen wir den Etat aus - wir gleichen immer aus der Substanz aus. Allein 2013 machen wir ein Minus von 2,8 Millionen Euro. Wir leben aus der Substanz!

Wird das Geld an den richtigen Stellen ausgegeben?

Neuhoff: Wir geben an vielen Stellen Geld in einer Höhe aus, die überhaupt nicht angemessen ist, weil wir unsere planerischen Dinge nicht im Griff haben. Nehmen Sie das Beispiel OGS Rhöndorf. Das zeigt auch, wie vertrackt die Dinge oft sind. Da gibt es einen Beschluss, dass die Plätze ausgebaut werden und da jetzt erst mal zwei Container stehen. Dann kommt die Nachforderung, wegen Brandschutzbelangen etc.. Unterm Strich kosten die Container, knapp 80 Quadratmeter, für vier Jahre 120 000 Euro. Das heißt pro Monat für 80 Quadratmeter 2500 Euro. Würden Sie das ausgeben? Niemals! Wir haben jetzt erst mal auf zwei Jahre verkürzt und schauen, was dauerhaft möglich ist.

Es wurde diskutiert: Macht direkt was Festes, das wäre besser.

Neuhoff: Ja, und dann ist man der Logik des Sachzwangs gefolgt: Wir können die aktuelle Lösung nicht stehen lassen und so schnell kriegen wir nix anderes geritzt.

Was kann man besser machen?

Neuhoff: Wir müssen viel nachhaltiger planen, nicht von der Hand in den Mund und dauernd mit einem Feuerlöscher rumrennen. Genau da wollen wir hin.

Wo soll das Geld für Investitionen herkommen?

Neuhoff: Wir werden an allen Schrauben drehen. Zum einen werden wir, wenn wir den Haushalt vorlegen, ein bisschen anders vorgehen wollen. Zum anderen werden alle Maßnahmen im Gesamtzusammenhang dargestellt, nicht wie bisher einzeln.

Können sie das konkretisieren?

Neuhoff: Wenn ich, ganz fiktiv gesagt, hingehe und führe am Ziepchensplatz Parkgebühren ein. Dann habe ich halb Rhöndorf gegen mich. Es gibt eine Riesenaufregung und hinterher im Zweifel keine Parkgebühren. Wenn ich aber hingehe, lege erst die Ziele fest, sage, da will ich hin - und, alles vollkommen fiktiv, dafür reduziere ich Verwaltungskosten, nehme Parkgebühren, erhöhe Gebühren. Dann ist das miteinander verklebt. Denn wer sagt, ich will dies und das, muss auch sagen, was gegenüber steht. Weil wir uns ja vorher auf die Grundsätze verständigt haben. Einer der wichtigsten Punkte ist, dass diese Stadt wieder handlungsfähig wird. Dafür braucht es gemeinsame Zielsetzungen. Zielsetzung eines Haushaltes kann es aber doch nicht nur sein, ihn irgendwie auszugleichen, sondern Qualität hineinzubringen, Zusammenhänge herzustellen. Und dann kann man sagen: Jawoll, in dem Gesamtkonzept macht die Verwaltung einen Vorschlag. Wir werden sicher im ersten Ansatz nicht alles hinkriegen. Wichtig aber ist: Wir müssen das gemeinsam mit dem Rat hinkriegen.

Auch die Städtebau-Planung?

Neuhoff: Ja. Denn egal, ob es um die Post geht, die Villa Schaaffhausen, den Businesspark. Mein Eindruck ist: Die Stadt weiß nicht, was sie will. Nehmen Sie das Beispiel Villa Schaaffhausen: Die Frage lautet, wollen wir sie erhalten und den Park. Wenn man diese Frage mit Ja beantwortet, muss man auch sagen, wie ist das zu finanzieren. Weil: Wir haben die Kohle nicht. Die erste Frage muss immer sein: Welche städtebaulichen Ziele wollen wir erreichen.

Eines ihrer wichtigsten Ziele war der Dialog. Funktioniert er?

Neuhoff: Was mich freut: Das Zusammenspiel mit der Politik funktioniert gut. Alle haben sich auf den Workshop eingelassen, offen diskutiert. Und so weit liegt man gar nicht auseinander. Da gibt es vielleicht Unterschiede hinsichtlich der Prioritäten, aber keine Gräben. Das stimmt mich zuversichtlich. Ich habe es in meiner Antrittsrede gesagt: Wir gewinnen gemeinsam oder wir scheitern gemeinsam. Wir sind es der Bevölkerung schuldig, zu gewinnen.

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