Fledermausbabys in Bad Honnef Säuglingsstation im Schuhkarton

BAD HONNEF · In der Kinderstube kuscheln die Babys. Martin Lehnert bereitet das Fläschchen für sie vor. Eine fette Kondensmilch versetzt er mit etwas Fencheltee und mit Vitaminen. "B 12 ist wichtig für die Motorik", erklärt der Diplom-Biologe.

 Fütterungszeit: Mit einer Pipette flößt Martin Lehnert einem Fledermaus-Winzling Flüssignahrung ein.

Fütterungszeit: Mit einer Pipette flößt Martin Lehnert einem Fledermaus-Winzling Flüssignahrung ein.

Foto: Frank Homann

Alle drei Stunden füttert er die Winzlinge. Es ist fast wie auf einer Säuglingsstation. Nur: Bei diesen Babys handelt es sich um Fledermäuse. Nebeneinander liegen sie in den Falten eines Tuches in einem Karton. Es sind Waisenkinder.

Lehnert versucht, die Mutter zu ersetzen, und päppelt die Kleinen mit Milch aus der Pipette auf. Sanft nimmt er eines der Tiere in seine Hand, instinktiv steckt das daumengroße wollige Etwas seinen Kopf unter Lehnerts Finger. Aber statt eine Zitze findet es das haarfeine Pipettenende. Aus der Öffnung tropft die Milch - hinein in das weit aufgerissene Mäulchen der Fledermaus. Auch wenn sie fliegen kann - sie ist ein Säugetier. Bis zu 18 Prozent Fett enthält die Milch einer Fledermausmama. Der extrem hohe Fettgehalt fördert das Wachstum.

Im Wildleben würden die beiden schneller Gewicht zulegen als in der Pflegestation von Martin Lehnert. Aber ohne ihn wären die Babys ganz verloren. "Fledermäuse ziehen nur ihr eigenes Kind groß", erzählt der Experte. Das weibliche Junge stammt aus einer Kolonie vom Dellenweg. Eine Bewohnerin hatte das hilflose Kleine entdeckt. Zwei Nächte lang beobachtete die aufmerksame Frau, wie zwar Fledermäuse nach dem fiependen Baby schauten, aber die Mutter nicht auftauchte. Das kleine Fledermaus-Männchen aus Ahrweiler ereilte das gleiche Schicksal. "Die Mütter sind wahrscheinlich tot."

Der Biologe befasst sich seit Jahrzehnten mit dieser Säugetiergruppe. Der 50-Jährige weiß, dass es schwierig ist, die Kleinen durchzubekommen. Das Positive in diesem Falle: Sie sind nicht allein in ihrer "Höhle", beschnuppern sich, kuscheln und fühlen sich ein bisschen wie in der Kolonie. Lehnert: "Die Gruppe gibt Fledermäusen Sicherheit."

In der sechsten bis achten Lebenswoche können die Fledermäuse fliegen, instinktiv. Lehnert: "Die junge Fledermaus folgt dann der Mutter ins Jagdrevier und bekommt gleichzeitig noch ein bisschen Milch." Der Umstieg von Milch auf feste Nahrung wird bei seinen Flaschenkindern noch einmal eine problematische Phase. Dann serviert er ihnen Mehlwürmer. Eine Zwergfledermaus verputzt zehn bis fünfzehn Mehlwürmer täglich. In der freien Wildbahn bedeutet das 2000 bis 3000 Mücken pro Nacht.

Nach der Mahlzeit massiert Lehnert jedem Fledermausbaby das Bäuchlein. Auch Körperhygiene steht auf dem Programm. Mit einem Wattestäbchen säubert der Biologe die Flügel. Lehnert erklärt den Körperbau dieser besonderen Säugetiere: "Die Fledermäuse haben die Knochen wie wir auch." Nur: Zwischen den Fingern befinden sich Häute, so dass ein Handflügel entsteht. "Der fünfte Finger ist dabei so lang wie der ganze Körper."

Zwei weitere Schützlinge, die ihre Extrahöhle haben, sind vermutlich in die Fänge von Katzen geraten. Eines der Tiere hat kleine Löcher in der Flughaut. Lehnert ist zuversichtlich: "Das heilt wieder." Er erinnert sich an einen Fall in Berlin. Ein Tierchirurg hatte eine Fledermaus mit Unterarmbruch operiert. Als alles verheilt war, flog die inzwischen zutraulich gewordene Fledermaus davon. Martin Lehnert ist immer wieder froh, wenn er die Tiere in die Wildnis entlassen kann. So wie ein Exemplar, das er nach einem Probeflug in der Eiche-Turnhalle und wochenlanger Auswilderung in der Siegaue aussetzte.

Und wer es nicht mehr packt, darf bleiben. Zehn Jahre lang hatte der zahme Bruchpilot "Willi" bei den Lehnerts seine Kastenhöhle. Sein Lieblingsplatz: Martin Lehnerts Schultern während der Schreibtischarbeit.

Nur ein Junges

Fledermäuse gehören zu einer Säugetiergruppe, die es bereits vor rund 50 Millionen Jahren gab. Heute leben auf der Erde etwa 950 Fledermausarten, in Europa sind es 30, in Deutschland 25. Die nachtaktiven Insektenfresser suchen in Höhlen, Felsspalten oder auch Dachböden, Ruinen und Minen Unterschlupf.

Nur die Weibchen hängen im Quartier nebeneinander, die Männchen sind Einzelgänger. Martin Lehnert will seine beiden Schützlinge daher später getrennt auswildern: Das Männchen im Stadtgebiet, das Weibchen am Dellenweg. Bei einigen Arten treffen sich Männchen und Weibchen nur in der Überwinterungshöhle zur Paarung, die meisten bringen einmal im Jahr ein Jungtier zur Welt. Manche Fledermäuse können unter günstigen Umständen 20 bis 30 Jahre alt werden.

Kurz Gefragt

Martin Lehnert (50) studierte in seiner Heimatstadt Berlin Biologie und verfasste seine Diplomarbeit über Wasserfledermäuse. Lehnert unterrichtet am Gymnasium Hagerhof Biologie und Chemie. Er lebt mit seiner Familie seit 2001 in Bad Honnef.

Was fasziniert Sie an Fledermäusen?
Martin Lehnert: Sie sind einfach smart. Es sind Säugetiere mit tollen Fähigkeiten. Ihre Lebensweise ist spannend. Sie sind mit Echolot-Ortung unterwegs, haben so gut wie keine Feinde und sind deshalb viel gelassener, gar nicht ängstlich.

Wie sind Sie zum Fledermaus-Freund geworden?
Lehnert: Als Student in Berlin lernte ich einen Lehrer kennen, der die Fledermäuse recht professionell erforscht hat. Wir haben ein Artenhilfsprogramm initiiert, und ich habe für die Senatsverwaltung das Programm mit konkreten Maßnahmen aufgestellt und dann auch umgesetzt. Elf Jahre lang. Für meine Diplomarbeit habe ich in der Spandauer Zitadelle die Fledermäuse gezählt und beringt. Die Ringe kamen übrigens vom Museum Koenig aus Bonn. Der frühere Direktor Martin Eisentraut hatte 1932 die Beringung von Fledermäusen in Europa eingeführt und im Museum eine deutsche Beringungszentrale gegründet.

Ist Berlin ein "Fledermauspflaster"?
Lehnert: In Berlin sind 17 der insgesamt 25 in Deutschland lebenden Fledermausarten nachgewiesen. Berlin ist Europas Hauptstadt der Fledermäuse, gefolgt von Wien mit 16 Arten. Alle stehen unter Naturschutz.

Worauf muss man achten, wenn man an seinem Haus eine Fledermauskolonie hat?
Lehnert: Fledermäuse haben keine Parasiten, sie zerstören nichts am Bauwerk. Sie ziehen nur ein. Es sind angenehme Untermieter. Bei einer Dachstuhlsanierung sollte nicht mit giftigen Holzschutzmitteln gearbeitet werden. Die Fledermausquartiere müssen unbedingt erhalten werden oder es muss ein adäquater Ersatz geschaffen werden. Das schreibt das Naturschutzgesetz vor. Wenn Fledermausquartiere von Sanierung betroffen sind, bitte immer Fachleute zu Rate ziehen. Die sind heute über das Internet leicht zu ermitteln und helfen gern.

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