Als die Amerikaner kamen Nach dem Verhör wurde Tendler Stadtchef

OBERDOLLENDORF · Eisbach, Pleiserhohn, Uthweiler, Frohnhardt und Sassenberg wurden als letzte Dörfer im Siebengebirgsbereich von den amerikanischen Truppen besetzt. Am 21. März 1945 war es soweit.

Im Rheintal hatte Pantaleon Leo Tendler da schon wieder ganz andere Sorgen. Der von den Nazis 1935 abgesetzte Dorfschulze (Verwalter) von Oberdollendorf musste sich um Bevölkerung und Wünsche der Besatzungsarmee gleichermaßen kümmern. Er war nämlich seit dem 18. März der neue Bürgermeister - und blieb es übrigens bis 1961.

Noch in quasi letzter Minute war sein Haus durch eine 24er Granate getroffen worden. An der Ecke des Gebäudes hatten die deutschen Soldaten eine Panzersperre gebaut, die beschossen wurde. Glück im Unglück: Die Familie war zusammen mit einigen Nachbarn nach dem Mittagessen gerade wieder in den Keller gegangen, als der ganze hintere Hausteil auf die Falltür stürzte. Soldaten, die die Sperre bewachten, Nachbarn und auch zwei holländische Eheleute, die als Zwangsarbeiter im Didierwerk arbeiteten, halfen, die Verschütteten aus ihrer gefährlichen Lage zu befreien.

Tendlers Tochter Elisabeth Tillmann erinnerte sich in ihrem Beitrag für das Büchlein "Erinnerungen an eine verworrene Zeit" des Heimatvereins an diesen 18. März: "Um 15.30 Uhr waren die Amerikaner da. Zu unserem großen Entsetzen wurde einer der Bewachungssoldaten, Unteroffizier Pink, vor unserem Haus erschossen." Gerade er hatte die Trümmer mit weggeräumt. "Es hat uns allen furchtbar wehgetan."

Gegen Abend saß Familie Tendler im Keller der Nachbarn, "als plötzlich drei oder vier riesige GIs erschienen und unseren Vater mitnahmen. Wir waren alle sehr erschrocken und wussten nicht, was dies bedeuten sollte". Voller Angst warteten die Angehörigen. Stunden später wurde Leo Tendler wieder nach Hause gebracht. Die Amerikaner hatten ihn nach einem strengen Verhör zum Bürgermeister bestimmt. Leumund für den damals 64-jährigen Zentrumsmann waren Pfarrer Polster sowie Dorfarzt Euteneuer - und Martha Steeg.

Sie war gerade mit ihrem Sohn Günther aus ihrem Versteck in der Nähe der Longenburg wieder nach Hause gekommen. Wilma Groyen hatte ihre Freundin, die jüdischer Abstammung war, die letzten Kriegsmonate in ihrem Keller unter Gefahr für das eigene Leben versteckt.

Im Hause Steeg hatte sich inzwischen die amerikanische Kommandantur einquartiert. Sohn Günther schrieb später für das Heft des Heimatvereins: "Der Kommandeur, Major William Staats, wusste bereits von unseren Verfolgungen im Dritten Reich." Er ließ dann auch sofort das Haus räumen. Mit ihren Aussagen bestätigte Martha Steeg nicht nur die Angaben Leo Tendlers, sondern sie rettete damals auch noch das Leben von Polizeimeister Hubertus Müller. Der Dorfpolizist hatte sie nämlich vor einer Verhaftung gewarnt und - allerdings vergeblich - zur Flucht geraten. Nun saß er in ihrem Keller und sollte eigentlich erschossen werden, was Martha Steeg aber nicht ahnte.

Leo Tendler hatte in seiner neuen Funktion die Anordnungen der Besatzungsmacht zu befolgen und gleichzeitig die Bedürfnisse der notleidenden Bevölkerung zu erfüllen. Die Amerikaner trugen ihm auch solche Wünsche vor wie die Beschaffung eines Hauses oder von 100 Radios. Aber woher besorgen? Der Kommandant sagte dann rigoros: "Sie haben doch viele Nazis im Dorf, nehmen Sie es von denen!"

Ansonsten soll das Verhältnis zu dem Kommandanten nicht schlecht gewesen sein. Tendlers Tochter: "Vater sagte immer, dass man mit ihm reden könnte und manches abwehren und abmildern konnte."

Major Staats erzählte Leo Tendler auch, dass die Bewohner der hiesigen Gegend sehr viel Glück gehabt hätten, denn bei der Militärbehörde habe schon der Befehl vorgelegen, mit Bombenteppichen das ganze Gebiet zu zerstören, um die Leute mürbe zu machen. Leo Tendler starb 1975. Ihren standhaften Bürgermeister, der viel für den Ort getan hatte, ehrten die Oberdollendorfer mit der 1975 errichteten Leo-Tendler-Anlage.

Die "Gerechten"

Martha Steegs Mann Friedrich, der sich nicht hatte scheiden lassen, musste deshalb nach der Verhaftung seiner Frau im September 1944 den Gau Köln-Aachen verlassen, schmuggelte seine Frau aus einem Arbeitslager bei Kassel auf abenteuerlichen Wegen zur Longenburg.

Sohn Günther, der vor kurzem 85 Jahre alt wurde, hatte die Gestapo zwar mit seiner Mutter in ein Barackenlager nach Köln-Müngersdorf gebracht; er durfte jedoch 14 Tage später wieder nach Hause, weil er noch keine 16 Jahre alt war. In den letzten Wochen bezog er ebenfalls das Versteck seiner Mutter.

Im April kam sein Vater auf dem Fahrrad aus Mitteldeutschland ins Rheinland zurück. Die Familie war wieder vereint. Wilma Groyen wurde übrigens 2008 posthum für ihre Heldentat als "Gerechte unter den Völkern" von der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem geehrt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort