Rhöndorfer Michael Steffens hilft in Afghanistan "Man lernt das Leben zu schätzen"

Afghanistan ist ein Schatten seiner selbst. Es herrschen Gewalt, Terror, religiöser Fanatismus. Das Land am Hindukusch ist zu einem schwachen und fragilen Staat zerbröckelt - ohne funktionierende Ökonomie, ohne stabile Zivilgesellschaft.

 Starke Frauen in einemschwachen Land: Die EU fördert auch die Frauenrechtlerinnen in Afghanistan. Das Bild zeigt junge Kabulerinnen vor dem Gebäude einer Hilfsorganisation, auf das kurz zuvor ein Bombenanschlag verübt wurde.

Starke Frauen in einemschwachen Land: Die EU fördert auch die Frauenrechtlerinnen in Afghanistan. Das Bild zeigt junge Kabulerinnen vor dem Gebäude einer Hilfsorganisation, auf das kurz zuvor ein Bombenanschlag verübt wurde.

Foto: dpa

Die Europäische Union will die Entwicklung Afghanistans vorantreiben und entsendet regelmäßig EU-Delegationen. Michael Steffens aus Rhöndorf erlebt den Wiederaufbau als Task Manager der EU hautnah mit. Im Skype-Gespräch mit Neal Graham berichtet er aus Kabul.

Welche Ziele verfolgen Sie als Task Manager der EU in Afghanistan?
Michael Steffens: Das sind vor allem drei Themen - Menschenrechte, Zivilgesellschaft und Gleichberechtigung. Wir wollen eine solide Mehr-Parteien-Demokratie und eine Regierung, die Rechenschaft ablegt über alles, was sie tut. Ganz zentral ist: Wir wollen eine unabhängige Zivilgesellschaft, die der Regierung auf die Finger klopfen kann, wenn es notwendig ist, damit Gesetze eingehalten werden und die Regierungsarbeit transparent ist. Es sind aber auch ganz klassische Menschenrechte im Fokus, wie das Recht auf Pressefreiheit oder die Frauenrechte. Das ist insgesamt ein riesiger Themenkomplex, an dem ich mit einem Team von fünf Leuten arbeite.

Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Steffens: Wir verfolgen zum Beispiel ein Projekt, das darauf abzielt, Human Rights Defenders, das sind Menschenrechtler, zu schützen und ihnen Sicherheit zu gewährleisten, wenn sie vor einer konkreten Bedrohung stehen. Das ist gang und gäbe hier in Afghanistan. Es kann sein, dass sie für ein paar Tage in eine andere Unterkunft müssen.

Das klingt nicht gerade nach einem sicheren Pflaster.
Steffens: Nein. Der schlaue Menschenrechtler achtet darauf, nicht zu oft in der Presse zu stehen, um kein Angriffsziel zu werden. Alle paar Monate einmal dosiert einen Akzent setzen, das geht, aber häufiger sollte man es in seinem eigenen Interesse nicht machen. Auch als Journalist ist man hier nicht selten Bedrohungen ausgesetzt.

Gilt das auch für Sie und Ihr Team?
Steffens: Wir sind in einem geschützten Compound mit hohen Mauern und viel Sicherheitspersonal. Drinnen sind wir eigentlich sicher. Gefährlich sind die Fahrten zum Flughafen und zu den anderen Botschaften, weshalb wir in gepanzerten Fahrzeugen und in Begleitung von Security Teams unterwegs sind.

Haben Sie schon einmal etwas erlebt, das schwer zu verdauen war?
Steffens: Direkt vor der indischen Botschaft, neben der wir stationiert sind, ist einmal ein mit Sprengstoff beladener Toyota in einen Konvoi gefahren. Zu dem Zeitpunkt stand ich gerade unter der Dusche und konnte die Druckwelle am eigenen Körper spüren. Anschließend musste ich ganz normal zur Arbeit, als wäre nichts gewesen. Das war schon ein wenig morbide. Und momentan läuft eine Offensive der Taliban, da geschieht beinahe jede Woche etwas. Während meines letzten Aufenthalts in Deutschland gab es einen Anschlag auf eine NGO, mit der wir eng zusammenarbeiten. Es ist wahrscheinlich, dass ich mindestens eines der Opfer kannte.

Was treibt Sie trotz aller Gefahren an, Rhöndorf hinter sich zu lassen und nach Afghanistan zu gehen?
Steffens: Der Job selbst ist sehr interessant. Ich habe ein multikulturelles Arbeitsumfeld, in dem ich mit Leuten aus der ganzen Welt Kontakt habe - nicht nur mit den Kollegen aus Europa, sondern auch mit den Botschaften aus aller Welt. Wenn man mit einer gemeinsamen Stimme spricht, kann man etwas bewegen. Und was wir zu bewirken versuchen, ist ja ohne Zweifel etwas Wichtiges. Das ist die Risiken und Gefahren wert.

Wie steht Ihre Familie dazu?
Steffens: Wir haben natürlich im Vorfeld sehr viel darüber gesprochen, und mittlerweile haben wir uns reingelebt. Ich sehe das Positive, nämlich dass ich für meine Familie zu 100 Prozent da sein kann, wenn ich wieder für ein paar Wochen in Rhöndorf bin. Aber es ist ohnehin nichts Langfristiges, meine Arbeit in Afghanistan ist auf drei Jahre begrenzt. Länger würde ich das auch nicht machen.

Und Ihre Arbeit trägt Früchte?
Steffens: Ja, wir haben sichtbare Erfolge. Es gibt etwa Programme, deren Ziel es ist, durch das Vermitteln von bestimmten Fähigkeiten Jobs zu schaffen. Es wird zum Beispiel das Herstellen von Teppichen unterstützt, aber auch im Landwirtschaftsbereich schaffen wir Arbeit. Wir sind ferner im Gericht anwesend und können so Druck ausüben, dass Schuldige unabhängig von ihrer Position oder ihrem sozialen Status verurteilt werden.

Nach dem Abzug der deutschen Truppen haben die Taliban das Gebiet in wenigen Wochen wieder übernommen. Ist der Einsatz der EU in Afghanistan bloß ein Tropfen auf den heißen Stein?
Steffens: Wenn man das Gesamte sieht, wäre man wahrscheinlich irgendwann frustriert. Aber wir können punktuelle Erfolge erzielen, und das sind wichtige Schritte auf dem Weg zum Wandel. Das Land ist nicht verloren. Man muss bedenken, vor zwanzig Jahren gehörten Discos hier in Kabul zum ganz normalen Straßenbild. Nach der sowjetischen Intervention war das Land gebrochen und konnte von jedem regiert werden, der gerade das Gewehr in der Hand hielt. Das Taliban-Regime muss überwunden werden, und das geht nur mit einer stabilen Regierung und Zivilgesellschaft.

Was waren die bislang prägendsten Erlebnisse in Kabul?
Steffens: Ich bin immer wieder beeindruckt von den starken Frauen hier in Afghanistan, die für ihr Engagement teilweise große Risiken eingehen. Wir arbeiten sehr stark mit diesen Frauenrechtlerinnen zusammen, weil wir überzeugt sind, dass die Wahrung von Frauenrechten ein wichtiger Schritt ist, um die Kultur des Landes in die richtige Richtung zu lenken.

Was nehmen Sie ganz persönlich als Erfahrung mit?
Steffens: Man lernt das Leben mehr zu schätzen, weil es hier und da durchaus am seidenen Faden hängt.

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