Hagerhof-Schüler diskutieren über Flüchtlingspolitik Keiner will die "Festung Europa"

BAD HONNEF · Spätestens seit den Schiffsunglücken auf dem Mittelmeer mit Hunderten Toten werden die Themen Flucht und Asyl kontrovers diskutiert. Auch am Schloss Hagerhof bietet das Thema "Flüchtlingspolitik" die Grundlage für zahlreiche Debatten.

 Eine Diskussionsrunde mit Praktikern der Flüchtlingsarbeit schloss den Projekttag am Hagerhof ab.

Eine Diskussionsrunde mit Praktikern der Flüchtlingsarbeit schloss den Projekttag am Hagerhof ab.

Foto: Frank Homann

Am Freitag setzten sich Schüler der neunten und zehnten Klassen an einem Projekttag mit der Frage auseinander, wie Deutschland auf die steigende Zahl von Flüchtlingen und Einwanderern reagieren soll. Bei einer abschließenden Podiumsdiskussion gab es Kritik an der jüngsten Asylpolitik und einen Appell zu mehr Offenheit.

Vier Experten stellten sich unter der Anleitung von Geschichtslehrer Sven Neufert den Fragen der Schüler: Lucia Olbrück von der Arbeiterwohlfahrt (Awo), Nadine Batzella von der Stadt Bad Honnef, die private Flüchtlingshelferin Marie-Theres Wirz sowie Michael Steffens, Projektmanager für Menschenrechte, Zivilgesellschaft und Gender der EU-Delegation für Afghanistan.

Asyl ist auch in Bad Honnef ein wichtiges Thema: Die Stadt bringt 161 Menschen in Übergangsheimen unter (Stand 30. April), davon 154 Flüchtlinge aus Ländern wie Eritrea, Mazedonien, Syrien, Serbien und Russland.

Die Ausgaben der Stadt für vom Asylgesetz garantierte Leistungen liegen bei rund einer Million Euro im Jahr - finanziert mit Kommunalgeldern. Eine Summe, die anderswo besser investiert wäre? Einhellige Meinung auf dem Podium: auf keinen Fall. Gleich zu Beginn stellte Lucia Olbrück klar: "Keiner verlässt seine Heimat, wenn er es nicht muss."

Diese Menschen aufzunehmen, sei eine doppelte Notwendigkeit - das gebiete sowohl die Menschenfreundlichkeit als auch der Eigennutz. Diese Äußerung stieß bei den Schülern zunächst auf Verwunderung. Welchen Nutzen Flüchtlinge böten, dass man an Eigennutz denken könne, fragte einer. Olbrück: "Viele zahlen in unsere Sozialsysteme ein, helfen als Fachkräfte und sind somit oft ein Gewinn für uns."

Das große Stichwort für die vier Referenten: Willkommenskultur. Eine solche einzurichten, sei Honnef schon gut gelungen, da waren sie sich einig. Wo Asylbewerber früher oft ins kalte Wasser geworfen wurden, werde die Ankunft nun deutlich angenehmer gestaltet, berichtete Nadine Batzella.

Sachspenden, Willkommenspakete und nicht zuletzt private Initiativen wie etwa die von Marie-Theres Wirz seien den Neuankömmlingen bei ihren ersten Schritten im neuen Land mit fremder Sprache eine wichtige Stütze. Verständnis und Offenheit stünden an erster Stelle; der Kampf durchs bürokratische Gestrüpp folge erst später.

Michael Steffens betonte, die Flüchtlingsproblematik sei ein langfristiges Problem, das sich noch weiter verschärfen werde. "Genau deshalb müsst ihr euch fragen, wie euer Europa aussehen soll", so sein Appell an die 15- und 16-Jährigen. "Denn ihr seid diejenigen, die das Europa der Zukunft gestalten."

Wenn er eine Lektion aus seiner Arbeit in Afghanistan gelernt habe, so sei es, dass es auf Dauer zu wenig sei, wenn die Zivilgesellschaft bloß die Lücken im System fülle. Statt vieler kleiner Ad-hoc-Lösungen müsse eine umfassende politische Auseinandersetzung her. "Man kann nicht immer nur lapidar sagen: 'Dafür haben wir kein Geld'."

Sich als "Festung Europa" abzuschotten, sei erschreckend. Vielmehr müsse man das Augenmerk auf die Herkunftsländer der Flüchtlinge und die dortige Situation legen.

Denn: "Eine Gesellschaft, die sich nicht mit den Problemen der Welt auseinandersetzt und stattdessen nur auf Eigeninteresse bedacht ist, hat von vornherein verloren", so Steffens unter lautem Beifall. Olbrück: "Die Meere können nicht tief genug sein und die Mauern nicht hoch genug, dass wir diese verzweifelten Menschen wirklich davon abhalten könnten, zu uns zu kommen."

KURZ GEFRAGT

Marie-Theres Wirz (47), hauptberuflich Krankenschwester, ist seit Januar ehrenamtliche Patin einer 21-jährigen Asylbewerberin und deren zweijährigen Tochter aus dem westafrikanischen Guinea. Mit ihr sprach Neal Graham.

Wie kümmern Sie sich um die Asylbewerberin?

Marie-Theres Wirz: Ich begleite sie in erster Linie bei Dingen wie zum Beispiel Arztbesuchen. Den ganz normalen Alltag organisiert sie ohne Probleme selbst, aber wenn es komplizierter wird, springe ich ein. Sie spricht Französisch und Fula, auf Deutsch kann sie sich nur mit Händen und Füßen verständigen. Aber sie macht Lernfortschritte.

Braucht es den direkten, persönlichen Kontakt, um Vorurteile zu überwinden?

Wirz: Auf jeden Fall. Ich hatte auch Bedenken, als ich das erste Mal in das Flüchtlingshaus an der Lohfelder Straße gegangen bin. Das war ein komisches Gefühl, vielleicht ein unbegründeter Vorbehalt gegenüber dem Fremden. Aber jetzt habe ich ein gewisses Vertrauensverhältnis aufgebaut und werde dort immer herzlich empfangen.

Manche glauben, Asylbewerber seien tendenziell eher kriminell. Ist das gerechtfertigt?

Wirz: Nein. Ich finde es absolut richtig, wenn man Straffällige in die Schranken weist, aber der Punkt ist: Schwarze Schafe gibt es überall. Dieses besondere Herausheben von Asylbewerbern als Kriminelle taugt nur zum Schüren von weiteren Vorurteilen.
Negative Erfahrungen werden viel schneller als Aufregerthemen verbreitet, Positives wird kaum erwähnt. Ganz abgesehen davon ist die Kriminalität viel geringer, als manche Kreise es uns glauben machen wollen.

Also ist Offenheit gegenüber anderen für Sie ein Wert, den man auf jeden Fall vermitteln sollte?

Wirz: Ja, das ist sehr wichtig. Man muss sich doch nur einmal selbst in die Lage der Asylbewerber hineinversetzen: Wenn ich in einer ähnlichen Situation wäre, meine gesamte vorherige Existenz aufgegeben hätte, würde ich mich auch nach jemandem sehnen, der mir in meiner neuen Umgebung hilft. Ein Problem besteht dann, wenn man nicht konkrete Individuen mit Schicksalen sieht. Das Allgemeine ist diffus, und vor dem Diffusen hat man Angst.

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