Erdbeben Nepal: Interview mit einem Unfallchirurgen "Die Klinik ist der sicherste Ort"

Bad Honnef · Michael Schidelko ist wieder in Bad Honnef. Gleich nach der Nachricht über das verheerende Erdbeben in Nepal war der Präsident von Interplast Germany dorthin geflogen. Eine Woche lang arbeitete der Chirurg im Sushma Koirala Memorial Hospital (SKMH) von Interplast im Schatten des Himalaya. 50 Operationen führte er mit seinem Team durch.

 Eine Nepalesin steht vor den Trümmern ihres Hauses, das das Erdbeben zerstört hat. Noch immer werden Verletzte in die Kliniken gebracht. Auch die Interplast-Ärzte in Sankhu rechnen mit weiteren Opfern.

Eine Nepalesin steht vor den Trümmern ihres Hauses, das das Erdbeben zerstört hat. Noch immer werden Verletzte in die Kliniken gebracht. Auch die Interplast-Ärzte in Sankhu rechnen mit weiteren Opfern.

Foto: EPA

Mit dem Mediziner sprach Roswitha Oschmann.

Wie schnell war Ihnen nach den ersten Meldungen über das Erdbeben klar, dass Sie nach Nepal fliegen?

Michael Schidelko: Ingenieur Hein Stahl aus Hennef, der Geschäftsführer der Interplast-Sektion Nepal, hat das Erdbeben miterlebt. Er war gerade in einem Restaurant in Kathmandu, als die Erde bebte. Alle waren wie erstarrt und fielen um, so schilderte er uns die Situation. Er kam sich vor wie eine Ameise, die von Urgewalten zerquetscht zu werden drohe. Hein hat uns nach seiner abenteuerlichen Rückkehr ins etwa 20 Kilometer entfernte Krankenhaus angemailt, und da haben wir noch an dem Tag alles in die Wege geleitet, Flüge gebucht. Mir war sofort klar, dass ich da hingehe. Meine Frau hat direkt erklärt, dass sie mitkommen will. Ich konnte Rüdiger Knoche aus Bonn als Anästhesisten gewinnen. Ein Freund aus Leverkusen, Wulf Schmücking, hat sich mit uns aufgemacht.

Hatten Sie keine Angst?

Schidelko: Ob ich allein geflogen wäre, weiß ich nicht. Unsere Tochter hat mich fast angefleht, nicht zu diesem Einsatz zu starten. Aus der Ferne wirkt das vielleicht noch beängstigender. Aber Hein Stahl hat mir in seiner Mail versichert, unser Krankenhaus sei der sicherste Ort in ganz Nepal.

Wie war das, als Sie Nepal erreichten?

Schidelko: Zunächst musste unser Flugzeug drei Stunden lang in der Luft kreisen. Wir kamen erst um Mitternacht an. Kathmandu war eine Geisterstadt. Zum Glück waren die Straßen frei. In den Außenbezirken gibt es stabilere Häuser. Dieser Bereich war vom Erdbeben nicht so stark betroffen wie die alte Innenstadt. Auch in Sankhu, dem Ort auf dem Lande, in dem sich das Krankenhaus befindet, war fast jedes Haus kaputt. Zu 90 Prozent ist dort alles zerstört.

Was erwartete Sie im Krankenhaus?

Schidelko: Das Krankenhaus hat 50 Betten. Verletzte Menschen lagen in den Gängen, im Carport, im Sekretariat, überall. Es waren fast keine provisorischen Betten mehr da. Die meisten der 120 Patienten kamen aus dem Ort Sankhu. Die Menschen dort waren verschüttet oder tot. Fünf sind auch noch im Krankenhaus an schweren Schädelhirntraumata gestorben.

Mit welchen Verletzungen hatten Sie zu tun?

Schidelko: Wir haben über 50 Operationen gemacht. Es waren sehr schwere OP's. Die orthopädischen Chirurgen dort hatten schon viel geschafft, bis wir eintrafen. Die Sparte Unfallchirurgie ist in dem Hospital erst vor wenigen Monaten hinzugekommen. Da passte es sehr gut, dass ich Plastischer Chirurg und Unfallchirurg bin. Typisch waren zersplitterte Knochen mit zerquetschten Weichteilen. Nima, ein einjähriges Mädchen, war unsere jüngste Patientin. Sie war zwei Tage lang verschüttet und wurde mit dem Helikopter ins Krankenhaus gebracht. Aber sie wird wieder ganz gesund. Der älteste Patient war hundert. Ihm waren Trümmer auf den Kopf gefallen. Er erlebte schon das große Erdbeben von 1934 und scherzte, ein drittes möchte er nicht erleben.

Es gab noch Nachbeben. Wie haben Sie die wahrgenommen?

Schidelko: Die meisten habe ich verschlafen. Tagsüber gab es auch Erdstöße. Aber ich habe nie Angst gehabt.

Wie ist das mit der Nachsorge?

Schidelko: Im Krankenhaus arbeitet das örtliche Team, da sind genügend gute Ärzte und Schwestern. Ein Unfallchirurg hat mich jetzt abgelöst und bleibt noch drei Wochen. Viele Patienten sind bereits entlassen. Aber viele Verletzungen erfordern Nachsorge.

Erwartet das Krankenhaus noch mehr Erdbebenopfer als Patienten?

Schidelko: Das ist schwer zu beurteilen. Wir waren einmal in den Bergen, die Straßen waren frei. Wie es weiter oben aussieht, kann ich nicht sagen.

Was wird jetzt wichtig für die Menschen in Nepal?

Schidelko: Ich muss jetzt keine Mediziner mehr mobilisieren. Aber ich mache mir Gedanken, wen man hinschicken könnte, um beim Wiederaufbau zu helfen. Vor allem benötigen die Familien jetzt Geld, um Baustoffe kaufen zu können.

Mit Ihrer Frau waren Sie gerade erst vom zweiten Einsatz dieses Jahres in Tansania zurück, als Sie nach Nepal starteten. Wie verkraften Sie das?

Schidelko: Ich habe mir diesen Einsatz möglich machen können. Zum Glück habe ich meine Praxispartnerin Maria Lempa und ein gutes Team. Aber diese Einsätze und die Ortsveränderungen nehmen mich nicht so fürchterlich mit. Ich stecke das schnell weg. Die Arbeit hier ist manchmal noch anstrengender.

Wie halten Sie sich eigentlich fit?

Schidelko: Gar nicht. Dafür habe ich keine Zeit.

Bleibt es trotz Nepal bei dem weiteren geplanten Einsatz in Puma, dessen Aufbau der Pfarrgemeinde in Selhof zu verdanken ist?

Schidelko: Ja, im Oktober. Das ist diesmal mit einer Informationsreise des Lions Clubs verbunden, von dem unsere Interplast-Sektion Siebengebirge viel Unterstützung erhält. Jeden Monat wird jetzt ein Team in Puma arbeiten. In Sierra Leone ist Ebola abgeklungen. Wir wollen dort in der zweiten Jahreshälfte einen versprochenen Einsatz absolvieren.

Sie waren zuletzt vorwiegend in Puma. Gibt es noch ein Wunschziel?

Schidelko: Vor meiner Abreise nach Nepal habe ich die Chefärztin vom Caritas-Bethlehem-Hospital, Dr. Hiyam Marzouqa-Awad, kennengelernt, die von der Honnefer Pfarrgemeinde unterstützt wird. Es würde mich reizen, in Bethlehem tätig zu sein.

Sie werden in diesem Jahr 65. Da gehen andere in den Ruhestand.

Schidelko: Ich werde eher Interplast noch mehr Zeit widmen.

Zur Person

Michael Schidelko (64), der mit seiner Frau Regina in Bad Honnef eine Praxis für Chirurgie und Plastische Chirurgie betreibt, stellt sich seit 25 Jahren in den Dienst von Interplast Germany.

Die Eheleute führen in Entwicklungsländern unentgeltlich plastische Operationen durch, etwa an Gesichtsfehlbildungen, Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten oder Unfall- und Kriegsverletzungen. Ihr Einsatz wurde 2011 mit dem Bundesverdienstkreuz gewürdigt. Michael Schidelko wurde kürzlich zum Präsidenten von Interplast Germany gewählt. Seit Gründung des Vereins im Jahr 1980 wurden nahezu 84.000 Patienten behandelt.

Das Interplast-Hospital in Nepal

Das Sushma Koirala Memorial Hospital (SKMH) in Sankhu wurde 1997 vom Verein Interplast Germany in Zusammenarbeit mit dem nepalesischen Partner Sushma Koirala Memorial Trust in Betrieb genommen. Es liegt in einem Seitenwinkel des Kathmandu-Tals, etwa 20 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt. In diesem Krankenhaus werden vor allem arme Leute kostenlos medizinisch behandelt. Es trägt sich fast ausschließlich durch Spenden, vorwiegend aus Deutschland.

Der Hennefer Ingenieur Hein Stahl, der auch Geschäftsführer der Interplast-Sektion Nepal ist, leitete die Neubau- und Modernisierungsarbeiten, so dass aus der Einrichtung mit anfänglich acht Betten und einem primitiven Operationssaal eine respektable Klinik geworden ist. 50 Betten, zwei moderne OP-Säle, eine ständig besetzte Zahnstation mit Techniklabor gehören zu dem Gesundheitskomplex. 200.000 Euro wurden investiert, um das Haus erdbebensicher zu machen.

Viele Ärzte und Helfer aus Deutschland sind dort ehrenamtlich regelmäßig im Einsatz. Sie unterstützen auch Aus- und Weiterbildung der nepalesischen Ärzte und Schwestern.

Weitere Informationen zur Organisation Interplast und ihren Einrichtungen auf www.interplast-germany.de

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