"Tag der Inklusion" in Oedekoven Barrieren im Denken überwinden

ALFTER-OEDEKOVEN · Beim "Tag der Inklusion" in Oedekoven gab es viele Informationen zum Thema. Bürgermeister Rolf Schumacher appelliert an das Herz der Bürger.

Gemeinsam lernen: Die behinderte Schülerin Nicola (rechts), die im Rollstuhl sitzt, wird von einer Mitschülerin in einer Grundschule in Neuss geschoben. FOTOS: DPA/KOHLS

Gemeinsam lernen: Die behinderte Schülerin Nicola (rechts), die im Rollstuhl sitzt, wird von einer Mitschülerin in einer Grundschule in Neuss geschoben. FOTOS: DPA/KOHLS

Foto: dpa

Barrierefreiheit umfasst mehr als die Höhe von Bordsteinkanten und ebenerdige Zugänge in Gebäude. Der Begriff bezieht sich auch auf die Bereitschaft, Barrieren im Denken zu überwinden und Unterschiedlichkeit von Menschen als normal zu begreifen. "Die tiefergehende Frage ist: Erreicht das Thema auch unser Herz und unseren Verstand und folgt daraus Aktion?"

Damit leitete Bürgermeister Rolf Schumacher im Rathaus der Gemeinde Alfter in Oedekoven am Mittwoch den "Tag der Inklusion" ein, der mit Informationen und Diskussionen vielfältige Denkanstöße für die Zukunft gab.

Der öffentliche Austausch über Inklusion machte die enorme Breite der Handlungsfelder deutlich, die sich aus dem UN-Übereinkommen von 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ergibt. Seit März 2009 ist diese Konvention in Deutschland gesetzlich verankert. Es geht auch, aber nicht nur um behindertengerechte Lösungen im Straßenraum, sondern auch um Menschenrechte.

Der Einbezug von Menschen mit Einschränkungen als Selbstverständlichkeit in allen Bereichen der Gesellschaft erstreckt sich beispielsweise auf Geschlechtergerechtigkeit und Menschen mit Migrationshintergrund, auf an Aids erkrankte Mitbürger und Barrierefreiheit im Internet.

Die Vielfalt der Aspekte veranschaulichte Bernd Woltmann den rund 50 Zuhörern im Ratssaal. Er leitet beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) die Anlauf- und Koordinierungsstelle zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Allein aus den allgemeinen Grundsätzen der Konvention, so Woltmann, lasse sich ableiten, dass man sich unter anderem auch über Gleichstellung und Kindeswohl, Partizipation und Selbstbestimmung Gedanken machen müsse. Zur Umsetzung im Bereich des LVR habe man dafür "Zielrichtungen" formuliert. Bezogen auf kommunales Handeln wertete er die Veranstaltung in Oedekoven als einen guten Anknüpfungspunkt.

Forderung aus dem Jahr 2011

Zum "Tag der Inklusion" hatte die Gemeindeverwaltung eingeladen und damit eine Forderung aufgegriffen, die in ihrem Ursprung auf einen Antrag von Rainer Irlenkaeuser, seinerzeit FDP-Ratsmitglied, im Jahr 2011 zurückgeht.

Persönliche Erlebnisse schilderte der 16-jährige Schüler Philipp Waßenberg aus Alfter, dessen rechter Oberschenkel im Kindesalter amputiert werden musste. Er hat eine steile Sportkarriere in der Leichtathletik gestartet und möchte an den Olympischen Spielen für Sportler mit Behinderung 2016 in Rio de Janeiro teilnehmen.

Die Rückkehr in die Grundschule nach Waßenbergs Operation gelang, weil eine Mitarbeiterin des Kinderklinikums in die Schule kam und die Mitschüler über die Krebserkrankung und die Amputation informierte. Das erleichterte die Wiedereingliederung. Diesen Beistand hatte der Junge nicht, als er in Bornheim aufs Gymnasium kam. "Ich wurde durchgemobbt", berichtete Waßenberg und wechselte an die Europaschule. Diesmal erbat er erneut den Beistand des Klinikums. "Alleine kriegt man das nicht hin."

Aufklärung bezeichnete auch Rainer Irlenkaeuser als sehr wichtig. Vor zu viel Betonung eines Sonderstatus warnte indessen die Rektorin der Gemeinschaftsgrundschule Oedekoven, Erika Khaliji. Sie hat langjährige Erfahrung mit dem "Gemeinsamen Lernen" an Schulen und leitet mit der Grundschule Oedekoven den ersten inklusiven Schulstandort in der Gemeinde Alfter. Zum laufenden Schuljahr 2014/15 wurden dort zwölf Kinder mit Förderbedarf aufgenommen.

"Die Unterschiedlichkeit soll als normal wahrgenommen werden", wünscht sich Khaliji. Bei der Umsetzung des inklusiven Konzeptes in Oedekoven ist ihr wichtig: "Die Schule muss sich an die Kinder anpassen, nicht die Kinder an die Schule." Dafür brauche man unter anderem mehr personelle Ressourcen. Zurzeit wird die Schule durch eine Sonderpädagogin in Vollzeit unterstützt. Ab Sommer habe das Kreisschulamt eine weitere halbe Stelle in Aussicht gestellt, berichtete Khaliji, doch die endgültige Entscheidung stehe noch aus.

"Ich verstehe das Inklusionsthema als einen Weg, den wir sensibel angehen und gut machen wollen", unterstrich Bürgermeister Rolf Schumacher. Als gelungen wertete er unter anderem das Zusammenspiel von Politik, Verwaltung und der Arbeitsagentur zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen. Durch Ein-Euro-Jobs in Alfter, beispielsweise in Kindergärten oder in der Grünflächenpflege, konnten einige Projektteilnehmer sogar in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden.

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