Interview mit Bernd Ehrich und Hans-Martin Wenchel "Normale Vorsichtsmaßnahmen helfen"

RHEIN-SIEG-KREIS · Die Mediziner Bernd Ehrich und Hans-Martin Wenchel berichten im GA-Interview über multiresistente Erreger.

 Keimkolonie auf Nährboden: Multiresistente Keime sorgen zunehmend für Probleme.

Keimkolonie auf Nährboden: Multiresistente Keime sorgen zunehmend für Probleme.

Foto: dpa

Wenn gängige Antibiotika wirkungslos bleiben, ist das oft ein Indiz für multiresistente Erreger (MRE). Die sorgen für Probleme im Gesundheitswesen. Diesen Problemen tritt seit 2010 das länderübergreifende mre-netz regio rhein-ahr entgegen.

Wie das Netzwerk, dem auch das Gesundheitsamt des Rhein-Sieg-Kreises angehört, arbeitet, was es erreicht und welche Pläne es hat, darüber haben Bernd Ehrich, Leiter des Kreisgesundheitsamtes, und Hans-Martin Wenchel, Facharzt für Hygiene und medizinische Mikrobiologie im Kreisgesundheitsamt, mit Nadine Quadt gesprochen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass ich einen multiresistenten Keim trage?
Hans-Martin Wenchel: Der Eiterkeim MRSA ist der bekannteste. 20 Prozent der Bevölkerung tragen Staphylococcus aureus im Nasen-Rachen-Raum oder auf der Haut. Bei gut zehn Prozent dieser Träger liegt die multiresistente Form vor. Also sind etwa zwei Prozent der Bevölkerung mit MRSA besiedelt, zu einer Infektion kommt es selten.

Woran merkt ein Arzt, dass ein Patient mit MRSA besiedelt ist?
Bernd Ehrich: Zum Beispiel, wenn eine eiternde Wunde nicht auf die gängige Antibiotika-Behandlung anschlägt. Dann muss ein Arzt schnell herauszufinden, welcher Keim es ist und welches Antibiotikum noch wirksam ist. Sonst kann die Situation lebensbedrohlich werden. Gefährdet sind besonders geschwächte Menschen.

Wie wird der Keim erkannt?
Wenchel: Über eine Abstrichuntersuchung von Nasen- und Rachenraum. Das Ergebnis liegt erst nach zwei bis drei Tagen vor. Der Patient wird im Falle eines Nachweises isoliert und eine Sanierung beginnt. Erst wenn Abstriche an drei aufeinanderfolgenden Tagen keinen MRSA mehr nachweisen, ist der Patient erfolgreich saniert.

Also ist eine Befreiung möglich?
Ehrich: Beim MRSA im Prinzip schon. Meist scheitert die vollständige Sanierung aber daran, dass die Patienten nicht lang genug im Krankenhaus sind. Da setzt unser Netzwerk an, wir arbeiten an der poststationären Verzahnung.
Wenchel: Wir sensibilisieren Ärzte, Rettungstransportdienste, Labore, Pflegedienste und -heime, und empfehlen die Einführung von Überleitungsbogen, die die wichtigsten Informationen enthalten.

Wie lässt sich die Ausbreitung eines Keims verhindern?
Ehrich: Ganz einfach: Durch das Einhalten gängiger Hygieneregeln. Die meisten Keime werden über Hautkontakt übertragen. Das heißt, die Hände müssen nach jedem Patienten desinfiziert werden. Die Akutkliniken in der Region setzen das sehr gut um. Daher haben sie das Qualitätssiegel des mre-netzes erhalten.

Was bewertet das Qualitätsiegel?
Ehrich: Fachleute der Gesundheitsämter überprüfen, ob hygienische Qualitätsstandards eingehalten und bei Anwendung von Antibiotika anerkannte Leitlinien berücksichtigt werden. Das erste Siegel läuft Ende Dezember aus, daher haben wir mit der zweiten Auflage begonnen. Dafür haben wir höhere Kriterien angesetzt und neue Aspekte aufgenommen.

Welche, zum Beispiel?
Wenchel: Im Idealfall hat jedes Krankenhaus mit mehr als 400 Betten einen eigenen Krankenhaushygieniker. Dies ist derzeit nicht umsetzbar, weil es nicht genügend spezialisierte Ärzte gibt. Das Problem ist aber erkannt. So erhalten die Kliniken Geld, um vermehrt Personal zu Hygienefachpersonal ausbilden zu lassen.

Wie steht es mit der Finanzierung?
Ehrich: Hygiene ist leider ein großer Kostenfaktor. Wenn Krankenhäuser alle Schritte einer Keimsanierung einhalten, machen sie ein dickes Minusgeschäft. Die Extrabehandlungen werden nicht angemessen refinanziert.

Gibt es erste Erfolge der Hygienestandards?
Ehrich: Ja, beim MRSA ist die Tendenz absinkend und es tritt eine gewisse Entspannung auf.
Wenchel: Dafür treten nun andere Keime in den Vordergrund, etwa sogenannte multiresistente gram-negative Bakterien. Das sind Keime, die wir häufig auch über die Nahrung aufnehmen. Sie sind eine größere Gefahr als der MRSA, weil sie oft kaum noch auf Antibiotika ansprechen und als Darmbewohner einer Sanierung nicht zugänglich sind. Etwa sechs bis acht Prozent der deutschen Bevölkerung beherbergen solche Bakterien im Darm, meist ohne es zu bemerken.

Wie kann man sich vor diesen Keimen schützen?
Wenchel: Das ist nur schwer möglich, weil sie weiter verbreitet sind. Wenn man den Keim früh erkennt, kann eine Übertragung im Krankenhaus aber gut vermieden werden. Wichtig wäre, dass der häufig ungezielte Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung oder der unnötige Einsatz in der Humanmedizin deutlich eingeschränkt würde.
Ehrich: Um solche Keime nicht über Nahrung aufzunehmen, helfen normale Vorsichtsmaßnahmen: Also, Fleisch gut durchbraten oder kochen. Geflügel von anderen Nahrungsmitteln fernhalten.

Das Siegel gibt es nur für Krankenhäuser?
Wenchel: Bislang ja. Wir sind aber kurz vor der Zertifizierung von Altenheimen. 30 Pflegeheime im Kreis erhalten im Herbst ihr Siegel.

Zu den Personen

Bernd Ehrich leitet seit August 2012 das Gesundheitsamt des Rhein-Sieg-Kreises. Der 66-Jährige ist Facharzt für Kinderheilkunde und Arzt für öffentliches Gesundheitswesen. Seit 1996 arbeitet er im Kreisgesundheitsamt.

Hans-Martin Wenchel ist Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, für medizinische Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Dem 57-Jährigen obliegt im Kreisgesundheitsamt seit September 2014 die Hygieneaufsicht über die Krankenhäuser.

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