Die Kirchstraße in Bruchhausen Wo die Wallfahrt zu Hause ist
Bruchhausen · Eine Straße, viele Geschichten: Die Kirchstraße in Bruchhausen liegt direkt an der Marienkirche. Der General-Anzeiger hat diese Straße für ein Experiment ausgewählt. Wir wollten wissen: Wer wohnt hier? Was bewegt die Menschen? Welche Sorgen, welche Träume haben sie? Und welche Beziehung haben sie zu jener Kirche, die in den Pilgermonaten von so vielen Reisegruppen besucht wird?
Die Kirchstraße ist eine Einbahnstraße. Schmal ist sie, vielleicht 300 Meter lang. Sie führt an einem unverputzten Fachwerkhaus vorbei, ebenso an hübschen, gut erhaltenen. Diese Straße in Bruchhausen ist eine gewöhnliche Straße, keine, die zwingend einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Doch sie endet an dem Ort, der den Wallfahrtsort Bruchhausen über die Gemeindegrenzen hinaus populär macht: an der Marienkirche Sankt Johannes Baptist.
Unser Bild ist dank einer modernen Technik entstanden: Mit einer Drohne hat der General-Anzeiger eine Fotokamera in die Höhe befördert, auf bis zu 100 Meter. Mithilfe dieses Flugobjekts ist ein einzigartiger Blick auf die Kirchstraße entstanden.
Im zweiten Schritt haben wir uns wieder herangezoomt, bis in die Wohnzimmer. Wir haben mit den Menschen gesprochen und sie vor ihren Häusern abgelichtet. Herausgekommen ist ein seltenes Porträt eines Straßenzuges, der so viele spannende Geschichten birgt. Weit mehr als die über das Wahrzeichen. Es geht dabei um Denkmalschutz und um Kanalbauarbeiten, um glückliche und unglückliche Bewohner.
Hausnummer 1 und 3: Jobst und Marlis Krüger, 70 und 66 Jahre alt
Sie gehören zu den Urgesteinen der Kirchstraße: Seit 34 Jahren leben Marlis und Jobst Krüger hier. Seit 1999 gehört ihnen auch das Nachbarhaus. "Hätten wir die Entwicklung des Kanalbaus und des Denkmalschutzes absehen können, hätten wir das zweite Haus nicht gekauft", sagt Marlis Krüger, die klagt: "Wir sind hier nicht mehr glücklich."
Anfangs sei es für die Berliner ein "Kulturschock" gewesen, als die Bürgersteige sprichwörtlich am frühen Abend hochgeklappt wurden. Aber immerhin wäre Bruchhausen damals ein Dorf gewesen, heute, so sagt sie, sei hier nichts mehr außer eine Kneipe und eine Telefonzelle. Die Krügers leben hier mit drei Katzen. Zu der gegenüberliegenden Marienkirche haben sie kein Verhältnis: "Ich bin Atheist."
Hausnummer 5: Bozena Sokolowska und Karl Krämer, 59 und 68 Jahre
Als Bozena Sokolowska mit ihrem Lebensgefährten Karl Krämer vor 21 Jahren nach Bruchhausen kam, florierte die Kneipenlandschaft noch. Sie kauften die Gaststätte "Zum Brunnen" - und schlossen sie nach sieben Jahren wieder. "Es hat sich nicht mehr rentiert", sagt Sokolowska. Heute genießen sie "die gute Luft und die nächtliche Ruhe" an der Kirchstraße. Mit dem Andrang in den Marienmonaten haben die zwei gar kein Problem. Vorher lebten sie nämlich in Bonn: "Das war furchtbar. Jede Nacht bretterte die Feuerwehr oder die Polizei bei uns vorbei", klagt sie und schwärmt dann: "Hier wollen wir nicht mehr weg."
Hausnummer 4: Rainer Elsenbruch, 39 Jahre alt
Für den Groß- und Außenhandelskaufmann ist die Kirchstraße bislang ein Sinnbild des Unglücks. 2006 hat er das Haus gekauft, in dem zuvor seine Großtante lebte. Seit Mitte 2007 befindet es sich im Bau. "Das war ein Fehlkauf. Die Bausubstanz ist nicht in Ordnung", hadert Elsenbruch, der selbstkritisch sagt: "Ich habe mich zu wenig informiert." Zudem werfe der Denkmalschutz ihm stets Steine in den Weg. Das Haus selbst stehe zwar gar nicht unter Denkmalschutz, doch die Kirchstraße sei direkt betroffen. Viele Tage Maloche und schlaflose Nächte hat der gebürtige Bruchhausener seither verlebt. "In neun Monaten möchte ich endlich einziehen", sagt er.
Hausnummer 8: Birgit und Christian Schulte, beide 44 Jahre alt, mit zwei Söhnen und einer Tochter
Die Kirchstraße ist eine tierliebe Straße. Auch die Schultes haben zwei Hunde. "Das ist hier perfekt für Hunde. Hier gibt es viele tolle Routen für Spaziergänge", sagt Birgit Schulte. Seit elf Jahren wohnt die Familie hier. Bruchhausen sei ein "nettes Örtchen", doch lieber wäre die Frau des Hauses in Scheuren und auf der Rheinschiene geblieben. Die Schultes sind keine Kirchgänger. Doch störend sei die Marienkirche auch nicht.
Hausnummer 7: Heiderose Dressler, 51 Jahre alt
Die Kirchstraße in Bruchhausen sollte für Heiderose und Thomas Dressler ein Neuanfang sein. Ihre Kinder waren bereits hier, sie erhielten in Bad Honnef, der Partnerstadt ihrer Heimat Wittichenau in der Lausitz, Lehrstellen. Doch es wurde eher ein Rückschlag, denn sie und ihr Mann fassten im Ort nicht richtig Fuß.
"Wir wurden von Anfang an von den meisten Leuten hier gemieden", sagt Heiderose Dressler. Sie ist Inhaberin der Gaststätte "Bruchhausener Hof", in dem sie neulich erst den Biergarten erneuert hat. Es gab mal eine Zeit, da war es hier abends noch gut gefüllt. Das ist vorbei - jenseits von Mai und Oktober, den Wallfahrtsmonaten. "Wir werden den Fünf-Jahres-Pachtvertrag aller Voraussicht nach nicht verlängern."
Hausnummer 9: Dagmar Lück, 41 Jahre alt
Gesehen, verliebt, gekauft: So zügig fiel die Entscheidung von Dagmar Lück und ihrem inzwischen verstorbenen Mann, aus Erpel an die Kirchstraße zu ziehen. Das Haus ist von 1870. Sie hat den Kauf bislang nicht bereut: "Wir haben die besten Nachbarn der Welt." Die prekäre Situation ihrer direkten Nachbarn, der Familie Dressler, tue ihr enorm leid: "Das sind ganz liebe Menschen, mit guten Ideen und einer guten Küche."
Die Heilpraktikerin geht gerne mit ihrem "Kampfschmuser", ein Mischlingsrüde "mit Pferdebeinen", spazieren. Dass der Vierbeiner ein kleiner Filmstar ist, wissen sie in der Nachbarschaft: Lücks Hund hat vor 14 Jahren eine Rolle in einem Film erhalten. Lück klagt nicht über den Denkmalschutz. Im Gegenteil: "Ich stehe voll hinter der Zone. Ich finde es gut, dass hier alles gepflegt und gut behandelt werden muss." Heute wohnt sie hier gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Franz Fesel.