Flucht aus Reval Essen stand noch auf dem Tisch

UNKEL · Elimar Schubbe ist 1934 in Reval geboren. Er gehört zur deutsch-baltischen Minderheit, die am finnischen Meerbusen heimisch geworden war, aber nicht heimisch bleiben durfte.

 Elimar Schubbe (M.) berichtete von seinen Erlebnissen.

Elimar Schubbe (M.) berichtete von seinen Erlebnissen.

Foto: Homann

Das Leben des 81-jährigen Journalisten ist zu einem guten Teil Achterbahn gefahren mit ihm und seiner Familie, nachdem Deutschland und die Sowjetunion im Jahr 1939 den sogenannten Hitler-Stalin-Pakt geschlossen hatten. Die Vereinbarung steckte die territorialen Grenzen der beiden Vertragspartner ab und war damit Grundlage für den Beginn des Zweiten Weltkriegs. "Heim ins deutsche Reich", so hieß die ausgegebene Devise der Regierung für diese Menschen, die sich aber als Vertriebene fühlten.

Zu ihnen gehörte auch Brigitte Schüller-Kreuer, die mit ihrem Mann Wilhelm in Unkel lebt. Aus Königsberg verschlug es ihre Familie erst nach Schleswig-Holstein, später nach Beuel ins Rheinland. In ihren behaglichen Kaminkeller laden sie seit diesem Jahr an jedem zweiten Montag im Monat ein, "um die Erlebnisse von damals in Erinnerung zu rufen", sagt Brigitte Schüller-Kreuer. "Es gibt uns schließlich noch", ergänzt ihr Mann Wilhelm, der allerdings aus Köln stammt.

Dieses Mal blättert also der Bonner Elimar Schubbe seine Erinnerungen vor den Gästen auf. Der Inhalt des Pakts löste 1939 beim Vater eine "Schockwirkung" aus. "Ihm wurde klar, dass es uns irgendwann ans Leben gehen wird, wenn wir bleiben." Als Fünfjähriger musste er das erste Mal in den Warthegau umsiedeln. In einer Wohnung, die der Familie zugewiesen wird, "stand das Essen noch warm auf dem Tisch", erinnert sich Schubbe. Die polnisch-jüdische Arztfamilie kam tags darauf vorbei, um vorsichtig nachzufragen, ob sie noch das ein oder andere abholen könne.

Als der Krieg mit der Sowjetunion 1941 begann, meldete sich der Vater freiwillig. Schubbe glaubt, dass es der innere Ruf nach Vergeltung war, der ihn antrieb: die vorangegangenen Morde der Bolschewiki, die den Bruder der Mutter in Sankt Petersburg in einen mit Steinen gefüllten Kartoffelsack steckten und in der Newa ertränkten. Diese Familiengeschichte ist kompliziert, der Vater ein Gegner der Nationalsozialisten, der Bruder, Onkel Hans, dagegen ein hohes Tier der SA. Der Riss durch die Familie blieb dem jungen Elimar nicht verborgen.

Den Einmarsch der Roten Armee erlebte er zwischen Berlin und Hamburg. Er erinnert sich, dass der Volkssturm einen Panzerstraßensperre errichtete. "Rechts und links waren freie Flächen, eine völlig absurde, sinnlose Geschichte wie so viele." Nach Kriegsende verbrachte der Jugendliche die ersten Jahre in der sowjetisch besetzten Zone.

Zum 70. Geburtstag Stalins sollten die Schüler ihm die ewige Treue und Liebe schwören. Zwölf von 120 unterschrieben die Glückwunschkarte. Ein gar nicht so stiller Protest. Es überrascht nicht, dass Elimar Schubbe zu diesem Zeitpunkt bis in die Haarspitzen politisch war. Der spätere Student der Theologie, Politik und Geschichte reibt sich im westdeutschen Gymnasium verwundert die Augen: "Die Jungs interessierten sich nicht für Politik, sondern für Mädchen und Bier. Das habe ich nicht verstanden."

An jedem zweiten Montag im Monat lädt die Familie Schüller-Kreuer in ihr Haus in Unkel ein. Die Gäste werden zeitnah angekündigt. Eine vorherige Anmeldungen ist erforderlich unter 02 22 49 87 37 67.

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