Arp Museum Rolandseck Zwischen Lust und Leid

REMAGEN · Die Kunstkammer Rau im Arp Museum Rolandseck wendet unter dem Titel "Leibhaftig" ein kontroverses Thema.

 Christliches Gemetzel: "Der heilige Achatius und das Martyrium der Zehntausend" von Jakob Strüb (1505/10).

Christliches Gemetzel: "Der heilige Achatius und das Martyrium der Zehntausend" von Jakob Strüb (1505/10).

Foto: Museum

Pfeile stecken in Sebastians vollendetem, leicht muskulösem Körper, zumindest sieht man noch die Wunden. Der schöne Heilige blickt versonnen und gar nicht leidend unter seiner Lockenmähne hervor, mit kühnem Schwung bedeckt das Lendentuch das heilige Gemächt.

Der mittelrheinische Bildschnitzer, der um 1500 diese Skulptur schuf, muss mit dem humanistischen Menschenbild und dem Körperbau der Antike in Berührung gekommen sein, so realistisch und ideal kommt der halbnackte Heilige daher, der einst wegen seines heimlichen Übergangs zum Christentum durch Kaiser Diokletian zum Tod durch seine eigenen Bogenschützen verurteilt wurde.

Von dem bluttriefenden, schmerzvollen, brutalen Darstellungsmodus der Spätgotik keine Spur mehr. Um 1500 interpretierte der unbekannte Künstler Sebastian nicht als gebrochenen Märtyrer, sondern als einen, der das Leiden hinter sich hat, der triumphiert.

Jede Zeit hat ihre Deutung so zentraler Bildinhalte wie Lust und Schmerz, Verlangen und Tod, jede Zeit interpretiert ihre Märtyrer und Helden anders. Davon erzählt die spannende Ausstellung "Leibhaftig. Der menschliche Körper zwischen Lust und Schmerz" im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen.

Es ist die achte Schau, bei der die Kunstkammer Rau einen neuen Blick auf die spektakuläre Sammlung des Arztes und Philanthropen Gustav Rau ermöglicht, die sich im Besitz des Kinderhilfswerks Unicef befindet. Im vergangenen Jahr hat Unicef etliche Stücke versteigern lassen, darunter Meisterwerke der Rolandsecker Rau-Leihgabe.

Für die Abgänge gab es jetzt Entschädigung: Insbesondere Skulpturen kamen dazu, mittlerweile verfügt das Arp Museum über 275 Werke der Rau-Sammlung, bei Beginn der Kooperation im Jahr 2008 waren es 240. Etliche Neuzugänge sind nun erstmals in einer Ausstellung zu sehen. Ergänzt werden die Rau-Bestände durch Leihgaben, etwa aus dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum und dem Landesmuseum in Mainz.

Die Zeitspanne reicht von einem antiken Herakles und dem mit gespreizten Beinen hingelümmelten Barberini'schen Faun - beides Gipsabgüsse aus dem Akademischen Kunstmuseum -, bis zu einer Arbeit aus dem Jahr 2011: "St. Bartholomew" aus vergoldetem Silber von Damien Hirst, Galionsfigur der Brit-Art. Den heiligen Bartholomäus hat es unter der Schar blutig hingemeuchelter Märtyrer besonders böse getroffen.

Dem Apostel wurde, so die Legende, bei lebendigem Leib die Haut abgezogen - ein beliebtes Thema der um drastische Ausmalungen nie verlegenen christlichen Kunst. Kuratorin Susanne Blöcker hat eindrucksvolle Werke zusammengetragen: das antike Pendant, den Marsyas-Mythos, Beispiele aus der mittelalterlichen Malerei und eine barockes Elfenbeinstatuette, die auch die sadistisch peinigenden Schergen zeigt. Schließlich das Werk von Hirst: der gehäutete Bartholomäus in triumphierender Imperatorenpose, der mit abgezogener Haut und Skalpell in der einen, die Riesenschere in der anderen Hand auf einem Schemel steht.

Sensationsgier trifft auf Ironie - unweigerlich denkt man an die grausigen Plastinate des Gunther von Hagens. Lust und Leid lassen sich in dieser Schau nicht immer trennen. Bei Berlinde De Bruyckeres wächsernem, nacktem Pietà-Christus schwingt bei aller Drastik der Darstellung auch Erotisches mit. Die büßende Magdalena des Rokokomeisters Januarius Zick wirkt mit griffbereitem Züchtigungsgerät wie in sexueller Ekstase.

Derweil der Kruzifix zu ihrer Linken bedrohlich in Schieflage gerät. Die wirklich wohlgeformten blanken Brüste der heiligen Agatha (um 1500) lassen vermuten, dass es dem Künstler um anderes ging, als die bestialischen Martyrien dieser jungen Sizilianerin zu schildern. Mit "Leibhaftig" greift das Museum ein großes, kontroverses Thema auf, zu dem im Römerbrief in der Bibel zu lesen ist: "Das Trachten des Fleisches führt zum Tod, das Trachten des Geistes aber zu Leben und Frieden."

Arp Museum Rolandseck; bis 25. Januar 2015. Di-So 11-18 Uhr. Eröffnung am 24. Mai, 14.30 Uhr, durch Unicef-Schirmherrin Daniela Schadt

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