Arp Museum Rolandseck US-Bildhauerin Tara Donovan zeigt ihre korallenartigen Kunstgewächse

ROLANDSECK · Der strahlend weiße Bau des kalifornischen Stararchitekten Richard Meier ist von einem Virus, von irgendetwas Wucherndem befallen. Der so sehr auf strenge Fluchtlinien und minimal-skulpturhafte Wandscheiben setzende Bau, die rechte Winkel und archaische Proportionen zelebrierende, das delikate Spiel des Lichts herausfordernde Architektur des Arp Museums in Rolandseck müssen sich mit organischen Körpern und wildwüchsigen Strukturen herumschlagen, die so ganz anders funktionieren als die hehre Baukunst.

 Unheimliches Strahlen: Tara Donovan vor ihrer Hauptarbeit "Untitled (Mylar)", die den großen Ausstellungsraum füllt.

Unheimliches Strahlen: Tara Donovan vor ihrer Hauptarbeit "Untitled (Mylar)", die den großen Ausstellungsraum füllt.

Foto: Franz Fischer

Die Störung hat einen Namen: Tara Donovan, 44-jährige Bildhauerin aus Brooklyn, New York, ist mit einem Team von 20 Mann angereist, um das weite, komplizierte Wechselausstellungsgeschoss zu bespielen, über dass buchstäblich von oben Hans Arp, der Haus-Patron, mit seiner Dauerausstellung wacht. "Wir wollen nicht die Natur nachahmen", lautet ein Kernsatz Arps, "wir wollen nicht abbilden, wir wollen bilden. Wir wollen bilden, wie die Pflanze ihre Frucht bildet."

Der Gast aus USA, stilecht modern frisiert und mit riesiger Tom-Ford-Brille auf der Nase, nimmt den Ball auf, lässt aus Industrie- und Haushaltsmaterialien Gebilde wachsen, die wie Korallenbänke, Blütenstauden, Seeigel oder vorbeitreibende Wolkenbänke, flimmernde Schneefelder oder wogende Wellen aussehen.

Tara Donovan wandelt relativ trittsicher auf dem schmalen, gefährlichen Grat zwischen effekthascherischem Einrichtungsdesign, das jede Boutique und auch das traute Heim verschönern kann, und einer bildhauerischen Sprache, die mit Volumina, Strukturen, Materialien, haptischen und optischen Phänomenen ringt.

Die Proportion ist dabei sehr wichtig. Geraten Donovans Gebilde zu klein, wirken sie schnell dekorativ: zwar handwerklich raffiniert, doch belanglos. Stimmt der Maßstab wie beim raumgreifenden "Untitled (Mylar)" von 2011, entfaltet sich im Wuchern von kristallhaft sich gleichsam vermehrenden kugelförmigen Körpern eine unglaubliche skulpturale Wucht. Das Licht bricht sich in den aus Tausenden eingerollten Folien bestehenden, wie Christbaumkugeln oder Brillanten aussehenden Gebilden.

Sie reflektieren nicht nur das Licht, sie scheinen es zu speichern, zu verändern und strahlend wiederzugeben. Selten ist dieser größte Raum im Museum so intensiv durch einen Solitär bespielt worden - Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger haben 2011 in der ebenfalls von Jutta Mattern kuratierten Ausstellung "Hochwasser", bei der der Rhein durchs Haus floss, kaum erreichbare Maßstäbe gesetzt.

Tara Donovan verwendet einfache Materialien für ihre Kunst: Abertausende Stecknadeln oder Zahnstocher fügen sich zu großen Würfeln, Millionen Trinkhalme an der Wand schaffen ein weiches Relief, Pappteller werden zu Hortensienblüten, einfache Knöpfe türmen sich zu korallenartigen Gebilden. Grüße vom Meeresgrund. Die Addition führt zur Wucherung. Der Künstlerin obliegt die Entscheidung über das in hoher Stückzahl verfügbare Material, über Platzierung und Fixierung.

Wo der Unterschied zwischen Bastelei und der Schöpfung eines Kunstwerks liegt, ist kaum zu beschreiben. Entscheidend ist auch der Zeitpunkt des Aufhörens, wann die Wucherung gestoppt wird: Der Punkt sei gegeben, wenn man die Sphäre des "Sublime", des Erhabenen erreicht habe, erklärt sie. Das ist ihr bei ihrer ersten Ausstellung in Europa - das Arp Museum kooperiert mit dem renommierten Louisiana Museum in Dänemark - nicht immer, aber mit hoher Trefferquote gelungen.

Info: Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen; bis 9. März 2014. Di-So 11-18 Uhr. Eröffnung: Sonntag, 29. September, 11 Uhr. Katalog 24 Euro

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